Eine besondere Wintersonnewende - 2

34 6 0
                                    

Flankiert von seinen Eltern schloss sich Sirion dem Strom der Elfen seiner Kaste an, der nun zum Ort der Zeremonie strömte. Gemeinsam mit den anderen verließen sie die Siedlungsbereiche der Krieger und erreichten schließlich die Treppen, die sich zu Dutzenden um den Stamm wanden.

Ein leises, aufgeregtes Stimmengemurmel lag über der Menge, während sich die Elfen an den Abstieg machten. Suchend drehte Sirion den Kopf hin und her, doch er konnte Alvad und Alvia nicht erspähen.
„Konzentrier dich auf deinen Weg.", murmelte seine Mutter eindringlich an seiner Seite. Sie legte eine bestimmende Hand auf seine Schulter und so blickte Sirion wieder nach vorne. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die Monde mittlerweile hoch am Himmel standen. Mitternacht stand bevor.

Er wusste, dass auch die anderen Kasten die Feierlichkeiten der Wintersonnenwende um Mitternacht mit einem eigenen Fest begannen. Die Kaste Synnvea weihte ihre Pilzfelder und bat um reichhaltige Ernte im nächsten Jahr und die Kaste Ruka führte genau wie Sirions Kaste junge Elfen in den Kreis der Erwachsenen ein. Nach Mitternacht trafen die drei Kasten sich dann auf den Plätzen der Stadt, um gemeinsam zu feiern.

Es schien Sirion wie eine halbe Ewigkeit, die sie einer nach dem anderen dem überdachten Treppengang hinab stiegen. Nervös ballte er die Hände zu Faust, öffnete und schloss sie wieder. Er mühte sich, seine Aufregung so gut es ging, verborgen zu halten. Der Impuls, sich zu strecken und zu sehen, wie weit der Weg noch war, war unglaublich groß. Doch er unterdrückte ihn, sich der Hand Jissas auf seiner Schulter noch immer bewusst.
Endlich erreichten sie ihr Ziel. Dicht am Waldboden waren sie, ein Ort, wo Sirion äußerst selten war. Unter ihnen konnte er die hohen, dicht ineinander verflochtenen Wurzeln des Baumes erkennen, wo die Häuser der Kaste Synnvea standen und die Pilzplantagen zu sehen waren.
Doch sie gingen nicht bis hinab zu den Wurzeln, die Treppe, der sie folgten, endete auf einer weitläufigen Plattform. Dort sammelten sich nun die Elfen Arvias. Sirion erblickte einige junge Elfen, angespannt wie er, die ebenfalls von ihrer Mutter flankiert wurden. Freudiges Stimmengemurmel lag in der Luft. Bald würde die Zeremonie beginnen.

Zu Sirions Rechter erhob sich ein mächtiges Portal, das in den Stamm hinein gelassen war. Arvia selbst war als überlebensgroße Schnitzerei darauf abgebildet und blickte nun streng auf sie alle hinab. Voller Ehrfurcht konnte Sirion seinen Blick kaum von der voll gerüsteten Kriegergöttin wenden. Ihm fröstelte, doch war es nicht die Kälte des Winters, die ihn erschaudern ließ.
Mit einem langen, hallenden Ton schwang das Portal auf und offenbarte die weite Höhle, die im Stamm des Baumes lag. Das Licht dutzender Lampen schien ihnen entgegen. Stille legte sich mit einem Mal über die Elfen, nur der Ton der Flöte war zu hören, die die Novizen herbei rief.

Sirion spürte, wie seine Mutter ihn sachte nach vorne schob. Zitternd vor Aufregung ging er, von ihr begleitet, auf das Portal zu. Gemeinsam mit ihm traten sechszehn weitere junge Nachtelfen vor, geführt von ihren Müttern. Die Väter blieben zurück. Oberhaupt einer jeden Nachtelfenfamilie war die Mutter und ihnen oblag in dieser Nacht die Aufgabe, ihre Kinder den Kriegern anzuvertrauen.
Da erblickte Sirion Alvad und Alvia. Alvad fing seinen Blick auf. Ausnahmsweise war kein Grinsen auf seinem Gesicht, bleich und eingeschüchtert wirkte er, als sie die Schwelle des Portals überschritten.
Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen sah Sirion sich um. Sie betraten eine weitläufige Fläche, umringt von Tribünen, die sich an der Innenseite des Stammes empor zogen. Dutzende, kugelrunde Lampions umringten die Fläche und blendeten Sirions empfindliche Augen fast mit ihrem Licht. Er blickte nach oben, wo sich mehrere hundert Elfenhöhen weit der hohle Stamm in die Luft streckte. Irgendwo weit dort oben hatte er eben noch mit seinem Vater gestanden. Doch die Balkone ihrer Häuser waren so weit weg, dass er sie nicht erkennen konnte.

Leise trappelnd nahmen die Zuschauer auf den Rängen Platz, während die Novizen von ihren Müttern stillschweigend in einer Reihe kurz hinter dem Portal aufgestellt wurden. Der Flötenton verklang, Stille herrschte.
Da stürzte mit einem Mal eine Fledermaus sich aus der Höhe auf sie hinab. Sirion konnte eben noch einen Krieger auf ihrem Rücken erkennen, da landete sie schon vor ihnen und der Elf schwang sich von dem Tier, das sofort wieder in die Luft schoss.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt