Teezeit

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Schon eine ganze Weile ist Haruka nun hinter Mei Ying hergelaufen, um sich den Palast anzusehen. Türen über Türen sind dabei an ihr vorbeigezogen. Haruka juckte es in den Fingern, die ganzen Türen zu öffnen, um herauszufinden, welche Räume sich dahinter verbergen mögen. Hatte die kaiserliche Nervensäge nicht gesagt, dass sie sich frei im Palast bewegen durfte? Es war also keine schlechte Idee, das Terrain des Feindes zu kennen. Qin brauchte nicht glauben, dass sie hier brav ausharren, und schließlich vor Langeweile ihre Meinung ändern würde. Da hat er sich aber ganz tief ins Fleisch geschnitten. Sobald sich eine Gelegenheit bietet, würde sie hier einen Abgang machen. Die Braunhaarige wird schneller weg sein, als der Kaiser gucken kann. Doch um das bewerkstelligen zu können, muss sie die Umgebung ganz genau kennen. Daher hielt sich Haruka nicht mehr zurück, sondern riss völlig wahllos die erste Tür auf. „Werte Dame, was macht Ihr da?"

Mei Ying wurde einfach ignoriert. Stattdessen ging Haruka in den Raum hinein, um dessen Geheimnis zu lüften. Es war ziemlich unspektakulär gewesen, denn dieser Raum war über und über mit Büchern gefüllt. „Werte Dame, was wollt Ihr denn in der Bücherei?" Haruka machte ein genervtes Kneifzangengesicht. Von allen erdenklichen Räumen in diesem riesigen Gebäude, hatte sie allen ernstes den langweiligsten von allen erwischt. Haruka konnte Büchern noch nie etwas abgewinnen. Besonders chinesischen Büchern nicht. Zumal sie diese Hieroglyphen ohnehin nicht lesen konnte. „Werte Dame, kann ich Euch vielleicht...-"
„Hör endlich auf damit, mich ständig so anzusprechen! Ich heiße Haruka! Nicht werte Dame, meine Dame, oder sonst was. Haruka! Soll ich es dir buchstabieren?" Mei Ying schluckte einmal erschrocken. „Verzeihung, aber es steht mir nicht zu, Euch beim Namen zu nennen, werte Dame. Das ist ein direkter Befehl des Kaisers gewesen."

„Der Kaiser kann mich mal. Außerdem ist dieser Schwachkopf gerade nicht da. Wenn du mich also noch einmal mit werte Dame ansprichst, werde ich richtig sauer."
„Jawohl, werte Dame", sagte Mei Ying. Haruka stöhnte einmal laut und schmiss genervt die Tür zur Bücherei wieder zu. „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Von dir bekomme ich echt noch Migräne." Sie wartete auf gar keine Antwort, sondern riss beherzt die nächste Tür auf. Auch hier gab es nichts Besonderes zu sehen. Hie und da standen ein paar Drachenfiguren, deren bösartige Augen finster durch den Raum funkelten. Die nächsten zwei Türen verbargen auch nicht wirklich etwas brauchbares, doch im Raum darauf, stieß Haruka einen lauten Schrei aus. „Werte Dame, was habt Ihr?" Mit aufgerissenen Augen, starrte Haruka den Drachen an, der sie mit weit aufgerissenen Maul und gefletschten Zähnen begrüßt hatte. „Was... zum Teufel ist das...?" Ein kurzer Blick von Mei Ying genügte um zu wissen, was Haruka gerade eben so erschreckt hatte. „Oh?! Ihr habt das Teezimmer gefunden!"

Noch immer starrte Haruka die lebensgroße und echt wirkende Drachenfigur an, die mitten im Raum stand. Sie hatte das absolut nicht erwartet und war daher zu Tode erschrocken. Nun kam sie langsam näher, um dem Drachen eine Hand auf seine monströsen Zähne zu legen. „Warum steht hier eine riesige Drachenstatue herum?", wollte Haruka wissen. „Werte Dame, der chinesische Drache steht für Reichtum, Glück und Güte. Daher werdet Ihr vielerlei solcher Figuren im kaiserlichen Palast finden", antwortete Mei Ying vornehm. „Aha...", meinte die Braunhaarige schließlich nur darauf. „Das nächste mal warnst du mich gefälligst vor. Nicht, dass mich nochmal so ein Ungetüm anspringt."

Neben der Drachenstatue, ist der Rest des Teezimmers jedoch schön gestaltet worden. An der Decke hängt ein gewaltiger Kronleuchter, der allerdings nur sanftes Licht von sich gibt. Vereinzelt stehen ein paar kleine Tische im Raum, um die ein paar Sitzkissen ringsherum verteilt wurden. Vor lauter Aufregung, war Haruka der dezente Duft eines Räucherstäbchens entgangen, das äußerst mild nach Weihrauch und Sandelholz roch. „Wie ich sehe, machst du dich mit deinem neuen Zuhause vertraut, ich bin entzückt!" Bei seiner Stimme, stellten sich Haruka's Nackenhaare auf. Mei Ying ging sofort einen Schritt zur Seite und verbeugte sich vor ihrem Kaiser. „Ist das eigentlich dein verdammter Ernst? Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?" Qin lächelte sie einmal selbstbewusst an. „Wie unhöflich! Dabei bin ich extra hergekommen, um mit dir eine Tasse Tee zu trinken. Bevor ich es vergesse, meine Teure. Deine Anrede für mich lautet, Eure kaiserliche Hoheit."

„Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung, Eure kaiserliche Nervensäge", sagte sie spitz. Qin schmunzelte. „Treib es nicht zu weit, Haruka. Ich kann sehr ungemütlich werden."
„Tatsächlich? Wenn seine Majestät mich wie versprochen zum Flughafen zurückgebracht hätte, dann hätte seine Kaiserliche Hoheit dieses Problem nun nicht." Haruka versuchte nicht einmal den Sarkasmus in ihrer Stimme zu verstecken. Anders als erhofft, gab der Kaiser keinen boshaften Tonfall von sich, sondern fing lediglich an zu lachen. „Ich liebe Frauen, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen." Er räusperte sich einmal kurz und klatschte daraufhin. „Man möge uns Tee bringen", befahl er. Sofort setzten sich zwei der Mägde in Bewegung, um den Befehl ihres Herrschers auszuführen. „Setz dich doch, Haruka. Lass uns zusammen eine schöne heiße Tasse Tee trinken."

„Abgelehnt", sagte sie stur und wollte den Raum verlassen. Da versperrten ihr zwei Wachen mit ihren Hellebarden den Weg. „Was soll das? Lasst mich raus!"
„Seine kaiserliche Hoheit wünscht mit dir Tee zu trinken. Du bist momentan nicht befugt, den Raum zu verlassen." Mei Ying übersetzte die Worte der Wache, was Haruka nur umso wütender machte. Zornig drehte sie sich zu Qin um. „Hör zu! Ich hasse dich... und daher werde ich mich auf keinen Fall mit dir an den gleichen Tisch setzen", knurrte sie. „Wie bitte, du hasst mich?! Oh... das bricht mir mein armes, einsames Herz", sagte er theatralisch und ließ sich dabei gespielt traumatisiert nach hinten fallen. Natürlich wurde er dabei elegant von seinen Dienern aufgefangen und wieder auf die Beine gestellt. Nur wenige Minuten später stöhnte Haruka einmal schwer, denn sie saß Qin gegenüber an einem der Tische, der sie verschmitzt angrinste. Er bekam eben immer was er will. Vor sich hatte Haruka eine prall gefüllte Teetasse stehen und ein paar Kekse auf einem Teller liegen. „Verflucht nochmal, warum ist das so unbequem?" Haruka hatte mehr Probleme mit dem Fersensitz als angenommen. Immerhin gab es im Teezimmer keine Stühle.

Schließlich gab sie auf und ging in den Schneidersitz über. Das war zwar auch nicht das wahre, aber zumindest ein bisschen bequemer als vorher. Haruka beobachtete den Kaiser, wie er dort seelenruhig saß und seinen Tee trank, während er dabei über die unlustigen Witze einer Magd lachte. Sie verstand das einfach nicht. Wie konnte ein so unbeschwerter Kindskopf nur der Herrscher eines so großen Landes sein? Qin erinnerte sie mehr an ein sorgenfreies Kind, als wie an einen mächtigen Anführer. Haruka ahnte ja nicht, welch ernste und grausame Seite noch in ihm steckte. Während sie voller Kopfzerbrechen darüber nachdachte, hatte sie gar nicht bemerkt, wie sie dem Kaiser dabei immer weiter auf die Pelle gerückt ist. „Das ist aber nett von dir, dass du zum kuscheln kommst", sagte er. Qin wollte gerade seinen Arm um sie legen. Da realisierte Haruka, was sie getan hatte und zog sich in allerletzter Sekunde noch zurück. „Uff... wie schade... für einen Moment hatte ich wirklich die Hoffnung, du wärst zum kuscheln gekommen. Oder aus welchem Grund, hast du mich die ganze Zeit so angestarrt?"

„Was? Ich hab dich überhaupt nicht angestarrt", verteidigte sie sich. Qin räusperte sich nur einmal, woraufhin Haruka die Augen verdrehte. „Ich habe Euch nicht angestarrt, Eure Majestät", sagte sie knirschend. „Soso...", sagte der Kaiser belustigt. „Du hast deinen Tee noch gar nicht angerührt. Inzwischen ist er sicher kalt geworden." Haruka presste die Lippen fest zusammen. „Mir schmeckt das grüne Zeug nicht...", sagte sie. „Aber das ist schwarzer Tee."
„Der schmeckt genauso scheußlich!" Qin verschränkte die Arme, legte den Kopf schief und sah sie an. „Was würde dir denn schmecken, meine Liebe?"
„Kaffee", sagte sie direkt heraus. Erneut klatschte der Kaiser wieder in die Hände. „Einen Kaffee, flott, flott", sagte er. Fünf Minuten später, hatte Haruka eine dampfende Tasse Kaffee vor sich stehen. Erwartungsvoll sah Qin sie hinter seiner Augenbinde an, während Haruka das schwarze Gebräu misstrauisch beäugte. „Würde es dir leichter fallen, wenn ich zuvor davon trinke?" Der Kaiser hatte ihre Zweifel in ihren Augen gesehen. Daher nahm er die Tasse an sich und nahm einen großzügigen Schluck von dem heißen Getränk.

Wenn sogar der Kaiser höchstpersönlich davon trank, dann konnte es kaum vergiftet oder mit etwas anderem präpariert sein. Haruka gab etwas Zucker und ein bisschen Milch dazu, rührte um und kostete davon. Der chinesische Kaffee schmeckte anders als der, den sie von Zuhause kannte. Dennoch beruhigte sie das Aroma ein wenig und sie konnte sich ein bisschen entspannen. Zumindest bis zu dem Punkt, bevor sich der Kaiser lautlos an sie herangeschlichen und seinen Kopf in ihren Schoß gelegt hatte. Haruka gab einen lauten Schreckensschrei von sich und warf die halb volle Kaffeetasse aus Reflex nach hinten, da sie diese gerade in der Hand hielt. Das Keramik zersprang in zwei Hälften, während sich der restliche Kaffee auf dem Boden verteilte. „Nein, Nein, Nein! Auf gar keinen Fall, steh sofort wieder auf!" Qin murrte unzufrieden. „Nur fünf Minuten...", murmelte er. „Du riechst so gut und ich liege gerade so bequem. Nur fünf Minuten...", wiederholte er. Haruka sah sich panisch im Raum umher. Eine Magd wischte den Kaffee gerade auf, während vier Wachen sie mit tödlichen Blicken durchbohrten.

„Na schön, fünf Minuten und keine Sekunde länger", stimmte sie widerwillig zu. Sie begann in ihrem Kopf bis dreihundert zu zählen, was genau fünf Minuten waren. Als Haruka die letzte Zahl erreicht hatte, verlangte sie umgehend, dass er sich erhob und sie in Ruhe lässt. Doch der Kaiser rührte sich nicht. „Ignorierst du mich etwa? Die fünf Minuten sind um, also scher dich endlich von mir runter", fauchte sie. Wenn man ganz genau hinhörte, dann konnte man das ganz leise Schnarchen des Kaisers hören. Haruka plusterte wütend die Wangen auf. „Dieser elende... verdammte...", fing sie an und schluckte den Rest herunter. Eine niedere Dienerin eilte herbei und legte ihrem Herrscher eine leichte Decke über den Körper. Er war in der kurzen Zeit, tatsächlich in Haruka's Schoß eingeschlafen...


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt