Noah
Und so machte ich mich auf den Weg nach Hause. Die beiden hatten recht. Ich musste mit meiner Mutter reden. Sie war erwachsen, schlau und kannte ihren Chef besser als ich. Sie könnte mir vielleicht eher sagen wie dieser tickt und ob ich mir überhaupt Sorgen machen muss. Vielleicht kannte sie ja sogar meinen Lehrer. Dann wäre die ganze Sache viel einfacher. Den Weg von der Bushaltestelle zur Haustür legte ich sehr langsam zurück. Voller Tatendrang war ich los gelaufen und nun realisierte ich, dass wenn ich meiner Mutter die Situation mir Mr. Michales erzählte, war es schon fast unausweichlich auch über die ganze 'ich stehe auf Männer' Sache zu reden. Und ehrlich gesagt wusste ich nicht ob ich schon bereit dazu war.
Und hier stand ich nun. Meine Mutter stand an der Kücheninsel und trank ihren Kaffee. Ich hatte Glück, dass sie überhaupt Zuhause war. Dad war nicht da und so waren wir alleine. Ich hatte Mum gefragt ob wir reden konnten und nach einem Blick auf ihren Terminkalender hatte sie mir eine halbe Stunde Zeit eingeräumt. Na danke auch. Jetzt tänzelte ich vor ihr auf der Stelle herum und bekam kein Wort heraus. Wie sollte man so etwas denn auch anfangen? Mum und ich hatten noch nie sonderlich viel und lange miteinander gesprochen. Wir existierten eher so neben einander her und da sie auch fast nicht zuhause war, durch ihre Arbeit, konnten wir kein wirkliches familiäres Verhältnis aufbauen. Ich war ein ungeplantes Kind. Eigentlich wollten meine Eltern nie Kinder und das das erste mal heraus zu finden war hart. Aber ich hatte mich damit abgefunden. Diese Familie war immer noch besser als gar keine. Denn sie hatten mich behalten und mir wenigstens versucht gute Eltern zu sein. Nur waren sie unglaublich schlecht in diesem Job. Beide. Ihre Liebe zeigten sie über Geld. Und davon hatten wir nunmal eine Menge.
Aber sie taten ihr bestes und dafür war ich dankbar. Das musste ich sein. Und auf diesen Grundlagen einfach so ein Gespräch dieser Größenordnung zu starten war schwierig.
„Jetzt rede endlich mein Junge. Ich hab nicht ewig hierfür Zeit!"Und dann brach alles aus mir heraus. Ich erzähle ihr von meinem ersten Tag in der Schule, die erste Begegnung mit Mr. Michaels. Die darauf folgenden Ereignisse. Der Überfall in meiner Freistunde, inklusive Drohung. Bis hin zu der Geschichte von Sam und dass ich nicht zur Polizei wollte. Mitten in meiner Erzählung fasste sie mich an den Schultern und führte mich zum Sofa im Wohnzimmer. Dort ließen wir uns neben einander sinken. Sie unterbrach mich kein einziges Mal. Stumm hörte sie mir zu. Danach war es einige Zeit Still im Raum. Plötzlich zog sie ihr Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. Perplex sah ich sie von der Seite an. „Matthew das Meeting findet heute bei mir Zuhause statt... Nein, ich weiß... mein Sohn ist hier... Das ist kein Problem... Es gibt was wichtiges zu besprechen... sei einfach in 20 min hier. Dann erkläre ich dir alles!" und damit legte sie auf. Sie drehte sich zu mir. „Er kommt her"
„Wer kommt her?" völlig perplex saß ich auf meinem Platz und verstand überhaupt nicht was hier gerade abging.
„Matthew. Matthew Michaels. Mein Chef, der Bruder deines Arschloch Lehrers" ihre Ausdruckweise irritierte mich. So hatte ich sie noch nie sprechen hören. „Ich hab ihn herbestellt. Wir werden das mit ihm klären. Er ist kein so schlechter Mensch, und er würde mich niemals einfach so kündigen. Dass was dein Lehrer die klar machen wollte ist völliger Bullshit. Und das werden wir jetzt mit ihm besprechen. Und dann kannst du ihn direkt einmal kennen lernen... Ich weiß ich war nie eine sonderlich gute Mutter und ich werde es auch nie sein. Ich weiß einfach nicht wie das geht, aber du bist mein Sohn. Und ich werde dich beschützen. Niemand rührt mein eigen Fleisch und Blut an solange ich lebe. Das verspreche ich dir!"Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Danke Ma" und damit schloss sie mich in die Arme. „Niemand wird dir wehtun. Es war die richtige Entscheidung mit mir zu reden und mir alles zu erzählen"
„Und dass ich schwul bin...?"
Meine Mutter sah mich verständnislos an. „Was soll bitte damit sein? Soll ich dich jetzt aus dem Haus werfen? Für was für eine Mutter hälst du mich?" ich sah lächelnd auf den Boden. „Danke", murmelte ich wieder und meine Mum stand auf. „Ich mache mehr Kaffee. Möchtest du auch einen?" dankbar nickte ich und sie ging zurück in die Küche. Nervös blickte ich ihr hinterher und wippte mit meinem Bein auf und ab.
Nach 15 Minuten klingelte es an der Tür. Meine Mutter machte auf und kam mit dem jungen Mann wieder, den ich ebenfalls vom Strand kannte. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Endlich wurde mir klar warum meein Lehrer zu genau diesem Zeitpunkt in Deutschland war und ich ihn getroffen hatte. Er musste mit seinem Bruder bei meiner Mum gewesen sein wegen dem neuen Job. Scheinbar hatte er ihn auf dem Trip begleitet. Es ergab alles einen Sinn. Lächelnd begrüßte er mich. Er schien wirklich nett zu sein. Aber das schien Mr. Michaels, also mein Lehrer, oh man jetzt wird's verwirrend, auch anfangs zu sein.
Und dann kauten wir das ganze Thema erneut durch. Ich erzählte, meine Mum warf immer wieder Kommentare zu meinen Erzählungen ein. Matthew starrte mit gerunzelter Stirn vor sich auf den Boden und hörte uns zu. Als ich fertig war hatte ich mal wieder Tränen in die Augen und meine Mum legte ihre Hand auf mein Knie. Matthew schluckte und sah mir in die Augen. „Es tut mir sehr leid Noah. Das muss schrecklich gewesen sein. Ich kann nicht glauben, dass er wieder rückfällig geworden ist. Ich hab ihn seit Deutschland nicht mehr gesehen"„Rückfällig?"
„Damals litt Mason an einer Zwangsneurose. Er hatte den komischen dran ständig in einer Beziehung zu sein. War er alleine bekam er Panikattacken und drehte durch. Dieser Drang wurde so stark, dass er anfing andere Menschen zu einer Beziehung mit ihm zu zwingen, da er keinen geeigneten Partner fand. Ich hab ihm damals eine Therapie geklärt und er ging auch regelmäßig hin. Er bekam Medikamente, die er täglich nehmen musste und diese Zwänge zu regulieren. Er besserte sich. Konnte ein normales Leben führen, auch ohne Partner an der Seite. Hin und wieder hatte er Rückschläge, aber die meiste Zeit ging es gut. Er konnte seinen Job normal weiter ausführen und auch seine Therapeutin war irgendwann der Meinung, dass er sich so weit gebessert hatte, dass sie kein Problem darin sah, die Sitzungen nicht mehr weiter zu führen. Die Tabletten bekam er weiterhin, aber er hatte niemanden mehr der das kontrollierte. Trotzdem ging es ihm weiterhin gut und mit der Zeit verloren wir immer weiter den Bezug zueinander. Wir sahen uns manchmal, aber wir machten nicht mehr viel miteinander. Ich dachte er würde seine Medikamente weiterhin regelmäßig einnehmen" er machte eine Pause und strick sich über das stoppelige Kinn. Dann sah er erst meine Mutter an, dann mich „ich verspreche ich werde mich darum kümmern. Aber du musst mir ein bisschen Zeit geben Noah. Ich kann nichts innerhalb eines Tages verändern. Aber ich muss seine Therapeutin wieder kontaktieren und freie Termine organisieren. Meinst du du schaffst es noch ein paar Tage weiter mit ihm eine Schule zu besuchen und dann verspreche ich dir wirst du ihn nie wieder sehen? Ich möchte ihn nicht vor der ganzen Schule bloßstellen auch wenn er unverzeihliches getan hat. Aber er ist immernoch mein Bruder."Oh man, damit hatte ich nicht gerechnet. Mr. Michaels war psychisch krank und deswegen tat er diese Sachen? Es änderte zwar nichts daran was er getan hatte, aber immerhin konnte ich es jetzt verstehen. Er würde Hilfe bekommen und so etwas hoffentlich in Zukunft nie wieder machen. Langsam nickte ich. „Das werde ich schaffen. Ich bin ja nicht alleine. Danke Mr. Mi- Matthew. Danke dass Sie mir helfen"
„Das ist das mindeste was ich tun kann. Ich hätte ihn gar nicht erst alleine lassen dürfen. Ich hätte ihn auch nicht weiter an einer Schule unterrichten lassen sollen. Aber jeder macht Fehler oder?"
Ich nickte, ja jeder macht Fehler. Und die einen sind schlimmer als die anderen.Ich bedankte mich nochmal bei Matthew und verabschiedete mich dann von meiner Mutter und ihm und ging nach oben in meine Zimmer. Die hatten bestimmt noch genug miteinander zu bereden und ich war extrem fertig. Ich wollte nur noch ins Bett und schlafen. Damit ließ ich mich mit dem Gesicht nach vorne ins Kissen fallen, schloss die Augen und dämmerte augenblicklich weg.
Was für ein Tag. Hätte ich nur schon früher mit meiner Mutter über das ganze Thema gesprochen wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Aber hinterher ist man immer schlauer, stimmts?
DU LIEST GERADE
Original with you [boyxboy]
Ficção AdolescenteDie leichteste Art sein Herz zu schützen, ist niemanden hinein zu lassen. Aber Ist es möglich so zu leben? Kann die Berührung eines Menschen, alles ins wanken bringen?