Du kannst mir nicht entkommen

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Heiß brannte der Atem, den sie aus ihren überhitzten Lungen ausstieß. Laute Schritte übertönten ihre eigenen, die sie unaufhörlich verfolgten. „Da vorne ist sie! Lasst sie nicht entkommen!" Ihre gepeinigten Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Das sie ihren Dienst noch nicht entsagt haben, scheint an ein Wunder zu grenzen. So schnell sie nur konnte, bog sie in eine Seitengasse ein und hoffte so ihren Verfolgern zu entkommen. Sie hatte keine Zeit, um sich auszuruhen. Sie musste hier weg. Weg von ihm. Ihre langen und haselnussbraunen Haare, klebten verschwitzt an ihr, wie verschleimte Grashalme. Die grünen Augen weit zu einem entsetzten Blick aufgerissen. Sie konnte nicht mehr. Ihre letzten Kraftreserven waren verbraucht. „Da ist sie!" Erneut konnte sie die verhasste Stimme des Hauptmanns hören. Das verleitet sie dazu, ihre Ersatzbatterie anzuzapfen und erneut die Flucht zu ergreifen.

So schnell ihre wackeligen Beine es nur zulassen, schoss Haruka aus der Seitenstraße heraus, um direkten Kurs auf eine andere zu nehmen. Das Schicksal scheint es gut mit ihr zu meinen, denn dieser Weg, spuckte sie auf der Hauptstraße wieder aus. Da vorne ist das Tor! Gleich hat sie es geschafft. Ein schwacher Keim der Hoffnung blühte in ihr auf, als sie dem ersehnten Ausgang endlich näher kam. Tränen der Freiheit, bildeten sich in ihren Augen. Doch so knapp vor dem Ziel – sollen es noch vier oder fünf Meter gewesen sein, prallte Haruka schmerzhaft an etwas hartem ab. Ihr wurde für eine Sekunde schwarz vor Augen, verlor das Gleichgewicht und stürzte dann schreiend zu Boden. Sie war direkt in eine Wache gelaufen. Bevor Haruka ihre Orientierung zurückgewann, wurde sie grob am Handgelenk gepackt und auf die Beine gezogen. „Du hast wohl gedacht, du kannst abhauen, was? Seine Majestät, der Kaiser erwartet dich schon sehnsüchtig. Also wirst du schön mitkommen."

Haruka fing an zu schreien. „Nein, ich gehe nicht zurück." Sie wehrte sich gegen den Griff des Mannes und versuchte ihn sogar zu beißen. Da kam eine zweite und eine dritte Wache, die Haruka gemeinsam überwältigen und mit brachialer Gewalt zum Palast des Kaisers zurückbringen. Sie hatte keine Chance gegen die drei Männer, doch wehrte sich bis zum Schluss. Schließlich wurde das große Tor geöffnet, hinter dem der Mann auf sie wartete, vor dem sie davongerannt ist. Wortlos wurde sie dem Kaiser vor die Füße geworfen. „Haruka! Schon wieder ein Fluchtversuch? Das war schon der vierte diesen Monat. So langsam bringst du meinen Geduldsfaden zum reißen." Völlig ausgelaugt und entkräftet, lag sie auf ihren Knien und sah zu ihm auf. Ein junger Mann, mit einem muskulösen Körperbau und breiten Schultern. Er trägt ein aufwendig gearbeitetes, schulterfreies Gewand, welches mit kupfernen und goldenen Ornamenten verziert war. In seinem linken Ohr hing ein rubinroter Ohrring, der stark an eine Quaste erinnerte, während sich auf seiner rechten Wange eine Tätowierung eines roten Tausendfüßlers zeigte. Doch am auffälligsten war die beigefarbene Augenbinde, die ebenfalls mit einem roten Streifen verziert war und seine Augen bedeckte.

Auf den ersten Blick mag der Kaiser blind erscheinen, doch sah er die Welt viel intensiver und deutlicher als alle anderen, auf eine ganz besondere Art und Weise. Haruka knurrte verbittert und starrte ihn willensstark an. Wie sein echter Name war, wusste sie nicht. Alle nannten ihn bloß Qin Shi Huang, was soviel wie 'der erste Kaiser' bedeutet. Er war äußerst selbstbewusst und bekommt am Ende immer was er will. „Nun?", wollte er sogleich von ihr wissen. „Und wenn du vor mir auf den Knien herumrutscht, es bleibt bei Nein!" Ein Schlag auf dem Hinterkopf war die Antwort gewesen. „Elendes Frauenzimmer, wie kannst du es wagen den Kaiser zu duzen?" Qin lachte einmal belustigt. „So eine willensstarke Frau wie du ist mir noch nie untergekommen. Doch deine ständigen Fluchtversuche nehmen überhand und zerren an meinem Ego. Obwohl... nein... ich kann und werde das nicht länger dulden. Du bist ein äußerst ungezogenes und böses Mädchen gewesen. Dein Ungehorsam ist rapide angewachsen, ich werde dich also leider bestrafen müssen."

Haruka presste die Lippen fest aufeinander. Von den Erzählungen anderer, konnte seine sogenannte Bestrafung von einem harmlosen Jungenstreich, bis zu brutaler Folter ausarten. Qin war ein Kaiser mit Ehre, der seine Regeln knallhart durchsetzt. In seinem Wortschatz gab es das Wort Vergebung nicht und auch Gnade war ausverkauft. Geduldig zog der Kaiser seinen goldenen Nagelschutz über die Lehne seines Throns, während er intensiv über ihre Strafe nachdachte. „Hmm... das wäre doch ganz nett, aber wahrscheinlich etwas zu viel für dich." Auf seinem Gesicht zeigte sich kurzerhand ein süffisantes Lächeln, welches Haruka's Blut zum gefrieren brachte. Ihr kroch ein schwarzer Schatten der Furcht über den Rücken, als Qin seine Entscheidung getroffen hatte. „Gut! Bringt sie in mein schnuckeliges, kleines Spielzimmer. Ich werde mich dann persönlich um dieses 'Problem' kümmern." Erneut wurde Haruka an den Handgelenken gepackt und auf die Beine gezogen. „Wie Ihr wünscht, eure Majestät."

Der Hauptmann verneigte sich einmal respektvoll vor seinem Kaiser, bevor er Haruka wegbrachte. Sie wurde in den ersten Stock gezerrt und schließlich alleine in das vorher genannte Spielzimmer eingesperrt. Haruka war verwirrt. Es war das erste mal, dass sie dieses Zimmer betreten hat. Sie hatte viel mehr einen Folterkeller erwartet, doch das hier erinnerte mehr an das Zimmer eines unschuldigen Kindes. Überall lagen niedliche Stofftiere herum. An der Decke hingen unzählige Glücksbringer, während auf dem Tisch eine batteriebetriebene Spielzeugeisenbahn mit einem leisen 'Tut Tut' ihre Bahnen fuhr. Es war geradezu unnatürlich. Wieso sollte ein so mächtiger Kaiser, wie Qin Shi Huang mit flauschigen Teddybären kuscheln, oder kleine Rennautos über den Boden flitzen lassen?

Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Und genau das war es, was Haruka so in Angst und Schrecken versetzte. Plötzlich zuckte sie schreckhaft zusammen. Die Tür hatte sich geöffnet und Qin war hereingekommen. „Gefällt es dir?" Mit eleganten Schritten, stolzierte der Kaiser durch den Raum, während er auf seinem Weg zu ihr einem Spielzeughund über den Kopf strich. „Lass dich von der reizenden Niedlichkeit nicht einfach blenden. Dieses Zimmer birgt ein dunkles Geheimnis. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du es nicht herausfinden willst." Er hatte sie erreicht und packte sie nun am Kinn. „Oder etwa doch?" Qin sah sie hinter seiner Augenbinde sarkastisch an. „Das ist deine letzte Chance, um meiner Forderung nachzukommen."

Je mehr sie sich wehrte, umso fester wurde sein Griff. Qin schmunzelte. Haruka war tatsächlich verunsichert. Bluffte er bloß, oder sagte er die Wahrheit? Sie konnte diesen Kerl absolut nicht einschätzen. Er war so schnell, wie ein wildes Wasser, so stark wie ein Taifun. Er war heiß wie das brennende Höllenfeuer und geheimnisvoll zugleich so wie der Mond. „Du hast meinen Geduldsfaden enorm ausgedünnt, Haruka. Wie lautet deine Antwort?" Nervös fing sie an mit den Zähnen zu knirschen. In ihrem Kopf hatte sich ein Hebel umgelegt, der eine Reihe voll Zahnräder in Bewegung gesetzt hat. Schließlich ballte sie ihre Hand zu einer Faust und zitterte vor Anspannung. Sie hat ihm nicht all die Monate widerstanden, um jetzt wie ein kleines Mädchen aufzugeben und vor ihm auf den Knien zu kriechen. Haruka hatte einen starken Willen, den man so leicht nicht brechen konnte. Daher starrte sie ihn trotzig an. „Nein...", knirschte sie hervor. Plötzlich legte sich ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht. „Gut...", meinte er. „Ich habe gehofft, dass du das sagst..."


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt