Eine spektakuläre Flucht

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Haruka nahm die kleine Pille in den Mund, die sie von Jiang Li bekommen hatte und trank ein Glas Wasser aus. „Geh schon einmal ins Bett, meine Liebe. Ich gehe Chen Lu noch füttern und komme dann nach." Sie widersprach nicht, sondern machte sich auf dem Weg ins kaiserliche Schlafzimmer. Dort angekommen, spuckte sie die kleine Pille in ein Taschentuch, die sie unter ihrer Zunge versteckt hatte. Es war nicht das erste mal, dass Haruka diesen Trick angewandt hatte. Schließlich deponierte sie das zusammengeknüllte Taschentuch unter ihrem Kopfkissen und rollte sich unter der Bettdecke zusammen. Eine halbe Stunde später, hörte sie ihren Ehemann hereinkommen. „Gute Nacht, Eure Majestät." Der Kaiser legte sein Gewand ab, um in die Nachtkleidung zu wechseln. Die Braunhaarige spürte, wie das Bett nachgab und er sich neben sie legte. „Haruka?" Sie rührte sich nicht. „Hmm... das Schlafmittel scheint schon zu wirken." Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf den Mund. „Schlaf gut, meine wunderschöne Ehefrau." Dann legte er seinen Arm um sie und schloss unter der Augenbinde seine Augen.

Qin Shi Huang rüttelte sie am nächsten Morgen wach. „Haruka, das Frühstück ist fast fertig. Komm schon, steh auf." Sie schoss wie von der schwarzen Witwe gebissen nach oben. „Hää...? Ist es schon morgen...?" Er schmunzelte einmal belustigt. „Du hast ganz schön tief geschlafen. Das muss ein echt starkes Schlafmittel sein." Der Kaiser schickte eine Zofe zu ihr, damit diese seine Frau anständig einkleidete. Inzwischen hatte sich Haruka mit dem Hanfu angefreundet. Eine andere Wahl hatte sie ja nicht mehr. Der Deal mit der westlichen Kleidung, war schon vor langer Zeit geplatzt. Die Kaiserin löffelte ihren Congee leer, während sie ihren Ehemann dabei ansah und überlegte, wie sie ihn so richtig auf die Palme bringen konnte. „Habt ihr inzwischen eine Amme gefunden?", fragte Qin seine Untergebenen. „Nein, noch nicht, Hoheit." Plötzlich durchzog ein geölter Blitz den Gedankengang der Braunhaarigen. Eine Amme... Wieso kam sie da nicht schon eher darauf? Ein verschlagenes Lächeln, zeigte sich kurz auf ihrem Gesicht, denn Haruka war eine äußerst perfide Idee gekommen, wie sie Qin so richtig wütend machen konnte.

Sie legte ihren Löffel zur Seite und stöhnte einmal erschöpft. „Was ist los, Liebes? Geht es dir nicht gut?"
„Meine Brüste tun weh... die sind total geschwollen und ständig kommt Milch heraus."
„Das würde nicht passieren, wenn du Chen Lu stillen würdest."
„Hmpf..." Sie drehte bockig den Kopf zur Seite. „Das wäre überhaupt nicht passiert, wenn du mir das nicht angetan hättest. Das kleine Monster ist dein Problem, also kannst du lange darauf warten, dass ich mich von ihr aussaugen lasse." Qin Shi Huang hob gereizt seine Augenbrauen an. „Charmant wie immer... sie braucht ihre Mutter und das weißt du auch."
„Ich bin nicht ihre Mutter", fauchte sie.

Im Laufe des Tages wurden ihre Brustschmerzen so schlimm, dass sie schließlich nachgab und nach der Milchpumpe verlangte. Die Kaiserin zog sich in das Badezimmer zurück, um ihre überempfindlichen Brüste von der Muttermilch zu befreien. „Haruka, bist du fertig?", fragte ihr Ehemann ungeduldig. „Ja", sagte sie und er durfte herein. Erfreut sah er die prallgefüllte Flasche, voll nahrhafter Muttermilch. „Gut, dann gib her. Chen Lu wird sicher Hunger haben." Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. „Also wenn ich es mir so recht überlege..." Haruka schraubte die Flasche auf und schüttete den Inhalt ins Waschbecken. „Nein", sagte sie nur und sah bereits, wie Qin Shi Huang's Miene zu einer bösen Fratze umschlug. „Haruka, warum hast du das gemacht?" Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe nur gesagt, dass ich abpumpen will. Ich habe allerdings nie gesagt, dass die kleine Göre das auch zu trinken kriegt." Qin holte aus und ohrfeigte sie. Dann drehte er sich um und verließ wütend den Raum. Haruka hielt sich die schmerzende Wange und lächelte. Sie ging zurück ins Schlafzimmer und holte das Taschentuch mit dem Schlafmittel unter ihrem Kopfkissen hervor. Nun musste sie nur noch warten.

Qin Shi Huang sprach im Laufe des Tages kein einziges Wort mit seiner Ehefrau. Selbst beim Mittag und Abendessen, schenkte er ihr kein bisschen Aufmerksamkeit. Gegen 21 Uhr, hatte sich Haruka auf dem Weg in die Küche gemacht. Ning Chao war gerade dabei aufzuräumen und sah auf, als er sie bemerkte. „Eure Hoheit, braucht Ihr noch etwas?" Sie presste die Lippen fest zusammen. „Kannst du mir bitte zwei Tassen mit Oolong-Tee machen?" Der kaiserliche Koch hinterfragte es nicht, sondern tat, um was seine Kaiserin ihn gebeten hatte. Er stellte die zwei dampfenden Tassen auf ein Tablett und reichte es ihr. „Danke", sagte sie und ging. Haruka zog sich in das kaiserliche Schlafzimmer zurück. Dort holte sie die kleine Pille hervor, zerbrach sie in kleine Stücke und löste sie in einer der beiden Teetassen auf. „Süße Träume, Eure kaiserliche Hoheit!" Dann ging sie mit dem Tablett wieder in den dritten Stock, um ihren Ehemann im Thronsaal aufzusuchen. Er saß gerade am Tisch und war mit Papierkram beschäftigt. „Was willst du?", fragte er harsch.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen." Qin sah überrascht auf. „Ach, und woher kommt dein plötzlicher Sinneswandel?"
„Jiang Li hat mir ordentlich den Kopf gewaschen. Ich war egoistisch und selbstsüchtig." Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab. „Ning Chao hat uns Tee gekocht." Seine Ehefrau nahm die Präparierte Tasse und reichte sie ihm. Qin griff danach und nahm einen Schluck. „Und wie gedenkst du weiterzumachen?"
„Ich weiß es nicht. Weil ich nie Kinder haben wollte, fällt es mir schwer, Chen Lu zu akzeptieren. Und trotzdem, ich hätte dir einfach die dumme Flasche geben sollen." Die beiden reden noch etwas miteinander, während sie ihren Tee austranken. Bereits wenige Minuten später, machten sich bei Qin Shi Huang die ersten Müdigkeitserscheinungen bemerkbar, indem er seinen Stift fallen ließ. „Shin, ist alles in Ordnung?"

„Ich muss überarbeitet sein, lass uns ins Bett gehen." Der Kaiser zog sich mit seiner Ehefrau ins Schlafzimmer zurück. Keine fünf Minuten später, war er eingeschlafen. Haruka lächelte, während sie ihm liebevoll durch sein Haar strich und ihm einen Kuss auf die Schläfe hauchte. „So, mein Lieber, dann werde ich dir mal ein paar hübsche Alpträume bescheren. Und dafür sorgen, dass dir der Schreck so richtig in die Glieder fährt." Sie öffnete seinen Kleiderschrank, riss alle seine Gewänder heraus und knotete sie fest zu einem Seil zusammen. „Diesmal muss es einfach klappen...", flüsterte sie leise. Nun musste Haruka warten, bis es draußen stockdunkel war. Erst dann band sie das Seil aus Kleidung am Heizkörper fest, öffnete das Fenster und warf es hinaus. Flott zog sie sich noch etwas wärmeres über. „Dann mach's mal gut, du Herzensbrecher." Die Kaiserin stieg aus dem Zimmer und begann sich vom vierten Stock bis ganz nach unten abzuseilen. „Es tut mir Leid, Shixin...", sagte sie wehmütig. Qin Shi Huang bekam von ihrer spektakulären Flucht nichts mit. Das Schlafmittel, wo sie ihm verabreicht hatte, zeigte seine volle Wirkung.

Nach endlos langen Minuten und schmerzhaften Herzschlägen später, hatte die Braunhaarige endlich das untere Ende des Palastes erreicht. Jetzt musste sie nur noch aus der Stadt entkommen. Raus aus Handan und einen Weg zum Flughafen finden. Eine weitere Hürde war, dass sie sich auf keinen Fall von den Wachen erwischen lassen durfte. Haruka hielt sich im Schatten, pirschte sich von Versteck zu Versteck und wich dem Laternenschein der Wachsoldaten aus. Sie stöhnte einmal leise und hielt sich den Bauch. Verdammt – sie hätte mit ihrer Flucht noch einige Wochen warten sollen. Zu Fuß würde sie jedenfalls nicht weit kommen, doch da konnte sie sich Abhilfe beschaffen. So unsichtbar wie sie nur konnte, schlich sich die Kaiserin in die Pferdeställe, wo Donna und Shiyan untergebracht waren. Sie lächelte und streichelte ihrer Islandstute über die Nüstern. Das brave Pferd schien ein bisschen müde zu sein, doch da musste Donna nun leider durch. „Wie dumm, dass ich dich nicht satteln kann, aber ein Zaumzeug sollte selbst ich hinbekommen."

Haruka begann sogleich im Stall nach einem passenden Halfter zu suchen. Verflucht nochmal, sie hätte sich das schon lange beibringen lassen sollen. Nach dem dritten Versuch, schien die Kaiserin endlich das richtige Halfter gefunden zu haben. Sie steckte Donna das Gebissstück ins Maul und wollte ihr gerade das Genickstück über die Ohren ziehen, als es ihr eiskalt den Rücken herunterlief. „Wer sind Sie, Lady?" Haruka wurde leichenblass und drehte sich langsam um. Sie sah in das kindliche Gesicht eines Jungen. Er war vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. „I... ich...? A... also... ich bin nur eine gewöhnliche Frau. Aber was machst du zu dieser unmenschlichen Stunde hier, Kleiner?"
„Also ich bin Chenfei, der Stallbursche. Ich fange immer mitten in der Nacht zu arbeiten an. Naja, zumindest wenn ich keine Schule habe." Der Kleine legte den Kopf schief. „Und wer sind Sie nun, Lady?" Haruka sah sich nervös um. „Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich bin ein Niemand, also beachte mich einfach nicht."

Chenfei verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Nein, Sie sind Qin Shi Huang's Ehefrau! Ich habe Sie bei der Hochzeit gesehen." Haruka schluckte. Jetzt wurde sie schon von einem Knirps erwischt. Kein Wunder also, dass sie Kinder hasste. „Was willst du für dein Schweigen, Junge?"
„Nun, das ist nichts persönliches, Majestät. Aber sogar ein Kind wie ich weiß, dass man es sich mit Qin Shi Huang besser nicht verscherzen sollte. Daher also..." Der junge Stallknecht rannte aus dem Stall hinaus. „Wachen! Hilfe! Die Kaiserin will abhauen!" Haruka riss die Augen ungläubig auf, als der kleine Rotzlöffel sie tatsächlich verpetzte. Und es zeigte Wirkung. Die nächtlichen Wachen eilten sofort herbei. „Was ist los, Junge?" Chenfei deutete zu den Stallungen. „Die Kaiserin ist da drinnen und will abhauen." Man reagierte sofort darauf und hinderte Haruka an der Flucht. „Ich muss schon sehr bitten, Eure Hoheit, aber hatten wir das Thema nicht schon einmal? Wie seid Ihr überhaupt aus dem Palast herausgekommen?"

Die Braunhaarige starrte den Jungen feindselig an. „Das wirst du mir büßen, du kleine Rotznase", fauchte sie wütend. Einer der Soldaten machte sich auf dem Weg, damit der Kaiser darüber informiert wurde. Die Nachricht drang bis in den vierten Stock, zum kaiserlichen Türposten, der die unschöne Aufgabe bekam, Qin Shi Huang aufzuwecken. „Majestät, wacht auf." Er rührte sich nicht. „Eure Hoheit?" Man rüttelte ihn, doch auch so wollte der Kaiser einfach nicht aufwachen. „Was zur...?" Seine Wache schluckte einmal schwer. „Ich bitte um Vergebung, mein Herr." Dann holte er aus und ohrfeigte ihn. Dies zeigte endlich eine Wirkung und er schaffte es seinen Herrscher zu wecken. Qin schnellte nach oben. „Was zum Teufel... hast du mich gerade geohrfeigt? Du sehnst dich wohl nach dem Tod!"
„Ich bitte um Vergebung, Herr", sagte er und ging sogleich auf die Knie. „Ihr habt bei meinen anderen Weckrufen nicht reagiert." Der Kaiser knurrte und sah zur Seite. „Ist Haruka etwa schon wieder auf Nachtwanderung?"
„Es ist schlimmer, Majestät! Eure Gemahlin wurde bei der Flucht erwischt."
„Was? Wieso hast du Schwachkopf sie überhaupt aus dem Zimmer gelassen?"
„Mit Verlaub, Hoheit, aber Ihre Majestät hat den Raum nicht verlassen."

Qin Shi Huang sprang sofort aus dem Bett und riss die Tür zum Badezimmer auf. Er schnaufte schwer, als seine zu einem Seil gebundenen Gewänder aus dem Fenster hingen. „Bringt sie her. Und holt meine Kleider wieder herein", befahl er. Nun konnte Qin eins und eins zusammen zählen. „Dieses elende Frauenzimmer hat mir Schlafmittel in den Tee gemischt!" Qin Shi Huang war wirklich sauer und wartete darauf, dass man ihm seine Frau zurückbringen würde. Vier Soldaten brachten sie schließlich zu ihrem Ehemann zurück. „Hallo, Haruka...", sagte er mit erboster Stimme. „Hallo, Shin...", erwiderte sie ein wenig eingeschüchtert. Der Kaiser strich ihr durch das lange Haar und kringelte mit seinem Zeigefinger eine ihrer Locken auf. „Meine liebe Ehefrau, was habe ich dir über das Weglaufen erzählt?" Er zog einmal an ihrer Strähne und erwartete eine Antwort.

„Das ich nicht vor dir weglaufen soll..."
„Und was hast du gemacht?"
„Ich bin vor dir weggelaufen..."
„Richtig!" Er zog erneut an ihrer Strähne und ließ sie dann wieder los. „Ich denke mal du weißt, dass ich dich dafür bestrafen muss, oder?" Haruka schluckte und wich seinem Blick aus. „Wie seltsam, wo ist denn deine große Klappe geblieben?" Qin Shi Huang legte den Kopf schief und lächelte sie unheimlich an. „Mal sehen, du hast mir Schlafmittel in den Tee gemischt, was mache ich denn mit dir?" Ans schlafen war ohnehin nicht mehr zu denken. Immerhin war der Kaiser viel zu aufgebracht dafür. Er schien reiflich darüber nachzudenken. „Nun gut, ich habe entschieden." Qin verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Bringt sie in die Folterkammer." Haruka wich alle Farbe aus dem Gesicht. „Was...? Das kann doch nicht dein verdammter ernst sein!"

„Ist es aber. Vielleicht lernst du es dann endlich mal." Qin Shi Huang grinste. „Bereitet schon mal alles vor. Ich komme dann gleich nach. Wir wenden Foltermethode sieben an", sagte er. Nun wurden die Wachen kreidebleich. „A...Aber Majestät, das ist doch..."
„Ich weiß. Unmenschlich! Einfach, aber sehr wirkungsvoll." Er machte eine Scheuchbewegung mit der Hand. „Husch, husch", sagte er. Haruka schrie mit Leibeskräften, während sie von mehreren Soldaten in das erste Untergeschoss gebracht wurde.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt