Geboren um zu leben

82 8 2
                                    

Eine Woche ist seit der Geburt von Chen Lu vergangen. Haruka lag noch immer im Bett des kaiserlichen Schlafzimmers und hatte dieses nur verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Qin Shi Huang hatte auf die Schnelle keine Amme gefunden und war daher gezwungen, seine Tochter mit Pulvermilch zu füttern. Immerhin weigerte sich seine Ehefrau weiterhin hartnäckig, ihre nahrhafte Muttermilch herzugeben. Der liebende Vater legte das kleine Würmchen über seine Schulter und ließ sie ein Bäuerchen machen. Danach durfte sie die zweite Hälfte der Flasche gar austrinken. „Ihr macht das großartig, Majestät, sehr vorbildhaft." Der Kaiser lächelte, küsste seine kleine Prinzessin und legte sie wieder zum schlafen hin. Natürlich könnten all diese Aufgaben auch die Zofen übernehmen, doch Qin bestand darauf, es selbst zu machen. „Könntest du ein paar Stunden auf Chen Lu aufpassen, Ming Ming?"
„Selbstverständlich, Majestät. Ich werde gut auf die Prinzessin achten." Qin Shi Huang wusste seinen kleinen Schatz in den besten Händen. „Sehr schön! Ich muss etwas wichtiges erledigen. Pass gut auf sie auf."

Haruka war damit beschäftigt ein Buch zu lesen. Sie sah auf, als sie etwas rotes aus dem Augenwinkel bemerkt hatte. „Überraschung", sagte ihr Ehemann und hielt ihr einen riesigen Rosenstrauß entgegen. Die Kaiserin schenkte dem absolut keine Beachtung, sondern steckte ihre Nase wieder in ihr Buch zurück. „Komm schon, meine Liebe, wie lange willst du denn noch schmollen?" Haruka ignorierte ihn. „Ich weiß, dass du mich gehört hast. Bist du immer noch sauer, weil ich dich vernachlässigt habe?" Genervt schlug die Braunhaarige ihr Buch zusammen. „Ich hasse Rosen! Nimm sie wieder mit und verschwinde", brummte sie schlecht gelaunt. „Oha? Oha? Was für eine herzlose und undankbare Person du doch bist. In all der Zeit, hast du Chen Lu nicht einmal besucht. Dabei ist der Kontakt zur Mutter gerade in den ersten Monaten so wichtig." Haruka warf ihm einen zornigen Blick entgegen. „Ich bin nicht ihre Mutter", knurrte sie feindselig. „Du brauchst dem kleinen Monster also gar nicht erst beizubringen, mich Mama zu nennen." Diese herzlosen Worte schmerzten Qin wirklich sehr, denn es war noch schlimmer als er gedacht hat. Haruka hasste ihr eigenes Kind und hatte es verstoßen.

„Haruka, ich verstehe dich einfach nicht. Ein Kind ist eine wunderbare Sache, wieso verhältst du dich Chen Lu so gegenüber? Sie kann doch nichts dafür, dass ihre Eltern sie gezeugt haben, oder etwa doch?" Die Braunhaarige brach in schallendes Gelächter aus. „Du meinst wohl, dass DU sie gezeugt hast. Ich wollte sie von Anfang an nicht haben. Ich wollte nie einen Ehemann oder Kinder. Ich wollte immer frei und unabhängig sein. Ich wollte nur meine Großeltern besuchen. Aber nein – dann kam mir so ein nerviger Kaiser in die Quere, der meint alles kaputt machen zu müssen. Und dann wunderst du dich ernsthaft, warum ich mich so sehr dagegen sträube? Bist du eigentlich wirklich so dumm, oder tust du nur so? Mich würde schon sehr interessieren, wie sich seine kaiserliche Hoheit fühlen würde, wenn man ihn aus seinem gewohnten Leben reißen und in ein anderes Land verschleppen würde." Qin Shi Huang schwieg. Er ließ achtlos die Rosen zu Boden fallen, drehte sich um und ging. „Idiot...", knurrte sie ihm noch hinterher. Der Kaiser kehrte in das Kinderzimmer zurück. „Der Schuss ging wohl nach hinten los", lachte er. „Ich wollte meiner lieben Ehefrau eine Freude bereiten, stattdessen hat sie mir einen Korb gegeben."

Qin schüttelte einfach verständnislos den Kopf. „Sie hat noch immer nicht begriffen, dass wir durch den roten Schicksalsfaden miteinander verbunden sind. Ich weiß einfach, dass es so ist. Ich spüre so etwas." Der junge Vater schenkte seiner Tochter einen Blick voller Liebe. Er verstand einfach nicht, wie man so etwas unschuldiges nur hassen konnte. „Ihr solltet Eurer Gemahlin noch etwas mehr Zeit geben, Hoheit. Die Geburt der Prinzessin ist erst eine Woche her. Ich bin mir sicher, dass Ihre Majestät sich noch an sie gewöhnen wird." Das gab Qin neuen Mut daran zu glauben. Es hatte zwar seine Zeit gedauert, doch immerhin hatte sich Haruka an das Leben im Palast gewöhnt. Sie hatte seitdem auch keine Fluchtversuche mehr unternommen. „Hast du sonst noch einen guten Rat für mich, Ming Ming?" Normalerweise war der kaiserliche Berater mit dieser Aufgabe der richtige Ansprechpartner. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass der Kaiser seiner Oberzofe blind vertraute.

„Mit Verlaub, Majestät. Druck erzeugt in der Regel Widerstand. Ich kann Euch also nur raten Eurer Gemahlin genug Zeit und Freiraum zu lassen. Überrascht sie doch einmal mit etwas schönem. Die Geburt eines Kindes ist für eine Frau extrem anstrengend. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kaiserin einfach noch sehr gestresst ist. Helft ihr sich entspannen zu können und zeigt ihr, damit sie Euch wichtig ist." Qin Shi Huang dachte über diese Worte nach. „Das ist leichter gesagt als getan, Ming Ming. Jedes mal wenn ich ihr zu nahe komme, fährt sie ihre Krallen aus. Aber genau das könnte der Schlüssel zur Lösung des Problems sein." Der Kaiser schenkte seinem Kind einen weiteren, liebevollen Blick. Sanft strich er ihr über das kleine Köpfchen. „Schon bald werde ich dich meinem Volk zeigen. Egal wie viel Zeit deine Mutter auch brauchen wird. Du wurdest geboren, um zu leben."

Haruka konnte in dieser Nacht nicht gut schlafen. Sie wälzte sich hin und her, bis sie es schließlich aufgab. Die Braunhaarige setzte sich auf, bevor sie das Nachtlicht anschaltete. „Shin?" Ihr Ehemann war nicht da gewesen. Die Seite seines Bettes, war vollkommen unberührt. Das verwunderte Haruka nun doch, denn normalerweise pirschte er sich jeden Abend zum kuscheln heran. Von Shixin fehlte auch jede Spur. Wahrscheinlich war die schneeweiße Kätzin irgendwo im Palast unterwegs. Die Kaiserin konnte sich nicht vorstellen, dass ihr dummer Ehemann sie schon wieder zu Suppe verarbeiten wollte. Nun doch ein wenig beunruhigt, schälte sie sich aus dem Bett heraus, um seit über einer Woche das Zimmer zum ersten mal wieder zu verlassen. Die positionierten Nachtwachen tauschen einen erstaunten Blick miteinander aus, sagten jedoch nichts. Haruka schlich die Treppe herunter, um vor ihrem alten Zimmer stehen zu bleiben. Natürlich – warum war sie nicht schon vorher darauf gekommen? Mit hoher Wahrscheinlich, schlief dieser arrogante Affe im Kinderzimmer mit. Es juckte Haruka in den Fingern nachzusehen, hatte gleichzeitig aber keinerlei Interesse daran, das kleine Monster zu erblicken, welches ebenfalls hinter dieser Tür lauerte. Also verwarf sie diesen Gedanken und ging achtlos weiter, während sie die brennenden Blicke der Wachen im Rücken spürte.

Ungehalten ging die Kaiserin auf den Balkon. Ihr fegte der frühe Herbstwind um die Ohren, der sie erzittern ließ. Haruka fror hier draußen armselig und gleichzeitig gab es ihr das Gefühl, noch am Leben zu sein. In letzter Zeit, fühlte sie sich nur noch wie eine leblose Porzellanpuppe. Wie eine willenlose Marionette, deren Handlungen von einem anderen gesteuert wurden. Und dreimal dürfte man raten, wer ihr Puppenspieler war. Haruka lehnte sich über die Brüstung und sah nach unten. Dort erblickte sie einzelne Lichter, die von den Laternen der Wachen stammten. Von hier oben sahen sie so klein und unbedeutend aus. Plötzlich legte sich eine warme Decke um sie, weshalb sie erschrocken herumwirbelte. „Haruka, was machst du hier draußen? Komm wieder herein, du erkältest dich sonst noch." Die anfänglich neutrale Laune der Kaiserin, sank mit einem mal in den Keller. „Als ob es dich wirklich interessieren würde. Geh lieber wieder zu deinem kleinen Monster zurück." Trotz ihrer Zurückweisung, zog sie die Decke enger um sich. „Oha? Oha? Höre ich da einen Anflug von Eifersucht aus deiner Stimme heraus?"
„Ich und eifersüchtig? Träum mal schön weiter..."
„Träumen wird man ja wohl noch dürfen. Geh wieder ins Bett, meine Liebe. Du weißt genau wie sehr ich es hasse, wenn du nachts alleine durch den Palast streunst."

Um eine ewig lange und vor allem sinnlose Diskussion zu vermeiden, hatte Haruka diesmal nachgegeben und ist ins kaiserliche Schlafzimmer zurückgegangen. Zu ihrem absoluten Erstaunen, folgte Qin ihr nicht, sondern sie hatte das ganze Zimmer für sich allein. Zugegeben: Es fühlte sich gewissermaßen seltsam an, dass er nicht da war. Im Laufe der Monate, hatte sich die Braunhaarige daran gewöhnt, dass ihr nerviger Ehemann ständig in der Nähe war. Und jetzt wo sie wirklich einmal ihre Ruhe vor ihm hatte, fühlte sie sich irgendwie einsam und allein gelassen. Oder es lag an der Dunkelheit der Nacht, die Haruka noch immer Angst einjagte. Mit einem kreisenden Gedankenkarussell, versuchte sie wieder einzuschlafen, was ihr allerdings erst nach mehreren Stunden geglückt war.

Am nächsten Morgen, lag Shixin zusammengerollt zwischen ihren Beinen und schlief. Die hübsche Kätzin mit den ungewöhnlichen Augen musste unbemerkt von den positionierten Wachen hereingelassen worden sein. Es war nicht das leise Schnurren oder die leichten Bewegungen von Shixin, die Haruka weckten, sondern ein dezent süßlicher Geruch, der ihr penetrant in die Nase zog. Völlig übermüdet, wachte die Kaiserin auf. Neben ihr am Bett stand ein Speisewagen, der den Ursprung des Duftes bildete. Auf einem Teller lag ein Stapel fluffiger Pfannkuchen. Daneben stand eine kleine Karaffe mit Ahornsirup und eine weitere Karaffe mit gesüßter Kondensmilch gefüllt. Haruka zog die Augenbrauen zusammen. Auf einem Stövchen stand eine dampfende Tasse voll Kaffee, die ihr köstliches Aroma verbreitete. Daneben fand sie eine kleine Karte auf der in chinesischen Schriftzeichen 'Guten Morgen, mein Sonnenschein' geschrieben stand. Mittlerweile konnte sie die Sprache sowohl sprechen, als auch lesen. „Hat der Lack gesoffen? Was stimmt denn mit dem nicht?" Normal bekam sie immer Congee oder Baozi zum Frühstück. Aber Pfannkuchen waren da eine absolute Seltenheit. Haruka liebte Pfannkuchen und hatte Ning Chao öfter wie einmal bestochen, dass er ihr welche machen soll. Das Beste wäre, es einfach nicht zu hinterfragen, sondern einfach für einen kleinen Moment glücklich zu sein.

Haruka ließ sich reichlich Zeit beim essen. So konnte sie es länger genießen. Eine gute Stunde später war sie fertig und wollte sich gerade ankleiden, als Qin Shi Huang völlig unangemeldet in den Raum platzte. Die Kaiserin gab einen Schreckensschrei von sich, während sie ihre nackten Brüste verdeckte. „Was zur Hölle machst du denn hier?"

„Oha? Oha? Soweit ich weiß ist das mein Schlafzimmer. Außerdem wollte ich dich abholen lassen", sagte er. Haruka wich instinktiv ein paar Schritte zurück. „Abholen für was?" Er gab ihr keine Antwort, sondern grinste sie nur an. Der Kaiser legte seiner Angebeteten rasch eine dünne Decke über den Körper. „Wachen, ergreift sie!" Fünf Sekunden später, kam der Soldat in das kaiserliche Schlafzimmer, um den Befehl seines Herrschers Folge zu leisten. „Verzeihung, Hoheit, darf ich?" Er legte eine Hand auf ihren Rücken und die andere an die Kniekehlen, um sie hochzunehmen. „Was? Nein, lass mich runter, lass mich sofort runter!" Haruka schrie und zappelte, während ihr Ehemann ihr nur dreist hinterherwinkte. „Bye-Bye", sagte er und schloss die Tür wieder. Er konnte sie noch einen Moment lang fluchen und schimpfen hören. Dann ließ sich der Kaiser die Finger knacksen. „Gut, dann fangen wir mal an..."


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt