Ein nächtlicher Ausflug

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Schon zum dritten mal in dieser Woche, hing Haruka über der bronzefarbenen Vase und kotzte sich die Seele aus dem Leib. An Qin Shi Huang's Schläfe, pochte eine dicke Wutader. Es dauerte nicht lange, bis er vor lauter Zorn seine Essstäbchen zerbrach. „Nichtsnutze! Amateure! Inkompetente Plagegeister! Ihr seid zu nichts zu gebrauchen!" Der Kaiser bebte vor lauter Zorn. „Ihr seid alle gefeuert! Raus aus meinem Palast, bevor ich euch köpfen lasse", grollte er wütend. Der Koch wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er in ein tiefes Loch aus Scham und Schmach versank. „Majestät, ich bin untröstlich. Dabei habe ich diesen Schwachköpfen extra gesagt, dass sie bloß kein Schweinefleisch verwenden sollen." Qin Shi Huang starrte seinen kaiserlichen Koch zornig an. „Deine sogenannten Beiköche haben anscheinend ihren Beruf verfehlt. Das war jetzt schon das dritte mal gewesen." Er schnaufte einmal tief durch. „Das ist deine allerletzte Chance, Ning Chao. Such dir endlich zuverlässige Beiköche und wenn das noch einmal vorkommt, wirst du deinen Kopf verlieren. Haben wir uns verstanden, Ning Chao?"

Der beschämte Koch verneigte sich einmal vor seinem Herrscher. „Jawohl, Eure Majestät. Ich habe verstanden." Qin sah zu Haruka herüber. In den letzten sieben Tagen, hatte sie viel Gewicht verloren. Ihre Abneigung gegen Essen wurde so groß, dass sie kaum noch etwas herunterbrachte. Sie wollte nicht einmal mehr eine einfache Kartoffelsuppe essen. „Wir sind fertig für heute. Raus! Und zwar alle!" Der Kaiser scheuchte seine Diener aus dem Speisesaal. Lediglich Mei Ying und Ming Ming durften bleiben. „Eure Hoheit?", fragte Mei Ying. „Ich weiß. Später." Er machte eine Scheuchbewegung und jagte sie schließlich auch noch davon. Haruka erhob sich und starrte Qin trotzig an. Seit ihr Körper die Medikamente abgebaut und neutralisiert hatte, war sie wieder ganz die alte gewesen. „Tut dein Rücken noch sehr weh?" Haruka gab ihm nicht die erhoffte Antwort. „Gute Nacht, Eure Majestät", sagte sie biestig und stampfte davon. Sie hatte die Nächte bei ihn überstanden und konnte endlich wieder in ihrem eigenen Zimmer schlafen.

Zu späterer Stunde versuchte der Kaiser sie nochmals zu einer Mahlzeit zu überreden, doch ihr war gehörig der Appetit vergangen. Schließlich gab er es auf und ließ sie alleine. Qin Shi Huang lief nachdenklich die Treppe zu seinem Schlafgemach hoch. Ihm wurde die Tür geöffnet, ehe er darin verschwand, wo er sein kaiserliches Gewand zügig gegen seine Schlafhose eintauschte. Es war die erste Nacht seit einem halben Monat, wo er wieder alleine schlief. Es fühlte sich seltsam an, dass Haruka nicht bei ihm war. Daher lag er lange wach und starrte durch seine Augenbinde unentwegt die Himmelsdecke seines Bettes an. Qin gab es nicht gerne zu, doch er vermisste sie. Er war an ihre Wärme und ihren Duft gewöhnt. Gerade jetzt wo der Herbst begann, konnten die Nächte schon recht kalt werden.

Haruka ging es nicht anders. Egal wie sehr sie es auch versuchte, sie konnte einfach nicht einschlafen. Und das lag nicht nur an ihrem randalierenden Magen, der nach Essen verlangte. Nein – sie zuckte bei jedem Geräusch wo sie hörte zusammen. Haruka gab es schließlich ebenfalls auf. Sie schälte sich aus dem Bett und öffnete die Tür. Sofort schauten die beiden Wachen sie an, die für diese Nacht an ihrer Tür stationiert waren. Die Braunhaarige sagte nichts, sondern verließ ihr Zimmer und eilte davon. Die beiden Wachen tauschten nur einen Blick und nickten sich gegenseitig zu, bevor sie ihr folgten. Der Befehl lautete, dass man auf sie aufpassen soll. Immerhin war Haruka nicht in ihrem Zimmer eingesperrt worden. Zur selben Zeit, hatte der Kaiser sein Schlafzimmer verlassen. Er wollte nach Haruka sehen, bemerkte aber sofort, dass die Wachen nicht auf ihren Posten waren. Sofort riss er die Tür zu ihrem Zimmer auf. „Sie ist weg!" Entweder wollten die beiden Wachen sie an der Flucht hindern, oder sie streunte irgendwo in seinem Palast herum. „Manchmal hasse ich es, dass er so groß ist..." Da blieb Qin Shi Huang nichts anderes übrig, als sie zu suchen.

„Bleib stehen!" Die beiden Wachen rannten der jungen Frau hinterher, als diese mit beschleunigten Schritten vor ihnen davonrannte. „Haltet sie!" Haruka wäre um ein Haar beinahe in eine andere Wache hineingerannt. Sie konnte gerade noch ausweichen und hechtete nun die Treppe hinunter und floh in den ersten Stock. „Geh den Kaiser informieren, ich bleibe an ihr dran." Die beiden Wachen trennten sich. Da lief Qin dem Wachmann schon mehr oder weniger in den Weg. „Eure Majestät!" Er berichtete, was vorgefallen war. „Was?!" Da ließ Qin Shi Huang nichts anbrennen. Er ließ alles stehen und liegen und eilte davon. Haruka hatte den ersten Stock erreicht und rannte weiter vor der Wache davon. Doch ganz plötzlich und völlig ohne Vorwarnung, blieb sie abrupt stehen. „Nein... Nein.... auch nicht... da ist sie!" Man hatte sie beinahe eingeholt, als Haruka schließlich eine Tür öffnete. Es war die Küche gewesen. „Wie...?" Die Wache schien verwirrt zu sein.

Haruka schaltete das Licht an und blinzelte einmal. Dieser Raum war erstaunlich groß gewesen und beherbergte alles, von dem man nur träumen konnte. Kistenweise stapelte sich frisches Obst und Gemüse im angrenzenden Lager. Sie sah Tonnen von exotischen Früchten, von denen sie nicht einmal die Hälfte kannte. Bananen, Kokosnüsse und Mangos waren ein paar der wenigen Obstsorten, von deren Existenz sie wusste. Aber ihr fielen auch andersartige Obstsorten auf, die sie noch nie gesehen hatte. Eine leicht sternenförmige Frucht sah sehr appetitlich aus. Allerdings erregte eine knallpinke Drachenfrucht ihre volle Aufmerksamkeit. Haruka nahm eine in die Hand und roch daran. „Was mag das sein...?" Sie wurde die ganze Zeit von der Wache beobachtet. Diese winkte dem Kaiser zu, als sein Herrscher endlich in Sicht war. „Sie ist da drin, Hoheit!" Haruka zog die Schale ab und war erstaunt, dass sich darunter weißes Fruchtfleisch mit unzähligen, kleinen schwarzen Kernen verbarg. Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht. Dieses berühmte Sprichwort ignorierte Haruka und biss hinein.

Der Geschmack erinnerte sie ein bisschen an eine Melone und die Konsistenz war einer Kiwi nicht unähnlich. „Gar nicht übel...", sagte sie und biss nochmal hinein. „Haruka!" Sie zuckte zusammen, als der Kaiser sie ansprach. „Jetzt schmeckt sie mir nicht mehr...", murmelte sie zu sich selbst. „Haruka, was machst du hier bitte? Du hättest dem Wächter einfach sagen können, dass du Hunger hast."
„Meine Güte, hast du...", sie stöhnte einmal leise. „...Habt Ihr ernsthaft nichts Besseres zu tun, außer mir Tag und Nacht am Rockzipfel zu hängen? Kann ein Mädchen nicht mal für fünf Minuten ihre Ruhe haben? Ihr seid ja schlimmer als der Hund meiner Großmutter." Der Kaiser verschränkte die Arme und blickte sie verärgert an. „Du sollst nachts nicht alleine im Palast herumlaufen", sagte er mahnend. „Bin ich doch nicht, immerhin wurde ich von der Wache begleitet. Es ist nicht meine Schuld, wenn er so langsam wie eine Schildkröte ist." Qin begann sich kurz die Schläfen zu massieren, grinste dann aber.

„Irgendwie ist es kalt in meinem Bett geworden. Willst du bei mir schlafen?"
„Nein."
„Gut, dann schlafe ich bei dir."
„Was?" Qin Shi Huang hat so schnell das Thema gewechselt, dass es Haruka richtig aus der Bahn geworfen hatte. „Kommt auf keinen Fall in Frage! Ihr geht in Euer Bett und ich gehe in meines."
„Ich bin der Kaiser, ich mache was ich will."
„Ihr seid eine kaiserliche Nervensäge! Ihr könnt mir mal meinen Popo knuddeln", sagte sie inzwischen wütend geworden. „Das kann ich gerne tun", meinte er und kam näher. Haruka stopfte ihm die Drachenfrucht in den Mund. „Gute Nacht, Eure Majestät", giftete sie nur und tigerte davon. Qin sah ihr nach und grinste. „Was für eine Frau", sagte er und biss schließlich einmal in die Frucht hinein.

Ning Chao schwitzte Blut und Wasser, als Haruka ihre Speiseglocke anhob. Im ersten Moment machte sie Anstalten wieder würgen zu müssen, entspannte sich aber, als sie den mit Pflaumenmus gefüllten Pfannkuchen vor sich liegen sah. Sie konnte ihn ohne Probleme essen und schlecht wurde ihr auch nicht. Auch die Schmerzen auf ihrem Rücken spürte sie kaum noch. Dennoch wird sie das niemals vergessen. Ebenso wenig wie sie Qin diese Tat niemals verzeihen wird. „Ich muss ein paar politische und geschäftliche Dinge erledigen, weshalb ich eine Woche nicht hier sein werde", schnitt er plötzlich dieses Thema an. „Wie schön für Euch. Und lasst mich raten: Ich soll mitkommen, nicht wahr?"
„Korrekt", antwortete er. Haruka überlegte, ob sie lachen oder weinen soll. Auf der einen Seite war sie froh gewesen, einmal raus aus dem Palast zu kommen. Und auf der anderen hatte sie keine Lust, ihn ständig um sich zu haben. „Kommen gar keine Widerworte?"
„Nein", meinte sie nur knapp. „Als ob es mir etwas bringen würde."


„Oha? Oha? Hast du etwa dazugelernt?"
„Ihr habt Pflaumenmus im Gesicht und sabbert." Qin wischte sich mit einer Serviette über den Mund und stellte fest, dass sie gelogen hatte. Haruka wollte den Fokus einfach auf etwas anderes lenken. Der Kaiser lachte. „Du bist wirklich ein böses, kleines Mädchen..." Nach dem Frühstück, wurden die Vorbereitungen für die Reise getroffen. Mei Ying bekam den Befehl, für Haruka ein paar Dinge einzupacken. Sie war noch immer wütend auf die Dienstmagd und redete kein Wort mit ihr. „Hast du alles zusammengepackt, Hauptmann?"
„Ja, Eure Hoheit. Alles ist fertig."
„Gut, dann können wir in einer halben Stunde abreisen." Haruka ging davon aus, dass sie wieder in die Sänfte des Kaisers gesteckt wurde. Stattdessen würde sie in einer Pferdekutsche reisen, was sie doch sehr verwunderte. Insgeheim fragte sich die Braunhaarige sowieso, weshalb sie nicht ein Auto benutzten. Da kam auch schon die Antwort. Der Kaiser hatte nicht nur Freunde, sondern auch viele Feinde, weshalb ihn dreißig schwer bewaffnete Soldaten begleiten würden. Inklusive Hauptmann, Mei Ying und einer Zofe.

Haruka schnaufte einmal tief durch, bevor man sie schließlich in den Zugwagen der Pferdekutsche brachte. „Abmarsch", befahl der Kaiser und schloss die Tür hinter sich. Qin Shi Huang setzte sich Haruka gegenüber und lächelte sie charmant an. „Wir werden einen ganzen Tag lang unterwegs sein. Wollen wir uns ein wenig unterhalten?"
„Nein", war die knappe und direkte Antwort gewesen. „Wie herzlos von dir." Haruka schaute stur zu dem kleinen Fenster hinaus. Seine gesamte Begleitschaft, hatte um die Kutsche eine kreisrunde Formation angenommen. Niemand würde so leicht also an den Herrscher des Landes herankommen. „Sagt, Majestät...", hob Haruka plötzlich an. „Habt Ihr gar keine Angst, dass ich Euch nach dem Leben trachten könnte?" Qin Shi Huang war verwundert über diese Frage und hob skeptisch eine Augenbraue an. „Nein, wieso sollte ich?" Sie lächelte einmal bösartig. „Nun... das solltet Ihr aber besser tun...", sagte sie und zog ein Messer aus dem Ärmel ihres Hanfu's heraus.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt