Reizüberflutung

78 3 2
                                    

Mit aller Kraft, zog Haruka an ihren eisernen Fesseln. Zwecklos. Sie rührten sich kein bisschen. „Lasst mich los!" Die junge Frau hatte wahnsinnige Angst, was ihr nun bevorstehen würde. Man hatte sie bis auf die Unterwäsche ausgezogen und auf der Streckbank festgebunden. Als ob ihr Hängebauch nicht schon Schande genug war. Die Kaiserin konnte Schritte von oben hören. Es war Qin Shi Huang, der trotz seiner nächtlichen Ruhestörung ziemlich gute Laune zu haben schien. „Haruka, meine Liebe. Welch seltener Anblick, dich so zu sehen." Er ging zu ihr und streichelte ihr liebevoll über das Bein, hoch über den Bauch bis zum Hals hinweg. „Du hast echt nicht mehr alle Latten am Zaun, Shin! Mach mich sofort los, oder es raucht."
„Oha? Oha? Du drohst mir? Ich glaube, du weißt nicht, in welcher Situation du dich gerade befindest." Er tippte ihr einmal liebevoll auf die Nase. „Du wirst dir damit bloß selbst wehtun, oder hast du das schon wieder vergessen?"
„Deine plötzliche Fürsorge berührt mich wirklich sehr, mein Herz. Aber keine Sorge, ich habe schon schlimmeres überstanden."

Qin Shi Huang streckte seinen Arm seitlich aus und öffnete die Hand. „Mein Folterinstrument bitte." Haruka konnte einen Laut nicht unterdrücken und musste gerade alle mentale Stärke aufbringen, um sich vor Angst nicht einzunässen. Im nächsten Moment, war sie gleichermaßen erstaunt wie verwirrt gewesen. Haruka hatte eine Schraubzwinge oder ein glühendes Eisen erwartet, aber keine Fasanenfeder. „Ich zwinge niemanden, dabei zuzuschauen. Wer gehen will, darf gehen." Tatsächlich traten ein Drittel der Anwesenden den Rückzug an. „So, meine Liebe. Dann werde ich dich jetzt solange foltern, bis du um Gnade winselst." In der nächsten Sekunde, gab die Kaiserin einen bestialischen Schrei von sich. Sie schrie, kreischte und quietschte, während sie verzweifelt versuchte, der Fasanenfeder zu entkommen. Haruka schossen die Tränen in die Augen. Sie wand sich wie ein Aal, wollte zappeln, schreien und weinen. Doch ihre Fixierung würde das nicht zulassen.

Qin Shi Huang kitzelte sie mit der Fasanenfeder äußerst sanft an den Fußsohlen, seitlich am Bauch, am Nabel und in der Halsbeuge. „A...aufhören!, kreischte sie. Die junge Frau hätte nicht gedacht, dass eine Kitzelei so schlimm sein konnte. „Du warst ein sehr böses Mädchen, Haruka." Er dachte nicht einmal daran aufzuhören. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Langsam war das nicht mehr lustig, denn mit jeder Berührung, wurden ihre empfindlichen Nerven mehr und mehr gereizt. Irgendwann fühlte sich die Feder wie eine glühende Nadel an. Bei einer äußeren Reizüberflutung, kann das Gehirn gewisse Dinge nicht mehr verarbeiten. Es war schlichtweg überfordert und man bekam Missempfindungen. Haruka fing an zu weinen. Sie flehte ihren Ehemann an aufzuhören. Qin Shi Huang kannte das Wort Gnade nicht und würde sogar noch einen oben drauf setzen. „Shin, bitte! Ich hab's ja kapiert", jaulte sie weinend. Inzwischen zuckte sie nur noch kläglich.

Lange würde das nicht mehr gut gehen, denn ihr Vagusnerv war inzwischen so dermaßen überreizt, dass er die Sinneseindrücke nicht mehr verarbeiten konnte. Eine körperliche Schutzreaktion setzte ein, indem sich der Vagusnerv abschaltete. Haruka wurde ohnmächtig. Erst jetzt ließ ihr Ehemann von ihr ab. „Majestät, Ihr habt sie bewusstlos gekitzelt." Der Kaiser reichte seinem Untergebenen die Fasanenfeder, die er sogleich an sich nahm. „Geht es Euch gut, Hoheit?"
„Ja, alles okay." Er strich seiner Ehefrau über das Gesicht. „Ich glaube, sie ist fertig mit der Welt. Hoffen wir mal, dass sie ihre Lektion gelernt hat." Qin Shi Huang befreite sie von ihren Fesseln, warf sie sich über die Schulter und brachte sie ins kaiserliche Schlafzimmer zurück. „Haruka... Haruka... ich bin wirklich beeindruckt. Du hast länger durchgehalten, als manch großer, starker Mann." Er legte sie im gemeinsamen Ehebett ab und deckte sie zu. „Jetzt schlaf erstmal ordentlich, wenn du wieder aufwachst, sehen wir weiter."

Haruka wurde irgendwann durch eine raue Zunge geweckt. Noch völlig neben der Spur, schlug sie total verwirrt die Augen auf. Das erste was sie sah, war ein rosafarbenes Näschen und das dazugehörige, weiße Fellknäuel. „Shixin, du bist es..." Die kleine Katze miaute einmal fröhlich, bevor sie ihrem Frauchen liebevoll über das Gesicht leckte. Haruka zuckte zusammen. Ihr seitlicher Bauch fühlte sich noch ein wenig empfindlich an, aber zum Glück schien sie alles unbeschadet überstanden zu haben. Sie setzte sich auf und nahm Shixin auf den Arm. Da bemerkte sie das Tablett mit dem Speisewagen, auf dem ein Teller mit Pfannkuchen und eine Vase voll weißer Lilien stand. Das waren ihre Lieblingsblumen. Daher fragte sich Haruka wirklich, woher Qin das nur wusste. Erst jetzt bemerkte sie, dass man ihren fast nackten Körper in einen flauschigen Bademantel gehüllt hatte. Shixin wurde wieder heruntergelassen. „Wie spät ist es...?" Die Sonne stand hell am Himmel, was sie daraus schließen lässt, dass es um die Mittagszeit sein musste. Immerhin war Qin Shi Huang auch nicht da gewesen.

Die Kaiserin hatte die Pfannkuchen nicht angerührt. Auch beim Abendessen, stocherte sie lustlos in ihren Nudeln herum. „Was ist denn los, Liebes? Du magst doch gebratene Nudeln." Das ist mal wieder typisch ihr Ehemann. Tut so, als wäre nichts gewesen. Haruka seufzte einmal schwer. Sie stellte ihren Teller zur Seite und schenkte sich einen Tee ein. Zwar hatte sie schon Hunger, aber keinen Appetit. „Willst du etwas anderes haben?" Sie schüttelte schweigend den Kopf. „Kann ich dich wenigstens für das Dessert begeistern?" Die Braunhaarige schenkte dem Glas, in dem sich ein Erdbeerpudding befand einen kurzen Blick. Dann seufzte sie erneut und stellte nun ebenfalls die Teetasse zurück. „Ich gehe ins Bett..." Qin Shi Huang sah ihr mit hochgezogener Augenbraue hinterher. Es gefiel ihm nicht, dass sie nichts aß. Heute Mittag nicht und jetzt auch wieder. Haruka hatte sich ins kaiserliche Schlafzimmer zurückgezogen. Dort ging sie ins Bad und sah sehnsüchtig zum geöffneten Fenster hinaus. Shixin sprang auf das innere Fensterbrett und verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit.

Haruka streichelte ihr süßes Kätzchen, woraufhin sie mit kleinen Kopfstößen und Schnurren belohnt wurde. „Ich werde hier nie wieder rauskommen, Shixin. Vielleicht sollte ich einfach springen und hoffen, dass ich mir dabei das Genick breche." Die kleine Kätzin maunzte einmal ziemlich laut. Es wirkte fast so, dass sie Haruka verstanden hatte und wollte ihr sagen: Das wirst du schön sein lassen. „Ich weiß, du hast ja recht. Was machen du und Donna ohne mich? Und Henry würde ich auch nie wieder sehen." Die Kaiserin schloss das Fenster wieder und kuschelte sich unter der Bettdecke zusammen. Shixin schien zu spüren, dass es ihr nicht gut ging und rollte sich deshalb in ihrer Halsbeuge zusammen. Während sie die weiße Katze mit den ungewöhnlichen Augen unentwegt streichelte, starrte sie nachdenklich an die Decke. „Glaubst du, es würde mir besser gehen, wenn ich ihm einfach gehorche?" Shixin interessierte das nicht großartig. Was sollte sie ihr auch für einen Rat geben? Immerhin war sie ein Tier und konnte nicht sprechen.

Haruka erschrak furchtbar, als Qin Shi Huang völlig unangemeldet ins Schlafzimmer kam. Er hatte eine Schüssel voll gebratenen Reis mit Gemüse und Hühnerfleisch dabei. Streng hielt er seiner Ehefrau diese hin. „Ich will, dass du was isst." Die Braunhaarige sah ihn an. Sie setzte sich auf, versetzte ihr Kätzchen auf den Schoß und nahm die Schale entgegen. Wortlos begann sie zu essen. Qin war verwundert, dass sie seiner Aufforderung ohne zu meckern einfach nachgekommen war. Die leere Schüssel wurde etwas später einfach auf den Nachtkasten gestellt. Der Kaiser hob ihre Decke an, um sich zu seiner Kaiserin legen zu können. Das wurde Shixin nun doch zu dumm und haute in ihren Kratzbaum ab. Statt wie üblich reißaus zu nehmen, kuschelte sich Haruka an ihn. Sie legte einen Arm und ein Bein um ihren Ehemann, bevor sie ihren Kopf an seine Schulter schmiegte. „Seit wann bist du denn so anhänglich? So kenne ich dich ja gar nicht." Entweder hatte seine Kitzelfolter ernsthaft Wirkung gezeigt, oder es steckte etwas anderes dahinter. Egal was es im Endeffekt war, Qin Shi Huang akzeptierte die Tatsache. Er erwiderte die Umarmung und kraulte ihr den Kopf dabei.

„Wollen wir die Tage auf das Mondfest gehen?", fragte er völlig unverblümt. „Ja, wieso eigentlich nicht?", stimmte sie ziemlich schnell zu. Auch das kam ihm ziemlich seltsam vor. „Hmm... wenn die Geburt von Chen Lu schon etwas länger her wäre, würde ich dich jetzt auf der Stelle vögeln", sagte er. „Was hält dich davon ab? Du machst doch eh was du willst." Plötzlich schob er sie von sich. Qin drehte sie auf den Rücken und stieg über sie, sodass sich ihre Nasenspitzen berührten. „Lass deine Psychospielchen mit mir sein, Haruka. Ich weiß ganz genau, was du vor hast. Deine hinterhältigen Tricks funktionieren bei mir nicht mehr." Seine Ehefrau konnte im ersten Moment gar nichts sagen. Er sah in ihren Augen etwas, was er nur selten bei ihr erblickt hatte: Angst. „Shin, du tust mir weh..." Sofort lockerte er seinen Griff um ihr Handgelenk, welches er gröber als beabsichtigt gepackt hatte. Er legte sich wieder hin und zog sie in seine Arme. „Entschuldige bitte, ich wollte dir nicht wehtun."

Er hauchte seiner Kaiserin einen Kuss auf die Stirn. In letzter Zeit, hatte auch er durch Überarbeitung ein erhöhtes Aggressionspotential. „Kann ich es wieder gutmachen, meine Liebe?" Haruka musste nicht lange nachdenken. „Schwöre einfach, dass du mir nie wieder wehtun wirst."
„Das kann ich dir nicht versprechen, denn das liegt alleine an dir", sagte er. Hätte ja funktionieren können. „Schön, dann kraule mir solange den Rücken, bis ich eingeschlafen bin."
„Das lässt sich eher einrichten", lachte er. Qin Shi Huang glitt mit seiner Hand unter ihren Hanfu und begann ihr sanft über den Rücken zu streicheln. Haruka ging eine Gänsehaut auf. Anders als mit der Feder, fühlte sich das wirklich gut an und es entspannte sie ungemein. Sogar so sehr, dass sie relativ schnell schläfrig wurde.

Zwei Tage später begann das Mondfest. Haruka saß gerade im Ankleidezimmer und ließ sich von Mei Ying schminken. Eigentlich wäre das Zofenarbeit gewesen, doch sie wollte sich von der Magd herrichten lassen. Qin bestand darauf, dass seine Ehefrau perfekt aussah, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigte. Erst als sie fertig war, wurde sie von einem Soldaten begleitet und zu ihrem Gemahl in die Sänfte gebracht. „Abmarsch", befahl er. Der Kaiser lächelte sie an. „Du siehst bezaubernd aus, meine Liebe." Haruka lächelte schmal. „Tue ich das nicht immer?" Da schaute er ein bisschen dumm. Mit der Antwort, hatte er wahrlich nicht gerechnet. Es war nicht das erste mal, dass Haruka das Mondfest besuchte. Und es war noch immer so bunt und farbenfroh wie damals. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, als Qin Shi Huang sie dazu genötigt hatte karamellisierte Insekten zu probieren. Sie erinnerte sich an diese köstliche Pekingsuppe, an die weichen Fleischspieße und an diesen verflixten Goldfisch, der ihr immer wieder entkommen war. Auch in diesem Jahr, wurde der Kaiser wieder sehr von seinen Untertanen in Beschlag genommen. Nur mit dem Unterschied, dass auch ihr ziemlich viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Plötzlich kam Qin seiner Frau gefährlich nahe. Er steckte sich ein Mikadostäbchen in den Mund und forderte sie dazu auf abzubeißen. „Ehh...?" Haruka schoss die Schamesröte ins Gesicht. „...Doch nicht, wenn uns alle sehen können..." Qin brummte und forderte sie erneut dazu auf. Sie schluckte und biss einmal von dem Stäbchen ab. Und noch einmal und noch einmal. Bis nur noch ein kleiner Stummel davon übrig war. Haruka schoss das Blut in den Kopf, also schob sie ihm den Rest einfach mit den Finger hinein. „Hey, du hast geschummelt!" Trotzdem ließ er es ihr durchgehen. Auf einem Fest sollte man sich amüsieren und Spaß haben. Da schien es bei Haruka an beiden Ecken zu fehlen. „Mit Verlaub, Hoheit. Aber Ihre kaiserliche Majestät scheint sich zu langweilen", sagte der Hauptmann, der ihn begleitete. Sein alter Freund sollte recht behalten, denn die Kaiserin starrte nur teilnahmslos in der Gegend herum. „Hmm..." Qin Shi Huang überlegte, wie er sie aufmuntern könnte. Er ging rasch zu einer Imbissbude, um sich dort ein paar Essstäbchen zu besorgen. „Haruka!" Er zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Der Landesherrscher steckte sich die zwei Essstäbchen hinter die Oberlippe und ahmte die Geräusche eines Walrosses nach. Hauptmann Quan holte seinen Flachmann heraus und trank einen großen Schluck daraus, während er drei Kreuzzeichen machte. Qin Shi Huang machte sich in aller Öffentlichkeit zum Gespött, nur um sie aufzumuntern. Und es funktionierte. Haruka hielt sich die Hand verstohlen vor den Mund und fing an zu lachen. „Was machst du denn da, Shin? Das gehört sich aber ganz und gar nicht...", lachte sie. „Ach komm, das ist doch lustig gewesen. Außerdem hat es dich zum lachen gebracht." Die chinesische Bevölkerung schien das ähnlich zu sehen. Nun konnte die Kaiserin das Fest wieder mehr genießen. Allerdings hielt diese Freude nicht sehr lange an, denn sie war so an das isolierte Leben im Palast gewöhnt, dass die vielen Menschen, die bunten Lichter und die laute Musik eine erneute Reizüberflutung bei ihr auslösten. Haruka bekam gerade noch das Gewand ihres Mannes zu fassen. „Was ist los, meine Liebe?" Sie war leichenblass geworden. „...Mir geht's nich' gut...", stöhnte sie. Da rollten sich schon ihre grünen Augen nach oben und fiel ihm ohnmächtig in den Arm. „Haruka!" Qin konnte sie glücklicherweise auffangen. Zügig nahm er sie auf den Arm, um zurück zur Sänfte und somit zu Jiang Li zu eilen.


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt