Sprachunterricht

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Es ist dunkel und kalt geworden. Haruka sah panisch im Raum umher, als sie plötzlich Qin Shi Huang sehen konnte, der mit einem milden Lächeln im Gesicht und einer Knochensäge zu ihr kam. „Ich habe dich gewarnt, meine Schöne." Die Braunhaarige wurde von zwei Männern festgehalten, während ein dritter ihren Finger mit einer Zange in eine ausgestreckte Position brachte. „Nein, ich hab das so nicht gemeint!" Doch der Kaiser kannte keine Gnade mehr. Er setzte die Knochensäge an ihrem Finger an und begann sofort mit seiner brutalen Bestrafung. Haruka schrie auf vor bestialischen Schmerzen, als sich die Zähne des Folterinstruments in ihr Fleisch fraßen, ihre Sehnen zerreißen und der Knochen unter einem ekelhaften Geräusch brach und der abgetrennte Finger schließlich zu Boden fiel. Er zuckte noch unter den letzten Nerven, während dunkelrotes Blut, aus der frischen Wunde sickerte. Der Kaiser lächelte sanft und umfasste nun ihr Kinn. „...Das hast du dir selbst zuzuschreiben, Haruka. Du wirst nur mir allein gehören."

Mit einem lauten Angstschrei, fuhr Haruka verschwitzt nach oben. Sie hatte die Bettdecke fest umklammert und starrte mit weit aufgerissenen Augen ihren Finger an. Sie konnte noch das leichte Pochen ihres Alptraumes darin fühlen. Der Schmerz war so erschreckend real gewesen. Nur beinahe, wäre ihr dieses Schicksal wirklich zugesprochen worden. Und natürlich versuchte ihr Unterbewusstsein dieses verstörende und überaus traumatische Erlebnis in der Form immer schlimmer werdende Alpträume zu verarbeiten. Haruka blickte einmal zu der Wache, die sie einfach nur schweigend und mit funkelnden Augen ansah. Der Kaiser hatte befohlen, dass sie nachts ebenfalls bewacht werden sollte. Laut stöhnend, ließ sich Haruka ins Kopfkissen zurückfallen. Sie starrte völlig übermüdet an die Decke und draußen dämmerte es bereits.

Ihr schossen so viele Gedanken durch den Kopf und ab der kommenden Nacht musste sie beim Kaiser schlafen. Und zwar ohne zu rebellieren. Sonst würde sie nicht nur wirklich einen Finger verlieren, sondern zusätzlich noch ein paar hübsche, streifenförmige Narben auf dem Rücken kassieren. Egal wie sehr sich Haruka auch anstrengte, sie konnte einfach nicht mehr einschlafen. Sie wälzte sich stetig hin und her und gab es schließlich auf. „Was für eine Horrornacht...", beschwerte sich Haruka bei Mei Ying, als diese zwei Stunden später zu ihr kam und sie ankleidete. „Es war töricht von Euch, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Seine kaiserliche Hoheit ist deswegen sehr verärgert."
„Mir doch egal...", brummte die Braunhaarige völlig übermüdet. Auch wenn sie nun ihre Strafe erst einmal ertragen musste. Es war mit Gewissheit nicht der letzte Fluchtversuch gewesen. Haruka sah sich im Spiegel an. Irgendwas war anders als sonst. „Das ist aber kein Kimono", stellte sie fest.

„Das ist richtig, werte Dame. Das ist ein Hanfu. Der Kaiser bat mich darum, Euch einen anzuziehen." Daraufhin stöhnte Haruka nur einmal. Der chinesische Hanfu erstrahlte ganz in rot, mit einem schwarzem Gürtel und langen Ärmeln. „Kann es sein, dass rot Shin's Lieblingsfarbe ist?", fragte sie. „Qin Shi Huang, wenn ich bitten darf, werte Dame."
„Ja Ja, wie auch immer", sagte sie genervt und wurde von Mei Ying schließlich in den Speisesaal gebracht. „Haruka, meine Liebe, du siehst wunderschön aus. Ich bin wirklich entzückt, wie gut dir den Hanfu steht." Auch dem Kaiser sah man seinen Schlafmangel an, doch er ließ sich nichts anmerken. „Danke, Eure Majestät. Wobei es mir ein Rätsel ist, wie chinesische Frauen sich in dieser äußerst unförmigen Robe fortbewegen, geschweige denn essen können." Qin lächelte einmal wissend, denn ihm war der bissige Unterton in ihrer Stimme nicht entgangen. „Man gewöhnt sich an alles, meine Liebe. Setz dich doch und iss erst einmal etwas." Haruka kam seiner Aufforderung getrost nach. „Und? Mit welcher Scheußlichkeit wollt Ihr mich heute vergiften?"

Qin Shi Huang blieb ruhig und ließ sich nicht auf die Provokation ein. Er wusste inzwischen, dass Haruka das chinesische Essen nicht mochte. Wortlos wurde ihr das Frühstück gebracht. Unter der Servierglocke, kam eine Art Teigtasche zum Vorschein, die ziemlich deftig roch und eine leicht scharfe Note verströmte. „Das ist Jianbing", beantwortete Qin ihre unausgesprochene Frage. „Eine bestimmte Art von Crêpe aus Getreidemehl mit einem Ei, gehackten Frühlingszwiebeln Koriander, süßer Bohnenpaste und Chilisoße." Haruka sah das seltsame Gericht an. „Süß und scharf zugleich...?", fragte sie völlig geistesabwesend. Das konnte doch nur scheußlich schmecken. „Iss, oder hungere bis zur nächsten Mahlzeit." Der Kaiser würde sie nicht zwingen, es war ihre Entscheidung gewesen. Haruka schluckte einmal. Sie hatte schon Hunger, also würde sie es trotzdem mal probieren. So schlimm hörte sich das gar nicht an. Also nahm sie eines der vier Jianbing und biss vorsichtig hinein. Überraschenderweise war es gar nicht so schlecht gewesen. Trotzdem war die Braunhaarige weiterhin mehr als nur irritiert.

„Passt dir etwas nicht, Haruka?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nur... in meiner Heimat isst man so etwas eher zum Abendessen..." Andere Länder, andere Sitten. Diesen Spruch musste sie sich sooft von ihrer Mutter schon anhören. „Ein warmes Gericht ist für den Start in den Tag bekömmlicher als ein kaltes", sagte der Kaiser wissend. Zumindest vergönnte man ihr am Morgen einen Kaffee, den sie sich soeben genommen hatte und davon trank. „Bevor ich es vergesse... Mei Ying, ist Chao Dan schon hier?"
„Ja, Eure Hoheit. Soll ich ihn hereinschicken?"
„Ich bitte darum." Die niedere Dienerin verneigte sich einmal und ging den besagten Chao Dan holen. „Eure Hoheit", sagte er und verbeugte sich einmal höflich. „Wie schön, dich wieder einmal zu sehen. Haruka? Das ist Chao Dan, dein neuer Lehrer. Er wird dir chinesisch beibringen."

Plötzlich riss die Braunhaarige ihre grünen Augen weit auf und spuckte vor Schreck ihren nicht geschluckten Kaffee wieder aus. „Mhm? Deine Kaffeefontäne sagt mir, dass du entweder äußerst überrascht oder absolut nicht glücklich darüber bist. Und wenn ich mir deinen Gesichtsausdruck so ansehe, würde ich eher auf zweiteres tippen." Haruka starrte Qin Shi Huang absolut ungläubig an. „Ich soll was...?"
„Soweit ich weiß, rede ich gerade deutsch mit dir, du hast mich also durchaus verstanden." Haruka war in dieser Sekunde ordentlich der Appetit vergangen. „Ihr wisst aber schon, dass ich aus Deutschland komme, oder?"
„Und? Eine neue Sprache zu lernen ist kein Weltuntergang. Chao Dan ist ein sehr guter Lehrer. Er hat mir deutsch, englisch und französisch beigebracht. Übrigens, was ich dich schon lange fragen wollte, Haruka. Wie kommt es, dass du aus Deutschland kommst, aber einen japanischen Namen trägst?"
„Mein Vater ist Halbjapaner, meine Mutter ist deutsche und bei mir ist der kleine Finger japanisch."

Qin lachte amüsiert über diesen äußerst drolligen Vergleich. „Wie entzückend! Allerdings brauchst du nicht länger versuchen, um Zeit zu schinden. Wenn du mit frühstücken fertig bist, kannst du mit Chao Dan in die Bücherei gehen." Kurz darauf, räusperte sich der Lehrer einmal. „Wenn das junge Fräulein dann wohl soweit wäre?" Haruka war überrascht. Er sprach perfekt deutsch und duzte sie sogar. Sie warf dem Kaiser einen finsteren Blick zu. Dann stand sie auf, um Chao Dan in die Bibliothek zu folgen. Dort wurden ihr sogleich Papier, Bleistift und Radiergummi ausgehändigt, sowie ein Buch mit Vokabeln, die sie lernen sollte. Chao Dan schrieb ihr nebenbei ein paar Sätze auf, deren Aussprache sie üben konnte. Der schon etwas ältere Mann, las ihr auf chinesisch etwas vor, sodass sie genau die Aussprache der verschiedenen Wörter genau hören konnte. Haruka hatte darauf jedoch überhaupt keine Lust und hörte Chao Dan gar nicht zu.

Plötzlich schlug er mit seinem Zeigestock auf den Tisch, an dem sie gerade saß. „Konzentriere dich gefälligst!" Sie war so erschrocken, dass sie zuerst gar nichts sagen konnte. Dann jedoch wurde sie wütend und sprang auf. Bevor Haruka etwas sagen konnte, ist Chao Dan ihr bereits über das lose Mundwerk gefahren. „Ruhe! Setz dich hin und lerne deine Vokabeln!" Er war ein sehr strenger Lehrer und würde weder Faulheit noch Widerstand dulden. „Und jetzt schreib deine ersten Sätze auf. Wie heißen Sie und wie geht es Ihnen." An diesem Tag, ist Haruka durch die Hölle gegangen. Am folgenden Abend war sie so müde gewesen, dass sie beim Abendessen beinahe einschlief. Qin Shi Huang ließ sie erstmal in Ruhe und würde sie erst später nach ihrem Wohlbefinden fragen. Schließlich schlug der Zeiger auf 22Uhr und war somit Zeit, sich zur Nachtruhe aufzumachen. Mei Ying half Haruka wie jeden Abend, ihr Nachtgewand anzuziehen, bevor die niedere Dienerin sie zum Schlafzimmer des Kaisers brachte. „Gute Nacht, werte Dame", sagte sie und ging.

Haruka atmete einmal tief ein und aus. Wenn sie ihren Finger behalten wollte, würde sie die nächsten zehn Nächte in der Höhle des Löwen überleben müssen. Also ging sie hinein, bevor die Tür hinter ihr wieder geschlossen wurde. Genau wie die Nacht vorher, erwartete der Kaiser sie nur mit einer leichten Stoffhose bekleidet. „Haruka, meine Liebe! Wie hat dir der chinesische Sprachunterricht gefallen?" Sie funkelte ihn nur einmal feindselig an. „Wǎn'ān, bìxià", sagte sie bösartig, was so viel wie 'Gute Nacht, Eure Majestät' bedeutet. Ohne ein weiteres Wort, schob sich Haruka durch das Moskitonetz und kroch unter die Decke. Der Kaiser sah zufrieden aus und schmunzelte. „Ich wünsche dir auch eine gute Nacht", sagte er und folgte ihr schließlich.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt