Das erste Aufeinandertreffen

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Haruka sieht einmal nervös auf ihre Uhr. Noch neun Stunden, bis das Flugzeug nach New York abfliegen würde. Irgendwie hat sie gehofft, dass die Zeit schneller vergeht, wenn sie sich die Stadt ein wenig anschaut. Sie hatte bereits über hundert Fotos gemacht und war keinen Schritt weiter gekommen. Als ob es nicht schon schlimm genug war, alleine in einem fremden Land zu sein. Dazu kam noch, dass Haruka eine echte Exotin unter den chinesischen Menschen war. Mit ihren langen, haselnussbraunen Haaren und den grünen Augen, stach sie hervor wie eine Neonleuchte in der Nacht. Die einheimische Bevölkerung besaß ausschließlich schwarzes Haar und braune Augen. Kein Wunder also, dass die junge Frau angestarrt wurde, als komme sie von einem fremden Planeten. So sehr Haruka die ungewollte Aufmerksamkeit auch missfällt, so war diese von eine auf die andere Sekunde verschwunden. Denn plötzlich war etwas anderes viel interessanter als sie gewesen.

„Eure Majestät, seid Ihr sicher, dass das eine gute Idee ist?" Qin lächelte einmal ironisch. „Sei doch nicht immer so ein Korinthenkacker, Hauptmann. Nur weil ich der Kaiser bin, darf ich keinen Spaß haben, oder wie?"
„So habe ich das nicht gemeint, mein Herr! Was, wenn auf Euch ein Attentat verübt wird?" Qin brach in schallendes Gelächter aus. „Du hast zu viele Horrorfilme gesehen, Hauptmann. Jetzt entspann dich doch mal. Hast du schon mal gesehen, wie viele Wachen da draußen sind?" Das beruhigte den Hauptmann und Berater nicht wirklich. Von draußen konnte man bereits lautes Gemurmel hören. Die Einwohner waren überrascht, dass sich der Kaiser in der Öffentlichkeit zeigt. „Hörst du das, Hauptmann? Sie lieben mich. Ich habe gewusst, dass es eine gute Idee war in die Nähe des Flughafens zu kommen. Immerhin findet doch gerade das Mondfest statt." Haruka beobachtete das Schauspiel aus sicherer Entfernung. Sie sah dort sehr viele bewaffnete Wacheinheiten und vier starke Männer, die eine Sänfte trugen.

„Muss jemand wichtiges sein, wenn die so eine Show daraus machen", murmelte Haruka. „Vielleicht der Bürgermeister?" Jedenfalls verlor sie ziemlich schnell das Interesse daran und machte lieber noch ein paar Erinnerungsfotos. „Halt!", befahl der Kaiser im schroffen Befehlston. Sofort hält die gesamte Begleitschaft an. Die Sänfte wurde von den vier Trägern abgestellt. Eine Trittleiter wurde herangebracht, sodass der Kaiser bequem aus seinem Gefährt aussteigen konnte. „Hâo", sagte er. Sofort verbeugte sich die gesamte Bevölkerung einmal respektvoll vor ihrem Kaiser. Dadurch war der Hauptmann nicht weniger nervös. Zumindest hatte sein Herr das beste Gewandt angezogen, was der kaiserliche Kleiderschrank zu bieten hatte. Er trug einen weitläufigen schwarzen Kimono, der mit goldenen Webkanten und Ornamenten verziert war. Dazu einen breiten Gürtel, auf dessen Oberfläche ein Tiger und ein Drache zu sehen war. Sein schwarzes Haar, stand frech in alle Richtungen ab, während die karmesinrote Strähne auf der rechten Seite besonders hervorgehoben wurde. Haruka riskierte einen kurzen Blick. „Warum trägt dieser Typ eine Augenbinde?" Sie schüttelte verständnislos den Kopf. In China gab es wirklich die seltsamsten Gestalten.

Qin Shi Huang nahm sich ausreichend Zeit für sein Volk. Ein kleiner Junge rannte aufgeregt zu seiner Mutter und würde den Rest seines Lebens damit angeben, dass der Kaiser höchstpersönlich ihm durch die Haare gewuschelt hat. Während er ein paar Hände schüttelt, lassen die Wachen ihren Herrn für keine Sekunde aus den Augen. Bei einer nur kleinsten verdächtigen Bewegung, würden sie ohne zu zögern angreifen. „Eure kaiserliche Hoheit! Wir sind zutiefst erfreut, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt." Da sah der Hauptmann rot. „Du wagst es, den Kaiser ohne Erlaubnis anzusprechen?" Da zuckte die Frau zusammen. „Ich bitte um Vergebung, mein Herr!" Qin hob die Hand und signalisierte so, dass es in Ordnung war. „Eure Majestät! Ihr könnt nicht immer Ausnah..-"
„Schweig! Oder ich lasse dich hinrichten!"

Eine peinliche Stille trat für einen Moment ein. „Gut! Lasst uns weitergehen. Ich will doch nicht den ganzen Spaß verpa...-" Qin stockte. „Eure Majestät? Alles in Ordnung?" Der Kaiser reagierte nicht. „Hoheit?" Plötzlich packte Qin seinen Berater, drückte ihn sich an die Schulter und streckte seinen Finger aus. „Da, Hauptmann, sieh nur!" Der überrumpelte Vertraute folgte seinem Fingerzeig. Er deutete direkt auf Haruka. „Eine Frau", sagte der Hauptmann. „Eine schöne Frau", korrigierte der Kaiser ihn. Plötzliche löste sich Qin Shi Huang und verlässt seinen sicheren Platz. „Majestät! Bitte kommt zurück!" Doch der Kaiser ignorierte ihn. Stattdessen ging er zielstrebig und selbstbewusst auf die unbekannte Schönheit zu. „Hâo", grüßte er sie. Haruka war gerade dabei ein Foto zu machen. Sie erschreckte sich so sehr, dass sie einen lauten Schrei von sich gibt. Sofort kamen die Wachen angerannt, um ihren Kaiser vor der drohenden Gefahr zu schützen. Doch auch diesmal hob er die Hand und zeigte so, dass alles in Ordnung war. Sie senkten ihre Waffen.

Haruka war komplett verwirrt. „...Hâ...o...?", sagte sie nun ebenfalls. Was auch immer das heißen mag. Qin lächelte sie charmant an. „Komm, komm mit mir auf das Mondfest. Sei mein Gast." Haruka machte ziemlich große Augen und hob die dazugehörigen Brauen an. „Ääääähm... guten Tag...?"
„Oh, du verstehst meine Sprache nicht." Er lächelte süffisant und deutete dann auf sich. „Qin Shi Huang", stellte er sich vor. Selbst der dümmste wusste, dass er sich gerade vorgestellt hatte. „Gesundheit", sagte Haruka darauf. „Ich versuche nicht einmal, das richtig auszusprechen." Nun deutete er auf sie. Er wollte ihren Namen wissen. „...Haruka...", sagte sie skeptisch. „Haruka!", wiederholte Qin enthusiastisch. „Ja, also wenn es dann nichts mehr gibt... tschüss und so..." Sie wandte sich ab und wollte gehen. Doch der Kaiser von China gibt so schnell nicht auf. Er packte sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her. „Hey, lass mich los! Was soll den das?" Sie stolperte hinter ihm her und wurde auf direktem Wege in seine Sänfte gezogen.
Die Tür wurde von außen verriegelt. Da klatschte der Kaiser einmal in die Hände. „Abmarsch", befahl er. Die Sänfte wurde angehoben, was die Panik von Haruka nur noch verstärkte. „Eure Majestät! Ihr dürft keine fremden Personen mit in Eure Sänfte nehmen."

„Oha? Oha? Ich zeige dir gleich, was ich darf und was nicht." Qin klopfte gegen die Tür, sodass diese geöffnet wurde. Wortlos hatte er den Hauptmann einfach heraus geschubst. „Abmarsch", befahl er erneut. „Majestät! So seid doch bitte vernünftig!" Haruka hatte das wohl missverstanden, weshalb sie ein bisschen von ihm zurückweicht. „Lass mich gehen! In ein paar Stunden hebt mein Flieger ab." Qin lächelte sie einfach nur an. „Oh Gott – bestimmt verstehst du kein Wort, von dem was ich sage..."

Haruka holte ihr Handy heraus und tippte ihre Worte in einen Übersetzer ein, bevor sie es ihm zeigte. 'Lass mich wieder raus. Ich will zum Flughafen zurück.' Er schmunzelte. Blitzschnell ergriff er ihr Telefon, um ihr ebenfalls eine Nachricht zu schreiben, die in ihre Sprache übersetzt wurde. 'Lass uns ein bisschen Spaß auf dem Mondfest haben. Ich werde dich rechtzeitig zurückbringen.' Haruka las die Nachricht und stöhnte einmal schwer. So schrieben sie immer wieder Nachrichten hin und her. Eben solange, bis ihr Akku vor dem abkacken war.
'Für wen hältst du dich eigentlich? Dem Kaiser von China?'
'Höchstpersönlich!'
'Ja von wegen. Das war der beste Witz, den ich je gehört habe.'
'Das war kein Witz.'
'Natürlich! Und ich bin in Wahrheit die Zahnfee.'
'Du darfst mich kaiserliche Hoheit nennen.'
'Wohl eher kaiserliche Nervensäge.'

Qin lachte, als er diese Worte las. Er gab ihr das Handy ohne Erwiderung zurück. Wie er die Buchstaben mit der Augenbinde lesen und schreiben konnte, war Haruka ein Rätsel gewesen. Besser sie hinterfragt es nicht, sonst würde sie noch Migräne vom vielen nachdenken bekommen. Aber wenn man bedachte, wie gut er gekleidet war und wie viele Wachen ihn begleiteten, war es nicht einmal so abwegig, was dieser Typ behauptete. Haruka schluckte einmal. Sie saß also mit dem Kaiser von China in seiner persönlichen Sänfte und wurde von ihm auf das sogenannte Mondfest entführt. Ein absurder Gedanke. Doch gerade das machte Haruka überaus nervös. Sie wollte doch nur ihre Großeltern besuchen. Wo war sie hier nur hingeraten?


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt