Erlösung und Gift

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Hallo, Freunde!
Ich hab heute Geburtstag und zur Feier des Tages, gibt es heute ein Extrakapitel als Geschenk für euch. Am Sonntag kommt wie gewohnt das nächste Kapitel. Viel Spaß beim lesen!

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Haruka sah sich überrascht und mit großen Augen im Spiegel an. Skeptisch strich sie über den Stoff, der sie stark an den eines Badeanzuges erinnerte. Mei Ying hatte ihr eine Art Bademantel angezogen, dessen offene Seiten durch einen Reißverschluss geschlossen werden konnten. „Aber... wieso...?", fragte sie. „Seine kaiserliche Majestät besteht darauf, Euch vor der Eheschließung nicht unbedeckt zu sehen." Haruka wurde noch ein großes Handtuch um den Körper gelegt, bevor die niedere Dienerin sie in sein privates Badezimmer führte. Mei Ying klopfte an. „Majestät? Die werte Dame ist hier."
„Gut, schick sie herein." Es war nicht das erste mal, dass sie das kaiserliche Badezimmer sah. Dennoch war die Badewanne von Qin Shi Huang deutlich größer, als die in den anderen Sanitärräumen. „Haruka, meine Liebe, komm her zu mir." In dem Raum duftete es nach Lavendel und Rosenholz. Ein öliger Film an der Wasseroberfläche verriet ihr, woher der angenehme Geruch kam. Allerdings war das nicht das einzige, was die junge Frau verblüffte.

Neben dem dufteten Badeöl, schwammen auch noch spezielle Schwimmkerzen und getrocknete Rosenblätter in der Badewanne herum. „Gott, ist das kitschig...", murmelte sie leise. „Wie bitte, du findest es kitschig?"
„Nein, das habt Ihr Euch mit Sicherheit nur eingebildet." Qin Shi Huang schmunzelte. Auch wenn sie es nur so vor sich her gebrabbelt hatte, funktionierten seine Ohren sehr gut. Für einen Moment hatte der Kaiser die Hoffnung, dass Haruka wieder ganz die Alte wurde. Diese wurde genauso schnell wieder vernichtet, wie sie entstanden war. „Verzeihung, ich hätte das nicht sagen sollen..." Sie seufzte einmal lautlos und legte nun ihr Handtuch in das Waschbecken. „Was ist mit Eurem Arm passiert?"
„Nichts schlimmes, nur ein dummer Unfall." Qin Shi Huang bot ihr die Hand an, um ihr in die Wanne zu helfen. Haruka stieg hinein und ließ sich im warmen Wasser nieder. Sofort zog sie die Beine an, um ihm mehr Platz zu lassen.

Sie konnte nicht hinsehen, als er begann sich zu entkleiden. Zumindest besaß der Kaiser so viel Anstand, um seine Unterwäsche anzubehalten. Er setzte sich ihr gegenüber und lächelte sie charmant an. „Haruka, sei nicht so schüchtern. Streck deine Beine aus." Sie zögerte. „Na komm schon, so erinnerst du mich mehr an einen zusammengerollten Igel." Sie zögerte noch immer, kam seiner Bitte zwei Minuten später jedoch nach. Die Braunhaarige legte ihre schlanken Beine auf seinen eigenen ab. Dabei konnte sie seine Hand spüren, die immerzu ihre Schienbeine streichelte. Dabei achtete er penibel darauf, den verwundeten Arm nicht ins Wasser zu tauchen. Eine tiefe Stille entstand. „Haruka, meine Liebe, für unsere Hochzeit, werden wir nach Zentralchina reisen. Freust du dich?" Sie hatte ihren Kopf leicht auf ihrer Hand abgestützt, während sie leer vor sich her starrte. „Ja, total...", sagte sie schließlich.

„Besonders überzeugend klang das aber nicht", stellte der Kaiser fest. Haruka seufzte. „Bitte verzeiht mir, dass ich darüber jetzt nicht in Jubel ausbreche." Qin lachte einmal beherzt. „Ach, Haruka... du bist einfach wunderbar..." Die junge Frau stupste eine Schwimmkerze an, die darauf ihren Kurs änderte und zu ihrem Entführer hinüberschwamm. „Ganz schön warm hier drinnen, was?" Plötzlich und völlig ohne Vorwarnung, zog sich Qin Shi Huang die Augenbinde vom Kopf. Seine rubinroten Augen kamen zum Vorschein, die Haruka durchdringend ansahen. „So ist es besser", sagte er. Der jungen Frau ging eine starke Gänsehaut auf. Sie verspannte sich, schwitzte und fror zugleich. „Majestät, bitte legt Eure Augenbinde wieder an."
„Wieso denn? Du kennst mein Geheimnis nun und so sehe ich dich besser." Haruka's Herzschlag beschleunigte sich. Sie fing an zu hyperventilieren und bekam fast keine Luft mehr. „Alles okay, meine Liebe?" Phantomschmerzen setzten ein. Haruka konnte wieder ihre wunden Füße und ihren offenen Rücken spüren. Auch wenn sie instinktiv wusste, dass da nichts war, tat es trotzdem wieder weh.

Sie bildete sich ein, dass ihre Gliedmaßen langsam taub und steif wurden. Ein seltsames Gefühl kroch ihr über den Rücken, bis Haruka ihre Panikattacke nicht länger unterdrücken konnte. Sie stieß einen lauten Schrei aus, sprang aus der Badewanne, um kurzerhand die Flucht zu ergreifen. „Haruka, komm zurück! Du hast dein Handtuch vergessen." Die Braunhaarige stürmte wie ein wild gewordener Bulle die Treppe herunter. Sie schubste eine Wache aus dem Weg, rannte den Gang entlang und floh in ihr Zimmer hinein. Auf dem Weg dorthin, hatte sie eine gut sichtbare Wasserspur hinterlassen. „Hmm... also hatte ich doch recht...", murmelte der Kaiser. Haruka hatte sich stark zitternd in ihrem Bett zusammengerollt. Mit weit aufgerissenen Augen, starrte sie angsterfüllt die Wand an. Er würde zu ihr kommen und sie für ihr Fehlverhalten wieder bestrafen. Sie wusste das einfach. Haruka schrie auf, als die Tür geöffnet wurde. Sie griff nach ihrer Nachttischlampe und schleuderte sie dem Besucher entgegen. Jiang Li konnte dem Wurfgeschoss in allerletzte Sekunde noch ausweichen.

„Um Himmels Willen, Lady Haruka, was soll denn das?" Der kaiserliche Arzt kam näher. „Nein, geh weg von mir!" Als nächstes krallte sie sich die Vase, die ebenfalls als Kanonengeschoss zweckentfremdet wurde. Sie schmiss sämtliche Gegenstände nach ihm, die nicht Niet und Nagelfest waren. „Raus! Geh weg von mir", kreischte sie hysterisch. Jiang Li musste ein paar Wachen um Hilfe bitten. Die drei starken Männer hielten sie fest. Sie mussten alle Kraft aufbringen, um die randalierende Frau zu fixieren. „Lasst mich los, ich hasse euch alle!" Der kaiserliche Arzt zog eine klare Flüssigkeit in einer Spritze auf. Haruka schrie noch lauter, als Jiang Li ihr die Lösung injizierte. Da dauerte es nicht lange, bis ihre Gegenwehr endete und sie binnen weniger Sekunden unglaublich ruhig wurde und einschlief. Qin Shi Huang, der gerade den Raum betrat, starrte Jiang Li boshaft an. „Was hast du ihr da gerade gegeben?", knurrte er.

„Ein Beruhigungsmittel, Hoheit. Ich wollte Lady Haruka untersuchen, so wie Ihr es wolltet. Aber sie hat sich wie eine wild gewordene Amazone aufgeführt." Der Kaiser legte einen Finger nachdenklich ans Kinn. „Das mit der Schocktherapie könnte unter Umständen doch etwas schwierig werden", sagte er. Sanft strich er Haruka durch ihr Haar. „Hier ist ja alles noch ganz nass. Raus, und zwar alle." Qin ließ Mei Ying zu sich rufen. „Kümmer dich darum", befahl er. „Jawohl, Eure Hoheit. Ich werde das sofort erledigen." Die einfache Magd, zog der sedierten Haruka das nasse Badegewand aus und kleidete sie frisch ein. Qin Shi Huang persönlich, brachte seine Auserwählte in sein persönliches Schlafzimmer. Währenddessen konnte Mei Ying die nassen Bettsachen durch trockene ersetzen. Sie brachte die Bettwäsche in den Wäscheraum, woraufhin sie gleich neue für den nächsten Überzug mitnahm. Haruka erwachte ein paar Stunden später in ihrem frisch bezogenen Bett. Neben ihr stand ein Speisewagen, auf dem ein Tablett mit Essen stand. Sie zog die Speiseglocke ab. Der milde Geruch von einer Gemüsesuppe schlug ihr entgegen.

Haruka nahm den Löffel und begann zu essen. Sie bemerkte erst jetzt, wie ausgehungert sie eigentlich war. Da hielt sie plötzlich inne, sah sich im Raum um und aß dann weiter. „Nein, da war nichts..." Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. „Werte Dame, seit Ihr wach?"
„Ja...", antwortete sie zögernd. Mei Ying kam herein. Sie stellte eine Kanne mit Tee auf den Tisch. „Schön, dass es Euch besser geht. Braucht Ihr noch etwas?" Die Braunhaarige schüttelte den Kopf. „In Ordnung. Ruft einfach, wenn Ihr mich braucht." Haruka leerte ihren Teller und gab die Speiseglocke wieder oben drauf. Jetzt wo sie etwas warmes im Magen hatte, ging es ihr schon deutlich besser. Doch wie es nun mit ihr weitergehen sollte, das wusste sie nicht.

Drei Tage sind vergangen. Qin Shi Huang reichte Haruka die Hand, um ihr in die Kutsche zu helfen. Sie umfasste die angebotene Stütze und sah verwirrt nach links, da dort ein zweites Gespann stand. „Wir werden diesmal etwas länger unterwegs sein, daher nehme ich einen Versorgungstrupp mit", beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. Haruka stieg nun ein und setzte sich. Der Kaiser nahm ihr gegenüber seinen Platz ein. „Abmarsch", befahl er. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Schon bald würden sie Handan verlassen und nach Zentralchina unterwegs sein. Je weiter sie aus der Stadt herauskamen, umso dicker wurde die Schneedecke, die sich über das Land gelegt hatte. Der Winter war immer Haruka's liebste Jahreszeit gewesen, doch nun würde er ihr nur noch Kummer und Schmerz bereiten. Die Braunhaarige sah mit leeren Blicken und wirren Gedanken zum Fenster hinaus. Sie beobachtete die Landschaft, wie sie langsam, aber stetig an ihr vorbei zog. „Dir ist sicher kalt, meine Liebe. Lass uns ein bisschen kuscheln." Sie antwortete ihm nicht. „Ich werde einen Tee kochen, mit Sicherheit hättest du auch gern eine Tasse", sagte er nach einer Weile. Auch darauf ging sie nicht ein. „Lass uns ein paar Runden Mahjong spielen, dann vergeht die Zeit ein bisschen schneller." Keine Reaktion.

Qin Shi Huang bekam eine Wutader an der Schläfe. „Ignorierst du mich etwa?"
„Nein, Majestät, ich habe jedes Wort gehört", sagte sie. „Und wieso antwortest du mir dann nicht?" Haruka löste ihren Blick vom Fenster und sah ihn an. „Weil es mir nicht relevant erschien. Wieso befehlt Ihr mir nicht einfach alles? Das könnt Ihr doch so gut." Der Kaiser erhob eine Augenbraue an. „Ganz schön frech von dir..." Die junge Frau wandte den Blick wieder ab und sah erneut zum Fenster raus. Haruka kümmerte sich nicht weiter darum. „Also was ist, willst du einen Tee oder nicht?"
„Nein, vielen Dank, Majestät." Zwei Stunden waren sie schon unterwegs. Schnee über Schnee war zu sehen. Haruka hätte nicht gedacht, dass es in China so viel davon geben könnte. Der Kaiser brummte einmal unzufrieden, sagte aber nichts weiter dazu. So langsam wurde die Braunhaarige schläfrig. Immer wieder, fielen ihr kurzzeitig die Augen zu. Sie blinzelte und kämpfte dagegen an. Wenn man müde ist, konnte der Verstand einem böse Streiche spielen. Haruka hatte sich die kleine Bewegung im Schnee sicher nur eingebildet. Sie blinzelte. Da war sie schon wieder gewesen. Nein – Haruka hatte sich das gewiss nicht eingebildet.

„Anhalten! Sofort anhalten!", schrie sie und schlug gegen die Kutsche. Qin Shi Huang war ähnlich wie der Kutscher sehr überrascht. „Haruka, meine Liebe, was hast du auf einmal?" Sie sprang sofort aus der Kutsche heraus und Qin stürmte ihr hinterher. „Bleib stehen! Wo willst du hin?" Haruka stampfte durch den Schnee. „Wo war es...?" Sie blickte in das weiße Bodenglitzern. „Was tust du da bitte, meine Liebe?"
„Ich habe eine Bewegung im Schnee gesehen." Die Braunhaarige suchte weiter und dann endlich – da war sie wieder. Eine kleine Bewegung im Schnee. Sie griff nach unten und bekam tatsächlich etwas zu fassen. „Oh mein Gott...", sagte sie sichtlich berührt, als sie einen kleinen, weißen Fellball in den Händen hielt. Haruka hatte ein verwaistes Kätzchen gefunden. Es war so klein, dass es beinahe vollständig in ihre Hand hinein passte. Das wehrlose Tier schrie laut um Hilfe, miaute immer wieder und weinte so herzzerreißend, dass selbst der Kaiser schwach wurde. Kleine Schneebälle, hingen in ihrem zotteligen, ungepflegten Fell. Das kleine Kätzchen war recht mager und wirkte allgemein sehr schwach. „Unglaublich, dass du sie mit dem weißem Fell im Schnee überhaupt gesehen hast", kommentierte Qin.

Haruka konnte nicht anders. Sie nahm das halb erfrorene Tier mit in die Kutsche und packte es unter ihren Winterhanfu. „Aua", fiepste sie sogleich überrascht. „Sie hat mich gezwickt." Der Kaiser legte den Kopf schief. „Wahrscheinlich hat sie Hunger." Qin Shi Huang dachte einen Moment nach. „Ich habe eine Idee", sagte er schließlich. „Wir machen eine Pause, stellt den Reisekocher auf", befahl er. Eine halbe Stunde später, hing das verwaiste Kätzchen über einem Teller, und schlang ausgehungert einen gedämpften Fisch in sich hinein. Es maunzte und schmatze, legte die kleinen Pfoten auf sein Futter. Haruka war schockverliebt. Sie beobachtete das Kätzchen. Qin fiel auf, dass seine Auserwählte seit langem das erste mal wieder lächelte. Er wusste genau, dass sie den weißen Fellball nicht mehr hergeben wird. Ihre ungewöhnliche Schönheit, wurde nicht nur durch das reinweiße Fell unterstrichen. Auch die zwei verschiedenfarbigen Augen zeigten, dass dieses Tier etwas ganz Besonderes war. „Und?", fragte Qin. „Wie willst du sie nennen?" Kaum hatte sie den Fisch aufgefressen, nahm Haruka die kleine Mieze auf den Arm. Sie schnurrte hörbar und schien dankbar für Essen und Wärme zu sein. „Ich denke, dass Shixin ein schöner Name wäre", sagte sie. „Was? Den habe ich mal in einem Buch gelesen." Dennoch hatte ihr neues Haustier auch eine Schattenseite. Für die frisch getaufte Shixin war es eine Erlösung und für Haruka war es Gift. Denn nun hatte Qin Shi Huang ein weiteres Druckmittel, welches er gegen sie einsetzen konnte.


(Artwork by Lys-Chan)


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt