Geweckt wurden sie von den Flügelschlägen abfliegender Fledermäuse. Noch schläfrig blinzelnd lugte Sirion aus seiner Hängematte heraus und sah, wie die Kriegerin neben ihm sich zu ihrer Fledermaus hinab hangelte.
Einen trillernden Ruf ausstoßend ließ sich das Tier mit angelegten Flügeln in die Tiefe fallen, um dann mit einer kraftvollen Bewegung seine Schwingen zu entfalten und elegant in den Abend davon zu gleiten.
„Na los ihr Schlafnasen! Kommt!"
Sylires muntere Stimme wehte zu Sirion und den Zwillingen hinüber und sie kletterten aus ihren Matten heraus, wo die blonde Elfe bereits zusammen mit Nymo und Almina wartete.
Aus unterschiedlichen Ecken des Fliegerhorstes fanden sich die Novizen zusammen. An der gleichen Stelle wie am Morgen wurde Essen ausgegeben, ein einfacher Brei aus gekochten Wurzelknollen.
„Mmh...", brummte Alvia kritisch, „Ich hoffe, das wird uns jetzt nicht jeden Abend serviert."
„Was denkt ihr, wie lange wir hier bleiben werden?", fragte Alvad in die Runde. Seine Schwester zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, willst du wieder zu Tjavis zurück?", grinste sie schelmisch.
„Schrei doch nicht so!", zischte Alvad, dessen Ohren ein deutliches Rosa annahmen. Besorgt sah er sich um, ob die anderen Alvias Bemerkung gehört hatten.
„Ob Meister Tarbek gestern noch etwas heraus gefunden hat?", fragte Sirion. Die anderen beiden sahen ihn nachdenklich an. „Wenn, dann werden wir sicher als Letztes erfahren, wir sind nur Novizen, schon vergessen?", antwortete Alvad.
Sie hatten eben erst ihr Abendmahl beendet, als Wielar auftauchte.
„Folgt mir, Novizen!", forderte der Schmied sie auf.
Er führte sie fort vom Fliegerhorst, von den nun Fledermäuse in alle Himmelsrichtungen fort flogen und über steile Treppen am Baum hinab. Die Luft war seltsam trocken und bar jeglicher Gerüche, die den Wald Tarvel erfüllten, da der Wind vom Ödland her wehte.
Langsam erwachte Rukaya um sie her zum Leben unter dem Licht der aufgehenden Monde. Mehrere Brücken, welche sich von Baum zu Baum über den Abgrund spannten, überquerten sie, bis sie schließlich einen Baum weit unterhalb des Fliegerhorstes erreichten. Die Krone dieses Baumes ragte geradeso an die Abbruchkante heran, wo sie in der vorherigen Nacht gestanden hatten.
Dicht schmiegte sich sein Stamm an die Steilwand. Fasziniert erkannte Sirion mehrere Plattformen und Terrassen, die den Baum mit dem Felsen verbanden. Reges Treiben war auch schon zu dieser frühen Stunde dort, wo die Minen, von denen die Stadt lebte, sich in den Stein fraßen.
Almina neben Sirion schluckte hörbar.
„Alles gut?", fragte er leise. Die zierliche Elfe schüttelte den Kopf. „Ich mag die Vorstellung nicht, unter die Erde zu gehen", flüsterte sie.
Sie war tatsächlich nicht die Einzige. Lelia schien leise vor sich hin zu beten und auch Nymo beäugte die Stollen besorgt.
Eine letzte Treppe schlang sich um den Baumstamm und brachte sie direkt vor eine der Minenöffnungen.
Eine Gruppe Minenarbeiter erwartete sie dort bereits. Wielar blieb vor dem Stollen stehen und wandte sich an die Novizen. „In den nächsten Tagen werdet ihr unter Anleitung der hier arbeitenden Elfen das Eisenerz abbauen, was ihr benötigt, um eure Waffen zu schmieden. Wer es versäumt, ihren Anweisungen nachzukommen und sich oder andere dabei gefährdet, wird sofort ausgeschlossen."
Mit einem Nicken zu den anderen Elfen wandte er sich ab und verließ sie.
Einer der Arbeiter ergriff das Wort: „Bevor wir unter den Felsen gehen, müsst ihr euch umziehen. Wir haben hier Kleidung und Helme für euch bereit gelegt." Er deutete auf einen Haufen grober Lederkittel. Einen Moment bewegte sich keiner der Novizen. Dann ergriff Femkana den erstbesten Kittel und reichte ihn an den nächsten weiter.
Kühl und grob legte sich das steife Material an Sirions Haut. Es war eindeutig Arbeitskleidung, gemacht für schwere, körperliche Arbeit. Er stülpte sich einen der Helme über und zurrte den Kinnriemen fest. Dann traten sie in einer Gruppe vor den Mineneingang.
„Ruka!", rief ein Elf der Minenarbeiter,
„Vergiss deine Kinder nicht, auch wenn sie dein Angesicht im Fels nicht erblicken. Halte deine Hand über uns und führe uns am Morgen wieder zurück in unser Heim!"
„Behüte uns auf diesem Weg", echote die Menge und leise stimmte Sirion in die gemurmelte Antwort ein.
Dann gingen sie in den Stollen hinein.

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Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende Wald
FantasyDer junge Nachtelf Sirion wurde in die Kriegerkaste seines Volkes hinein geboren. Und so beginnt er, wie es seit Jahrhunderten Tradition ist, die entbehrungsreiche Ausbildung zum Fledermausreiter. Doch in den Jahren seiner Ausbildung zum Krieger ver...