Weit weg von Zuhause

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Qin Shi Huang betrachtete Haruka, wie sie unschuldig wie ein Engel ihm gegenüber in der Sänfte lag. An Händen und Füßen gefesselt, war ihre Bewusstlosigkeit zu einem tiefen Schlaf geworden. Es wurde eng in der Sänfte, doch das störte den Kaiser kein bisschen. Der Hauptmann betrachtete seinen Herrn. An was mag er in diesem Moment wohl denken? „Ihr seid erschöpft, Majestät", stellte der Hauptmann fest. „Es ist nicht mehr weit bis Handan. Wenn wir Zuhause sind, werde ich mich zur Ruhe legen." Zu solch einer unmenschlichen Stunde, sollte der Kaiser normal schon in seinem Bett liegen und schlafen. Dennoch zog es der Hauptmann vor zu schweigen. Nach einer halben Stunde, wurde die Sänfte abgestellt. „Wir sind da, Eure Majestät." Die Tür wurde entriegelt und Qin konnte seine Sänfte verlassen. „Ich werde mich nun zur Nachtruhe aufmachen", teilte er seinen Dienern mit.

„Wir wünschen Euch eine geruhsame Nacht, Eure Majestät." Da drehte sich der Kaiser um und sah Haruka an. „Kümmert euch um sie. Bringt ihr frische Kleider und gebt ihr zu essen. Ich wünsche sofort unterrichtet zu werden, sobald sie aufgewacht ist. Und vergesst die Überwachung nicht", befahl er. „Jawohl, Eure Hoheit!" Der Hauptmann persönlich würde diese Aufgabe übernehmen. Nach dem Wunsch des Kaisers, wurde Haruka in das Gästegemach gebracht und zwei Wachposten vor der Tür stationiert.

Für Haruka war das eine sehr lange Nacht gewesen. Sie wachte erst in den späteren Morgenstunden auf. Verwirrt und geschwächt, schlug sie ihre grünen Augen auf und sah sich kurz einmal um. „...Wo...bin ich...?" Haruka lag auf einem großen Himmelbett. Die zugezogenen Vorhänge versperrten die Sicht auf den Rest des Raumes. Also schob sie diese zur Seite und schälte sich aus dem Bett. Der Raum an sich war recht groß gewesen. An der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, der in den Abendstunden herrliches Licht spendete. Die Wände waren mit karmesinroter Tapete überzogen worden. Obwohl rot eine relativ aggressive Farbe war, harmonierte sie sehr gut mit der restlichen Einrichtung. Über dem Kamin hing ein großer Spiegel, an dessen Seite links und rechts jeweils zwei kleine und dekorative Lampen standen. Inmitten des Raumes entdeckte sie einen runden Tisch, um den vier Stühle standen. Die Tischdecke bestand aus Seide, erstrahlte in einem warmen Bronzeton und war mit silbernen Stickereien verziert. Inmitten dieser Schönheit entdeckte Haruka etwas interessantes.

Dort stand ein hübscher Teller, der mit einer Art von Gebäck bestückt war. Eine Teekanne, die das Aroma von schwarzem Oolong verbreitete und eine dazugehörige Teetasse stand ebenfalls bereit. Haruka fing der Magen an schmerzhaft zu rumpeln. Zum Glück waren die Schmerzen durch den Schlag des Kaisers übernacht wieder abgeklungen. Auch wenn die Braunhaarige deutlichen Hunger verspürte, sie traute dem Gebäck nicht über den Weg. Vorsichtig nahm sie es zwischen zwei Finger und roch einmal daran. Es wirkte süß und herzhaft zugleich. Was das wohl sein mag? „Keine Sorge, der Mondkuchen ist nicht vergiftet. Ebenso wenig der Tee." Haruka erschrak furchtbar und wirbelte herum. Mit weit aufgerissenen Augen, starrte sie die Frau an, die soeben zu ihr gesprochen hat.

„Verzeihung, ich wollte Euch nicht erschrecken." Sie lächelte Haruka sanft an. „Mein Name ist Mei Ying. Seine kaiserliche Hoheit bat mich darum, mich um Euch zu kümmern." Da kamen die Erinnerungen vom letzten Abend zurück. Haruka riss das Fenster auf und schaute vom dritten Stock des Palastes in die Tiefe herab. „Heilige Scheiße! Also ist das doch kein Traum gewesen." Es verwunderte sie weniger, dass Mei Ying ihre Sprache spricht. Dazu kam noch die förmliche Anrede, was Haruka daraus schließen lässt, dass diese Dienerin einen ziemlich niedrigen Rang haben musste. „Wollt Ihr nichts essen, werte Dame?"
„Nein, danke. Mir ist soeben der Appetit vergangen."
„Wie Ihr möchtet. Als nächstes muss ich Euch bitten die Garderobe zu wechseln. Seine kaiserliche Hoheit wünscht Euch zu sehen." Haruka runzelte die Stirn. „Ich soll mich umziehen? Leider habe ich keine Wechselkleidung dabei", sagte sie gespielt theatralisch.

„Dort drüben, liegt für Euch Wechselkleidung bereit. Bitte sagt mir bescheid, falls Ihr beim anziehen Hilfe brauchen solltet." Die Braunhaarige folgte dem Blick von Mei Ying. Und tatsächlich, dort lag chinesische Wechselkleidung. „Das ist nicht dein Ernst...", sagte Haruka. „Bedaure, werte Dame, doch der Kaiser besteht darauf." Nicht gerade glücklich darüber, schaute sich Haruka die Kleidung an. Es war ein chinesischer roter Kimono, mit einem schwarzen Unterrock und einem eleganten Gürtel in der passenden Farbe. Es sah in der Tat sehr schick aus. Doch hatte sie keine Ahnung, wie man so etwas anziehen sollte. Haruka stöhnte einmal laut. „Könntest du bitte...?"
„Natürlich, werte Dame." Mei Ying half ihr beim ankleiden. Haruka betrachtete sich im Spiegel. Sie sah in dieser Kleidung wirklich befremdlich aus. Für eine deutsche Frau war es schlichtweg ungewohnt, um einen asiatischen Kimono zu tragen.

„Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann würde ich den Mondkuchen doch gerne essen", sagte sie. „Wie Ihr wünscht, werte Dame." Haruka setzte sich an den Tisch, schenkte sich Tee ein und begann in den Kuchen zu beißen. Für einen Moment überlegte sie, ob sie nicht den Kimono mit Absicht beschmutzen soll. Spätestens dann würde Mei Ying merken, dass Haruka versuchte Zeit zu schinden. Sie wollte Qin nicht sehen, konnte sich aber nicht davor drücken. „Wenn Ihr dann soweit seid, werte Dame...", sagte Mei Ying. „Mal aus reiner Neugier heraus, aber was würde passieren, wenn ich mich weigere?"
„Dann wäre ich gezwungen die Wachen zu benachrichtigen und man würde Euch mit Gewalt zu seiner kaiserlichen Hoheit bringen." Haruka überraschte das kein bisschen.
Sie wollte zumindest noch ein bisschen von ihrer Würde bewahren, weshalb sie noch in ein paar Hausschuhe schlüpft und sich anschließend in Begleitung abführen lässt.

Auf dem Weg zum Kaiser, bekam Haruka einen Teil des Palastes zu sehen. Die Decke war mit Sicherheit zehn Meter hoch. Überall waren Steinsäulen, die mit exotischen und mystischen Symbolen überzogen waren. Wunderschöne Wandteppiche und wertvolle Gemälde, die verschiedene Fabeltiere, wie Drachen oder Einhörner zeigten. Haruka schüttelte den Kopf. Nun ist sie vollkommen sicher, dass Qin nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Schließlich wurde ein ziemlich großes Tor geöffnet, hinter dem der Kaiser von China auf Haruka wartete. Spätestens jetzt war klar, dass Qin Shi Huang nicht gelogen hatte. Die Braunhaarige fand sich in einem Thronsaal wieder. Hier wimmelte es nur so vor Wachen, deren strenge Augen alle auf sie gerichtet waren. Vor ihr erhob sich eine Treppe, die auf ein Podest führte. Es war mit einem rotbraunen Teppich ausgelegt, der direkt weiter zu einem äußerst imposanten Thron führte, auf dem der Kaiser saß und eine elegante Sitzposition eingenommen hatte. Qin machte mit einer Hand eine Scheuchbewegung, wodurch sich Mei Ying einmal vor ihm verbeugte und sich in eine Ecke zurückzog.

„Guten Morgen, Haruka. Hast du gut geschlafen?", fragte er. „Guten Morgen, Eure kaiserliche Nervensäge. So gut wie man nach einem Schlag in die Magengrube eben schlafen kann", antwortete sie spitz. Qin lächelte. „Frech wie immer, so gefällt mir das." Nun nahm er eine andere Sitzposition ein. „Von wegen! Für einen Entführer, bist du aber ziemlich gut gelaunt", grollte sie. „Entführer? Was für ein hässliches Wort!" Haruka ballte die Hand zur Faust. Am liebsten wäre sie auf ihn losgegangen und hätte ihm eine zweite Ohrfeige verpasst. „Tja, etwas anderes bist du aber nicht. Du kannst froh sein, dass ich so weit weg von Zuhause bin. In Deutschland hätte man dich deswegen in den Knast gesteckt." Qin brach in schallendes Gelächter aus. „In den Knast gesteckt? Du vergisst da etwas, meine Hübsche. Du bist aber nicht Zuhause und ich bin der Kaiser. Wenn ich sage gib laut, dann bellst du. Und wenn ich sage mach Platz, dann werde ich dich kein zweites mal darum bitten."

Angespannt fängt sie an mit den Zähnen zu knirschen. „Was willst du von mir?"
„Das habe ich dir schon auf dem Fest gesagt. Ich will, dass du meine Kaiserin wirst."
„Abgelehnt!"
„Oha? Oha? Was für eine krasse Abfuhr", scherzte er. Qin nahm das nicht allzu ernst, denn er wusste, dass sie ablehnen würde. Plötzlich erhob er sich von seinem Thron und ging schnellen Schrittes auf sie zu. „Wie schade", sagte er und umfasste ihr Kinn, bevor sie weglaufen konnte. „Dabei würden wir zwei so ein schönes Paar abgeben. Zusammen könnten wir die Welt erobern." Ein zynisches Lächeln legte sich auf seine Lippen, als Haruka ihn willensstark anstarrte. „Fass mich nicht an...", zischte sie. Erstaunlicherweise kam er ihrem Befehl sogar nach. „Nun, ich respektiere deine Entscheidung, Haruka. Allerdings verbiete ich dir China zu verlassen. Ich will dich nicht wie eine Gefangene behandeln, also darfst du dich in meinem Palast frei bewegen. Ihn verlassen darfst du ihn hingegen nur in meiner Begleitung. Zu deiner eigenen Sicherheit versteht sich." Qin umrundete sie einmal, legte ihr eine Hand auf die Schulter, bevor er ihrem Ohr näher kam und ihr etwas zuflüsterte. „Und wer weiß. Vielleicht finde ich ja die richtige Motivation, damit du deine Meinung doch noch änderst." Qin grinste einmal und zog sich dann auf seinen Thron zurück.

„Mei Ying?"
„Ja, Eure Majestät?"
„Kümmere dich bitte um Haruka."
„Natürlich, Eure Hoheit."
Sie verneigte sich erneut vor ihm. „Kommt mit, werte Dame. Ich möchte Euch den Palast zeigen." Haruka knurrte einmal. Sie warf Qin einen bösen Blick zu und wandte sich dann ab. Sie folgte Mei Ying und wollte bloß weg von ihm. Das Tor wurde geöffnet und wieder geschlossen. Der Hauptmann sah zu seinem Herrscher auf. „Majestät, wieso lasst Ihr zu, dass sie Euch duzt?" Der Kaiser lächelte süffisant. „Keine Sorge, Hauptmann. Diese vorlauten Dreistigkeiten, werde ich ihr bald ausgetrieben haben. Aber wie höre, scheint es sich doch gelohnt zu haben, dich in verschiedene Sprachkurse zu schicken."
„Jawohl, Eure Majestät", sagte er. Qin schmunzelte. Diese Sache konnte doch noch sehr interessant werden.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt