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(Aylins Sicht)

Samstag: 16.07.2022, 15:37

"Senorita warte unten auf dich", ruft Mary in ihrer Audio, welche ich gerade auf meinem Handy abspiele. Lachend nehme ich meine Tasche in die Hand und sprinte zum Aufzug, um in das untere Stockwerk zu fahren. Draußen angekommen sehe ich sie vor dem Gebäude in ihrem teuren Sportwagen sitzen und lächelt mich an. "Ich habe Johns Karreee", quietscht sie aus dem Fenster und hebt ihre Arme in die Höhe. Kichernd laufe ich aus das Auto zu und setzte mich neben sie. "Ich habe mein Gehalt bekommen", jubele ich und klatsche aufgeregt in meine Hände. "Also ab zum Geld ausgeben?", grinst sie mich an und zündet dabei ihre Zigarette an. Ich nicke ihr grinsend zu und schalte ihre Musik an, während Mary den Motor startet und aus der Parklücke fährt. Lauthals singen wir die Texte von unseren Freunden mit und bewegen die Hüfte zum Takt. "Ich vermisse es...wir waren so lange nicht feiern", schmollt sie und tippt mit den Fingern auf dem Lenkrad rum. "Ich verspreche dir wenn Naomi zurück ist, dann gehen wir gemeinsam feiern", lächle ich sie an und sie grinst. "Ich freue mich darauf", kichert sie und wirft die Zigarette aus dem Fenster.

Samstag: 16.07.2022, 17:58

Wir stehen bereits im siebten Laden und Durchwühlen die ganzen Klamotten, aber es ist einfach mal wieder nötig. Meine Klamotten sind schon alt und schmiegen den Geschmack von Emir und jetzt müssen neue Kleidungsstücke her. Am besten Stücke die Raphael den Kopf verdrehen werden. Auch wenn wir schon seit Tagen nicht wirklich miteinander reden, bin ich der Meinung, dass wir uns bald wieder einkriegen. Maxwell hat mich neulich motiviert ein Gespräch mit ihm aufzusuchen, nachdem ich ein Date für ihn und Naomi geplant habe. "Ich befürchte das Naomi und Maxwell bald ein Paar werden", spucke ich endlich aus, was seit Tagen in meinen Kopf schwirrt. "Ich musste mir letztens die Schwärmerei anhören", lache ich und suche mir nebenbei ein BH aus. "Sie wären ein verrücktes Paar", kichert Mary und steht neben den ganzen Dessous. "Wie läuft es eigentlich bei dir und Raphael? Habt ihr endlich miteinander geredet?", fragt sie und ich seufze. "Wir streiten uns immer noch. Es ist unser erster richtiger Streit und dann sind wir beide zu sturköpfig, um miteinander darüber zu reden", beschwere ich mich und werfe ein dunkelblauen BH in meinen kleinen Korb. "Ich und John haben meistens auch solche Phasen. Ihr werdet es schon schaffen", lächelt sie mich an und sieht sich weiter um. "Das hoffe ich."

Samstag: 16.07.2022, 19:24

"Ist das Raphael?", unterbricht Mary meine Story und bleibt fragend vor einer Bar stehen. Wir sind schon durch die ganze Stadt gelaufen und wollen eigentlich nur noch zum Auto zurück und nachhause fahren, aber jetzt meldet sich mein Herz und springt nervös in meiner Brust auf und ab. Aufgeregt blicke zu dem kleinen Fenster, in dem ich ebenfalls Raphaels Gesicht erkennen kann. "Ja, das ist er", antworte ich ihr und atme tief aus. "Können wir kurz rein, damit ich mit ihm reden kann?", erkundige ich mich und merke, wie Mary bereits zur Tür läuft. "Natürlich. Ihr müsst euren Streit jetzt endlich klären." Sie hält mir die Tür auf und wir betreten beide den Schuppen. "Ich setzte mich kurz hin", informiert sie mich und ich nicke ihr als Antwort zu. Mein Blick wandert wieder zu Raphael und ich erkenne, neben den ganzen anderen Menschen, die ihn umgeben, eine weitere Person neben ihm sitzen. Klein, blond, und schlank ist die Frau in seiner Begleitung und ich stocke. Er hat mir nicht erzählt, dass er sich heute mit jemanden trifft. Genauer genommen, erzählt er mir zurzeit gar nichts. Enttäuscht seufze ich auf und laufe wieder zurück. "Warte kurz, ich setzte mich doch zu dir", gebe ich Mary Bescheid und hocke mich zu ihr an den Tisch. "Kennst du sie?", fragend sieht sie mich an und beobachtet Raphael und die schöne Unbekannte. "Nein, noch nie von ihr gehört oder gesehen", antworte ich ihr und ein Kellner kommt zu uns an den Tisch. "Braucht ihr was?" "Wir werden hier eine Weile sitzen, also ja. Bitte zweimal den roten Wein, oder?" frägt Mary und antwortet parallel dem Kellner. Kurz nicke ich und der Kellner verschwindet wieder hinter die Bar. Nervös blicke ich wieder zu Raphael rüber, welcher bereits ein Stück näher an die Frau gerutscht ist. Ich lasse den Blick senken und erkenne Raphaels Hand auf ihrem Oberschenkel, während sie sich ihm lachend um den Hals wirft. Tränen steigen in meine Augen auf und ich sehe hysterisch zu Mary, als Raphael keinen Anstand macht sie daran zu hindern. "Was ein Arschloch", flucht sie und ich erhebe mich von meinem Platz. "Nein geh noch nicht zu ihnen! Vielleicht ist es gar nicht so wie es scheint und wir interpretieren es falsch. Er wirkt auch nicht ganz nüchtern", erklärt sie und hält mich an meiner Hand fest. Seufzend setze ich mich wieder hin und schaue Raphael weiter zu. 

Nach einer Zeit nimmt er ein Taschentuch vom Tisch und wischt ihr den Ketchup von der Lippe. Lächelnd sind seine Augen auf ihre fixiert, während sie ihm etwas zu flüstert. "Das passiert grad nicht wirklich, oder?", stocke ich und die Tränen, welche sich in meinen Augen angestaut haben, kullern plötzlich über meine Wange. Mary nimmt meine Hand fest in ihre. "Vielleicht ist es seine Cousine oder so?", versucht sie mich etwas zu beruhigen, aber ich schüttle wild den Kopf. "Würdest du deinem Cousin Ketchup von der Lippe weg wischen?", stelle ich ihr eine Rückfrage und sie schüttelt leicht den Kopf. Schnell erhebe ich mich von meinen Platz um auf die beiden zuzulaufen, doch bleibe abrupt stehen, als ich sehe, wie ihren Lippen seine kennenlernen. Geschockt öffne ich meinen Mund, bekomme aber keinen Ton heraus. Wie kann er mir sowas antun? Ich löse mich aus meiner starre, nehme meinen ganzen Mut zusammen und laufe weitere Schritt auf ihn zu. "Wieso?", kommt es gebrochen von mir, während ich zu den beiden wie versteinert rüber sehe. Erschrocken zucken sie zusammen und Raphael wirft einen Blick über seine Schulter. Als er mich erkennt, ist die Angst in seinem Blick zu sehen und er springt  panisch von seinem Stuhl auf, um auf mich zuzulaufen. 

Für einen kurzen Moment verliert er sein Gleichgewicht, fängt sich aber in der nächsten Sekunde wieder. "Amore, es ist nicht so, wie es aussieht", versucht er sich zu erklären, aber ich schüttle heftig den Kopf. "Nein, sag das nicht! Sag mir das, dass grad nicht wirklich passiert ist!", schreie ich ihn an und merke, wie mein Herz in der Brust erneut in zwei Hälften zerbricht. Nur dieses Mal hat er sich auch den Rest genommen, was davon übrig war. Stumm sieht er zu Boden runter, während die Menschen in der Bar ihre Aufmerksamkeit auf uns richten. "Ich hätte wissen müssen, dass das passiert. Ich hätte dir mein Herz, nicht geben dürfen. Du hast es zerstört, du bist genauso wie Emir", zische ich ihn an und drehe mich um, damit ich die paar Schritte zu Mary laufen kann. Schnell greift Raphael nach meiner Hand und macht mir somit einen Strich durch die Rechnung. "Amore, Es tut mir leid. Bitte! Bitte hör mir zu! Bitte geh nicht", flüstert er mit gebrochener Stimme, aber ich schüttle zitternd seine Hand ab. "Nenn mich nie wieder so!", gebe ich sauer von mir, während Tränen in meine Augen schießen. Seine Hand nähert sich meiner Wange, um die Tränen, welche er verursacht hat, weh zu wischen. Aber ich schlage sie weg. "Viel Spaß mit deiner neuen Flamme, dir steht nichts mehr im Weg, jetzt da wir kein Paar mehr sind", fauche ich ihn an und laufe ein paar Schritte zurück. "Nein Aylin...", flüstert er, seine Stimme bricht am ende ab. Doch ich greife nach meiner Jacke und sehe zu Mary. "Gehen wir?", fragt sie vorsichtig und ich nicke, während sie einen zwanziger Schein auf den Tisch legt und mit ihrer Hand auf meinem Rücken, mich aus der Bar begleitet. Ich bin der Meinung, ihn nochmal gehört zu haben, aber das hat jetzt auch keinen Sinn mehr.

Zügig wische ich mir meine Tränen weg und laufe ohne einen Ziel los. Mein Atem beschleunigt sich immer schneller und die Bilder in meinen Kopf tauchen wieder auf, wie seine Lippen auf ihren landen. Auch wenn sie ihn geküsst hat, war es für mich, als hätte er mich betrogen, als er sie nicht daran gehindert hat, sondern darauf eingegangen ist. "John wird ihn umbringen", zieht Mary mich aus meinen Gedanken und nimmt mich fest in ihre Arme. "Er bekommt alles zurück", flüstert sie in mein Ohr und ich lasse mich in diese Umarmung fallen. "Komm mit, heute Nacht schläfst du bei uns. John ist mit seiner Tochter unterwegs und wir können es uns zusammen im Bett bequem machen. Ich bin die ganze Nacht für dich da." Es fühlt sich an, als würde mein Herz bluten und dennoch, ihn haben wollen, während mein Kopf dagegen ankämpft. Wieso vertraue ich immer den falschen Menschen mein Herz an? Ich dachte Raphael wäre der eine gewesen. Ich dachte wirklich er ist anders, aber ich habe mich wohl in ihm geirrt.

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Zwei Fremde (Raf camora FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt