Schweigende Bestrafung

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Haruka saß in ihrem Zimmer am Fenster und blickte schweigend hinaus. Der Kaiser hatte alles aus dem Raum entfernen lassen, was man zu einem Seil zusammenbinden konnte. Es klopfte. Mei Ying kam herein. „Werte Dame, ich bringe Euch den Tee, den seine Majestät angekündigt hat." Haruka ignorierte ihre persönliche Magd einfach. Sie schaute einfach wortlos weiterhin zum Fenster hinaus. „Ich stelle den Tee auf den Tisch und lasse Euch wieder alleine." Erst als sie die Tür geschlossen hatte, riskierte die Braunhaarige einen kurzen Blick. Auf dem Tisch stand eine Teekanne mit der dazugehörigen Tasse, sowie einem Teller, der mit einem süßen Reiskuchen bestückt war. Haruka wandte den Blick wieder ab. Sie zeigte kein Interesse an den Gaben, die Qin Shi Huang ihr bringen ließ. Ihre frischen Wunden brannten noch immer, weshalb sie leise aufstöhnte. Am liebsten hätte sie sich diese verfluchten Ohrringe aus den Ohrläppchen herausgerissen.

Zwei Stunden später kam Mei Ying wieder und wollte die Teekanne mitnehmen. „Werte Dame, Ihr habt ja weder den Tee noch den Reiskuchen angerührt." Die niedere Dienerin machte sich Sorgen um sie. „Geht es Euch gut? Kann ich etwas für Euch tun?" Haruka atmete einmal schwer ein und aus. Sie öffnete nun das Fenster, um etwas frische Luft zu schnappen. Mei Ying beschloss, sie erst einmal in Ruhe zu lassen und kam erneut eine Stunde später wieder zurück. „Werte Dame, ich soll Euch zum Mittagessen abholen", sagte die Dienerin sanft. „Ich hab keinen Hunger", schoss Haruka nun scharf zurück. „Aber werte Dame, Ihr müsst doch etwas...-"
„Raus aus meinem Zimmer, oder es knallt!" Mei Ying wich erschrocken einen Schritt zurück. Dann verbeugte sie sich nur einmal höflich und ging. Der Kaiser wartete ungeduldig darauf, dass Haruka zu ihm kommen würde. Mei Ying war kreidebleich im Gesicht, als sie die Nachricht ihrem Herrscher überbrachte. „Sie hat keinen Hunger?!"

Qin Shi Huang zog seine Augenbrauen energisch nach oben. „Das werde ich auf keinen Fall dulden", murrte er und befahl zwei seiner Diener, sie holen zu gehen. Es hat keine fünf Minuten gedauert, als Haruka in den Speisesaal gebracht wurde. Seltsamerweise hat sie sich nicht einmal groß dagegen gewehrt. „Haruka, meine Liebe. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du keinen Hunger hast? Und das, obwohl es so leckere Nudeln gibt?" Sie ignorierte ihn. Das Essen roch tatsächlich wirklich sehr gut. Es waren diese gebratenen Nudeln mit Gemüse und Hühnerfleisch, die man in Deutschland in jedem asiatischen Imbiss bestellen konnte. „Redest du nicht mehr mit mir?" Haruka antwortete ihm noch immer nicht. Sie schenkte dem Kaiser nicht einmal einen boshaften Blick, sondern packte stattdessen ihren Teller voll. „So viel zum Thema, du hast keinen Hunger", sagte der Kaiser und grinste. Inzwischen kannte Qin sie gut genug um zu wissen, dass sie sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen konnte. Doch die erwartete Reaktion blieb tatsächlich aus.

Qin Shi Huang nahm einen unzufriedenen Gesichtsausdruck an. Es gefiel ihm nicht, dass Haruka ihm nicht antwortete. Er war nicht dumm gewesen und hatte soeben begriffen, dass sie ihn mit Ignoranz und Schweigsamkeit bestrafte. Daher beobachtete er seine Auserwählte ganz genau. Der Kaiser musterte sie intensiv und nahm jede ihrer Bewegungen wahr. Kaum hatte Haruka ihre Nudeln gegessen, stand sie auf und wollte gehen. Sie war davon überzeugt, dass die Wachen sie aufhalten werden, doch man ließ sie gehen. Nun verstärkte sich der Druck in Qin's Hand, sodass er vor lauter Wut seine Essstäbchen zerbrach. „Majestät, ist alles in Ordnung?" Er atmete einmal tief durch, wodurch die Zornesader an seiner Schläfe wieder verschwindet. „Ja, alles in Ordnung. Man möge mir neue Essstäbchen bringen." Plötzlich lächelte Qin Shi Huang einmal. Er würde sich auf Haruka's Spiel einlassen, doch er würde es ihr nicht leicht machen. In aller Ruhe, aß er seine Nudeln fertig. „Hâo", sagte er und grinste verschmitzt.

Am frühen Nachmittag, kam der Kaiser zu Haruka in ihr Zimmer. Es war selten, dass er sie hier direkt besuchte. Sie saß gerade am Tisch und hatte aus einem der chinesischen Lernbücher ein paar Seiten herausgerissen. Aus diesen versuchte sie vor Langeweile einen Papierkranich zu falten, was ihr jedoch nicht wirklich gelingen will. „Ich habe dir etwas mitgebracht, was du mit Sicherheit mögen wirst." Qin Shi Huang stellte ihr einen Eisbecher vor die Nase, der mit frischen Früchten verziert war. Haruka riskierte einen kurzen Blick, schenkte der kalten Köstlichkeit aber keine weitere Beachtung. Die Braunhaarige liebte Eis, besonders Erdbeereis. Es fiel ihr enorm schwer, um seinem Geschenk widerstehen zu können. „Willst du es nicht essen, bevor es schmilzt?" Qin war das kurze Stirnrunzeln von Haruka nicht entgangen. Sie schien zu überlegen, auch wenn sie ihn wie Luft behandelte. „Na schön, wenn du es nicht willst, dann esse ich es eben selbst." Er nahm den Eisbecher an sich und steckte sich provokant den Löffel in den Mund. „Hmm... das ist echt lecker."

In der nächsten Sekunde, knirschte Haruka mit den Zähnen, bevor sie wütend aufsprang und ihr Zimmer verließ. Der Kaiser grinste. „Eins zu Null für mich..." Wütend geworden, hatte sich die junge Frau auf dem Weg in den ersten Stock gemacht. Dabei konnte sie die flinken Schritte der Wache hören, die ihr unermüdlich folgte. Wenn Haruka genauer darüber nachdachte, dann hatte sie dieses Stockwerk noch nie richtig begutachtet. Sie wusste weder welche Räumlichkeiten hier waren, geschweige denn welche Anordnung sie hatten. Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, öffnete sie wahllos eine Tür. Haruka machte große Augen und hielt sich verstohlen eine Hand vor den Mund. „Verzeihung...", sagte sie leise und schloss die Tür sogleich wieder. Es war eines der Schlafzimmer der Palastdamen gewesen, die sie ebenso überrascht wie entsetzt angestarrt hatte. Die nächste Räumlichkeit, würde Haruka in weniger Verlegenheit bringen, denn sie hatte soeben den Tanzsaal gefunden.

Der erste Stock beherbergte noch einige Schlafzimmer, zwei Badezimmer, die kaiserliche Küche, sowie ein Atelier und eine Schneiderei. Zwei weitere Zimmer, wollten von Haruka noch erkundet werden. Doch als sie sich der nächsten Tür näherte, stellte sich ihr plötzlich ihr Begleitschutz in den Weg. „Du bist nicht befugt, um dieses Zimmer zu betreten", sagte er in gebrochenem deutsch. „Bitte geh auf dein Zimmer zurück." Haruka sah den Wachmann mit feindseligen Blicken an. „Ich will da rein...", knurrte sie verärgert. „Verzeihung, aber dies ist eines der wenigen Privatzimmer seiner kaiserlichen Hoheit, die nur mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis betreten werden dürfen." Der Wachmann forderte Haruka erneut auf, in ihr Zimmer zurückzugehen. Als sie sich nach wie vor weigerte, wurde sie mit Gewalt dorthin zurückgebracht.

Der Kaiser war nicht mehr da gewesen. Er hatte ihr lediglich den leeren Eisbecher zurückgelassen. Haruka stöhnte einmal leise und kroch schließlich ins Bett. Dort drehte sie sich zehn mal hin und her, bevor sie wieder aufstand, ins angrenzende Badezimmer ging und dort auf der Toilette ihre Damenbinde wechselte. Noch eine halbe Stunde, bis das Abendessen serviert werden würde. In dieser Zeit, hatte sie sich die Beine etwas auf dem Gang vertreten. Haruka wurde in den Speisesaal gebracht. Schon von weitem, konnte sie den Geruch von Entenfleisch wahrnehmen. Sie wurde tatsächlich überrascht, da man ihr an diesem Abend knusprige Pekingente mit Reis und gebratenen Gemüse auftischte. Qin Shi Huang lächelte sie wie bei jeder Mahlzeit zärtlich an. „Redest du immer noch nicht mit mir, meine Liebe?" Haruka wandte sofort den Blick ab und gab ihm zu verstehen, dass sie nach wie vor kein Wort mit ihm wechseln würde. „Mhm... dann eben nicht..." Er lachte einmal und fing stattdessen an, sich mit dem Hauptmann zu unterhalten. Haruka starrte den Kaiser finster an.

Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihre Bestrafung ihn völlig kalt lässt und es ihn nicht großartig interessiert. Qin lachte über einen Witz, den der Hauptmann soeben gerissen hat und schien abgelenkt zu sein. „Also wirklich, sowas ist total unschicklich", lachte er. Die Braunhaarige griff zu ihrer Teetasse und trank diese zügig leer. Noch immer beobachtete sie den Kaiser, der nicht einmal in ihre Richtung sah, sondern den Koch für sein gutes Essen lobte. Das war der Moment, in dem Haruka eine Sicherung durchbrannte. Es war ihr gleich, dass man sie dafür rügen oder gar bestrafen würde. Sie hatte mit der leeren Teetasse ausgeholt und warf diese Qin Shi Huang mit aller Kraft an den Kopf. Doch bevor diese ihr Ziel erreichte, fing der Kaiser das Keramikgeschoss mit solch einer Leichtigkeit ab, als ob es sich dabei um einen Luftballon handelte. Haruka fiel in Zeitlupe die Kinnlade herunter. „...Wie...?" Er hatte dabei nicht einmal hingesehen. „Oha? Oha? Anschneidend wird nach meiner Aufmerksamkeit verlangt." Er stellte die Teetasse neben sich hin. „Nun, möchtest du mir etwas mitteilen, meine Liebe? Du hast meine volle Aufmerksamkeit", grinste er. Haruka starrte den Kaiser einfach nur sprachlos an. „Was denn, hat es dir die Sprache verschlagen?"

Ihr Blick ging einmal zu ihrer Tasse zurück. Wie zur Hölle hat er das gemacht? Sie antwortete ihm nicht. Allerdings war ihr erstaunter Gesichtsausdruck für ihn genug Bestätigung gewesen, dass sie durchaus überrascht war. „Iss, bevor es kalt wird." Haruka schwieg und kam seiner Aufforderung sogar einmal nach. Ihren freien Tag hatte sich die Braunhaarige anders vorgestellt. Erneut ging die Sonne rötlich am Horizont unter. Dieser Anblick, löste starkes Heimweh in ihr aus. Wie lange war sie nun schon hier gewesen? Bestimmt hielt man sie bereits für längst tot. Sie hatte auch keine Möglichkeit mehr, um sich bei ihrer Mutter bemerkbar zu machen. Immerhin wurden ihr ihre persönlichen Sachen abgenommen. Haruka stöhnte einmal, als es an der Tür klopfte. „Werte Dame?"
„Ich komme...", sagte sie und löste sich vom Fenster, um Mei Ying zu folgen. Sie fand sich wieder im kaiserlichen Schlafzimmer, wo sie sich sofort unter der Bettdecke zusammenrollte.

„Bekomme ich überhaupt keinen Gute Nacht Kuss?" Haruka verkniff es sich Qin Shi Huang den Mittelfinger zu zeigen. Erneut machte sich das abgeflaute brennen der frischen Stichkanäle wieder bemerkbar. Kurz nach dem Abendessen, hatte man diese desinfiziert und mit frischen Pflastern abgeklebt. Das würde sie dem Kaiser niemals verzeihen. „Oha? Oha? Ich werde noch immer eiskalt ignoriert. Wie herzlos von dir." Er schlüpfte schließlich mit unter die Decke und rückte sogleich zum kuscheln heran. Erneut musste sich Haruka auf die Zunge beißen, denn ihr Verteidigungsmechanismus wollte die Überhand übernehmen. Qin streichelte ihr sanft den Arm auf und ab. „Interessant, dass du wirklich glaubst, du könntest mich mit deinem Schweigen bestrafen. Das funktioniert bei mir nicht, meine Liebe." Er lächelte süffisant. „Denk lieber daran, wer von uns beiden am längeren Hebel sitzt." Haruka war verwundert, dass der Kaiser solch ein Sprichwort überhaupt kannte. Sie versuchte ihn zu ignorieren. Die ersten paar Minuten gelang ihr das auch, doch plötzlich hatte er seine Lippen auf ihren Hals gelegt, um dort ein paar Küsse zu verteilen.

Haruka bekam eine Gänsehaut. Sie konnte einen Laut nicht unterdrücken. „Was hast du denn, meine Liebe? Mache ich dich etwa nervös?" Sie konnte seinen warmen Atem spüren. Die sanften Küsse, die wie ein Liebestattoo auf ihrer Haut zurückbleiben. „Ich liebe deine Sturheit, weißt du das eigentlich?" Seine schlanken Finger, strichen zärtlich über ihr Schlüsselbein. Sie zogen die leicht geschwungene Form des stabilen und zugleich so zerbrechlichen Knochens nach. Haruka versuchte all das zu ertragen, doch als seine sonst so kontrollierte Hand auf ihre Brust wanderte und sie leicht knetete, verlor Haruka die Beherrschung. „Hmm... sind die weich...", sagte er zufrieden. Das reicht! Nun bäumte sie sich auf, um sich aus seinem Griff zu lösen. Sie wirbelte herum, stieß ihn von sich und beendete ihre Gegenwehr mit einer saftigen Ohrfeige. „Fass mich nicht an!" Bedrückendes Schweigen. In der nächsten Sekunde realisierte Haruka, was sie getan hatte. Plötzlich fing der Kaiser an breit zu grinsen. Sie hatte ihre Abmachung gebrochen. „Hâo", sagte er und lachte bösartig. Haruka rutschte das Herz in die Hose, denn sie wusste, was ihr nun blühte.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt