Fehlende Liebe

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Der Himmel brannte an diesem Abend lichterloh. Die untergehende Sonne, tauchte das Land in ein zauberhaftes Rot. Haruka saß auf dem Balkon in einem Schaukelstuhl und starrte in die Ferne. Mit einem völlig emotionslosen Blick, lagen ihre Hände auf dem runden Babybauch, der sich in den letzten Monaten immer weiter ausgebildet hatte. Obwohl die Kaiserin versuchte das unschuldige Kind loszuwerden, war sie kläglich daran gescheitert. Ihr gesundes Gewissen, hatte sie daran gehindert. Zu gewichtig waren die Worte des Arztes gewesen. Haruka hatte ihr Schicksal akzeptiert. Noch drei Wochen, dann würde sie ihr Kind zur Welt bringen. Qin Shi Huang öffnete die Balkontür und kam zu ihr. „Komm herein, Liebes. Du erkältest dich sonst noch." Der Sommer neigte sich dem Ende zu, weshalb die Nächte schon recht kalt werden konnten. Haruka stand auf und ging in den Palast zurück. Qin legte einen Arm um sie und begleitete sie ins gemeinsame Schlafzimmer. „Bist du auch schon gespannt, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?"

Schon eine ganze Weile, sprach die Kaiserin kaum noch. Das bekam auch ihr Ehemann zu spüren. Sie zeigte weder Freude, Wut noch Trauer, sondern wirkte eher wie eine leblose Marionette. Der Kaiser hatte keine Antwort erwartet und war trotzdem enttäuscht. „Ich wünschte, du würdest wieder mehr mit mir reden. Beleidige mich, schrei mich an, aber bitte rede mit mir." Haruka blieb stehen. Für einen kurzen Moment hatte Qin die Hoffnung, dass sie ihre spitze Zunge wiederfand. Doch sie hatte nur einen kurzen, kalten Blick für ihn übrig. Dann ging sie weiter und verschwand im Schlafzimmer. Er seufzte. „Wann hat sie sich nur so verändert?" Im kaiserlichen Ehebett, kuschelte sich Qin Shi Huang von hinten an sie. Dabei legte er seine Hand auf ihren Bauch. Haruka ließ die Berührung zu. „Kannst du wieder nicht schlafen?" Immer wenn die Braunhaarige zur Ruhe kam, hielt ihr Baby sie wach. Es bewegte sich in ihr, boxte und strampelte als wolle es sagen: Hallo, hier bin ich. Zumindest hatte der werdende Vater eine gute Methode gefunden, um seiner Frau ein bisschen Erleichterung zu verschaffen.

Er legte seinen Kopf an ihren Bauch, streichelte ihn sanft und sang seinem Kind leise ein chinesisches Schlaflied vor. In den meisten Fällen beruhigte sich das ungeborene Wunder wieder und hielt seine Mutter nicht länger vom Schlafen ab. „Na also, so ist es doch schon besser, oder nicht?" Das Baby hatte aufgehört zu strampeln. Es erkannte inzwischen die Stimme seines Vaters, die eine beruhigende Wirkung auf das Kleine hatte. Qin hauchte seiner Ehefrau einen letzten Kuss auf den Bauch, dann kroch er wieder hinter sie. „Versuch ein bisschen zu schlafen, meine Liebe. Morgen wartet wieder ein langer Tag auf uns." So vergingen die Tage, einer nach dem anderen. Wenn Haruka nicht gerade am Essen oder schlafen war, verbrachte sie ihre Zeit im Schaukelstuhl und starrte sehnsüchtig in den Horizont.

Inzwischen wurde die Kaiserin rund um die Uhr von einer Zofe und zwei Wachen begleitet, denn ihr könnte jede Sekunde die Fruchtblase platzen. Kinder wollen oft unangekündigt zur Welt kommen, daher hatte der Kaiser für den Notfall einen Geburtsraum einrichten lassen. An einem warmen Frühherbsttag, erhob sich Haruka aus ihrem Schaukelstuhl, um zur Toilette zu gehen. Ihre Zofe gab ihr dabei Hilfestellung, damit sie sich nach der Notdurft wieder besser anziehen konnte. Auf dem Weg zurück zum Balkon, wurde der Kaiserin plötzlich ganz komisch. Sie fühlte sich plötzlich sehr schwach und spürte nur einen Moment später Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln. Die beiden Wachen stützten sie umgehend, während die Zofe aufgeregt davon rannte. „Eure kaiserliche Hoheit!" Seine Untergebene stürmte in den Thronsaal und warf sich vor ihrem Herrscher auf die Knie. „Es kommt... die Fruchtblase ist gerade geplatzt!"

Qin Shi Huang schmiss die Schriftrolle in die nächste Ecke und ließ sich von seiner Zofe zu seiner Ehefrau bringen. „Haruka, alles in Ordnung?" Ihr klebte der Schweiß auf der Stirn und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. „Sehe ich so aus? Tu gefälligst etwas", stöhnte sie. Das waren die ersten Worte, die sie seit langem an ihn gerichtet hatte. Der Kaiser klatschte sich die Hände ins Gesicht. „Okay, ganz ruhig...", sagte er. „Ihr beide bringt sie in den Geburtsraum. Lilia, du gehst Jiang Li und die Hebamme holen und ich werde ihr seelischen Beistand leisten. Na los, trödelt nicht, zacki, zacki."

Jiang Li kam in Rekordzeit von der Krankenstation in den Geburtsraum gerannt. „Du liebe Güte, das kaiserliche Baby hat es aber auf einmal eilig!" Der erfahrene Arzt tastete den Bauch der Kaiserin ab und untersuchte sie. „Scheint soweit alles so zu sein, wie es sein soll. Der Kopf liegt am Muttermund und das Herz schlägt kräftig. Jetzt heißt es warten." Jiang Li sah seinen Kaiser an. „Bei allem Respekt, Majestät, aber denkt an Eure Spiegelberührungssynästhesie. Ich halte es für besser, wenn Ihr den Raum verlasst. Wir machen das schon, habt keine Angst." Qin Shi Huang blies sich auf wie ein Kugelfisch. „Du hast doch den Schuss nicht gehört, Jiang Li. Ich pfeife auf meine Spiegelberührungssynästhesie. Oder glaubst du etwa wirklich, dass ich Haruka das alleine durchstehen lasse? Das kannst du dir abschminken. Immerhin habe ich ihr das erst angetan." Der Kaiser ging zu ihr und nahm ihre Hand. „Ich bin da, Liebes. Ich lass dich nicht allein." Jiang Li stöhnte. „Wie Ihr wollt, Majestät, ich habe Euch gewarnt."

Stunden vergehen. Im ersten Moment hatte es das Baby eilig und im zweiten ließ es auf sich warten. Qin Shi Huang ging unruhig im Raum umher. Wahrscheinlich war er nervöser als Haruka gewesen. Die Hebamme ging noch einmal nachschauen. „Der Muttermund ist zehn Zentimeter offen, lange kann es nicht mehr dauern." Wie auf ein stilles Kommando, setzte die erste Presswehe ein. Haruka fing an zu schreien und auch ihr Ehemann bekam trotz seiner Augenbinde die volle Dosis zu spüren. „Verdammt, ist das heftig...", stöhnte er. Trotzdem riss er sich für sie zusammen. Die Kaiserin begann zu weinen. Diese Schmerzen waren fast noch schlimmer als ihr durchtrennter Qi-Fluss. Haruka hasste Schmerzen mehr als alles andere auf der Welt. Sie klammerte sich schreiend und weinend an Qin fest, biss ihm vor lauter Verzweiflung in den Arm und kratzte ihm den Rücken blutig. „Der Kopf ist schon da! Noch einmal, Majestät, dann habt Ihr es geschafft."

Haruka musste sich noch einmal anstrengen. Ein letzter Schrei, eine letzte Presswehe. Ihre Finger waren mit Qin's Blut getränkt. Ein letztes mal klammerte sie sich an ihm fest, dann wurde der Raum mit lautem Babygeschrei erfüllt. „Ihr habt es geschafft, Hoheit!" Die Braunhaarige sank völlig entkräftet in die Liege zurück. Ihr klebte der Schweiß auf der Stirn und wünschte sich auf der Stelle zu sterben. „Ein Mädchen! Es ist eine kleine Prinzessin!" Jiang Li durchschnitt die Nabelschnur und wickelte das Neugeborene in ein warmes Handtuch, um dem Kaiser seine Tochter auf den Arm zu geben. Qin Shi Huang nahm die Kleine vorsichtig und sah sie voller Liebe an. „Oh mein Gott..." Er ließ sich die Augenbinde abnehmen, um sie richtig sehen zu können. „Hallo, meine Kleine..." Dem Kaiser liefen ein paar Tränen aus den Augen, während er Haruka einen Kuss auf die Schläfe gab. „Ich bin so unfassbar stolz auf dich!" Auch der kaiserliche Arzt wischte sich ein paar Tränen weg. „Meinen allerherzlichsten Glückwunsch!" Nun musste Jiang Li das kleine Mädchen noch messen, wiegen und waschen. In der Zwischenzeit kümmerte sich die Hebamme darum, dass sich die Plazenta löste.

Haruka war vor lauter Erschöpfung halb eingeschlafen. Ihre kleine Tochter hatte aufgehört zu weinen und wimmerte nur noch leise vor sich her. Nicht nur für die Mutter ist eine Geburt sehr anstrengend. Auch das Kind steht dabei sehr unter Stress. So langsam legte sich dieser aber wieder bei der kleinen Prinzessin. „Haruka, sieh nur, wie schön sie ist. Willst du sie mal halten?" Nur äußerst widerwillig, nahm die Kaiserin ihre Tochter auf den Arm. Das kleine Mädchen fühlte sich sofort wohl bei ihr und wurde sichtlich ruhiger. Haruka sah die Kleine durchdringend an. „Sie ist ausgesprochen hässlich", sagte sie. „Geh wieder zu deinem Alten, du hässliches Baby. Hässlichstes Baby, wo ich jemals gesehen habe..."
„Haruka! Wie kannst du so etwas nur sagen? Sie ist nicht hässlich, sondern wunderschön." Qin nahm die Kleine wieder an sich. „Majestät, habt Ihr Euch schon einen Namen für die kleine Prinzessin ausgesucht?"
„Hmm... das ist eine gute Frage. Mir würde ja Chen Lu gefallen. Was für ein Name gefällt dir denn, meine Liebe?"

„Pah! Ist mir doch egal, wie du das kleine Monster nennst." Qin Shi Huang sah sie strafend an. „Haruka, was soll denn das? Wieso bist du ihr gegenüber so herzlos?"
„Denk mal darüber nach, vielleicht kommst du ja von alleine darauf." Die Kaiserin setzte sich unter Anstrengung auf. „Haruka, vielleicht solltest du sie stillen. Das könnte eure Bindung vertiefen." Sofort legte sie ihre Hände über ihre Brüste. „Nein", sagte sie. „Jetzt pass mal auf, Shin. Ich habe dieses Balg von Anfang an nicht gewollt. Ich werde die kleine Mistkröte weder stillen, sie auf den Arm nehmen oder sonst irgendwie mit ihr interagieren. Es ist dein verdammtes Kind, also sieh zu, wie du sie satt bekommst." Die kleine Prinzessin fing auf der Stelle an zu weinen. Sie spürte die Spannungen zwischen ihren Eltern. „Haruka, das kannst du nicht machen! Sie ist ein unschuldiges Kind und ist auf deine Muttermilch angewiesen." Die Kaiserin sank in die Liege zurück. „Halt dein verdammtes Maul und verpiss dich endlich. Ich will mich waschen und dann schlafen." Der Landesherrscher schnaufte einmal zornig. „Darüber reden wir noch einmal, Haruka." Die Hebamme kümmerte sich um das weinende Kind, während Jiang Li die Kratz und Bisswunden des Kaisers versorgte, die seine Frau ihm während der schmerzhaften Geburt zugefügt hatte.

Der Abend brach herein. Haruka hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen und schlief, bis sie von Qin Shi Huang geweckt wurde. „Gott, was willst du?" Ihr Ehemann sah sie flehend an. Er hatte eine Flasche dabei. „Chen Lu hat Hunger und weint schon die ganze Zeit. Haruka, bitte. Wenn du sie schon nicht stillen willst, dann lass mich wenigstens Milch abpumpen und sie mit der Flasche füttern."
„Wie schön du betteln kannst, wenn du nur willst. Und trotzdem ist meine Antwort weiterhin Nein. Ich habe dir gesagt du sollst zusehen, wie du sie satt bekommst." „Aber so schnell bekomme ich keine Amme her. Wenn ich gewusst hätte, wie starrköpfig du bist, hätte ich mich früher darum gekümmert. Haruka, bitte... sie verhungert sonst..." Die Kaiserin stöhnte einmal total genervt. So wusste sie doch selbst wie es war hungern zu müssen. „Lässt du mich dann endlich in Ruhe?"
„Versprochen!"

Haruka riss ihm das Fläschchen aus der Hand und ging ins Badezimmer. Zehn Minuten später kam sie wieder heraus, um ihm das mit Muttermilch gefüllte Fläschchen wieder auszuhändigen. „Und jetzt hau ab." Qin Shi Huang öffnete den Mund und ließ sich ein paar Tropfen auf die Zunge fallen. „Wolltest du das kleine Monster nicht füttern?"
„Natürlich! Ich wollte nur sicher gehen, dass du sie nicht vergiften willst." Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Danke." Der Kaiser eilte zu seiner Tochter zurück, die er schon von weitem schreien hören konnte. Die Hebamme war der Verzweiflung nahe, denn Chen Lu ließ sich einfach nicht beruhigen. „Schon gut, Papa ist ja hier..." Er nahm sie auf den Arm und begann sie mit der Flasche zu füttern. Sofort fing die kleine Prinzessin an gierig daran zu saugen. „Oh, was für ein Appetit!" Frisch gewickelt und gesättigt, war das Kind rundherum zufrieden. Sie gähnte einmal herzhaft und sah zum ersten mal ihren Vater an. „Majestät, das..." Qin konnte seinen Augen nicht trauen. „...Ich weiß... ist absolut unglaublich..." Chen Lu hatte tatsächlich ein rubinrotes und ein smaragdgrünes Auge. „Heterochromie... wie ungewöhnlich!" Während Haruka's Schwangerschaft, hatte der Kaiser ihr altes Zimmer zum Kinderzimmer umbauen lassen.

„Es wird Zeit schlafen zu gehen. Weck mich auf, falls Chen Lu irgendetwas brauchen sollte." Er küsste seine Tochter sanft und legte sie in ihr Bettchen zurück. Das Nachtlicht wurde angeschaltet und die Spieluhr aufgezogen. „Gute Nacht, Eure Majestät. Macht Euch keine Sorgen, ich werde mich gut um Prinzessin Chen Lu kümmern." Der Kaiser nickte ihr zu und zog sich in sein Schlafzimmer zurück. Haruka war bereits wieder am dösen, sodass sie seine Anwesenheit gar nicht mitbekam. Die Hebamme sah das unschuldige Baby liebevoll an. „Chen Lu... das bedeutet Morgentau. Ein wunderschöner Name." Die Spieluhr wurde ein zweites mal aufgezogen. Für die Hebamme würde das eine lange Nacht werden. Sie beschwerte sich nicht, denn sie hat sich freiwillig dazu bereit erklärt, die Prinzessin in der ersten Nacht zu betreuen. Die ersten Tage nach der Geburt waren immer die schwierigsten, daher war es also kein Wunder, dass Qin Shi Huang auf Nummer sicher gehen wollte und sein neugeborener Schatz in den besten Händen wusste.

(Artwork by Lys-Chan)


Die Tränen der KaiserinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt