Wenig später verließen Sirion und Alvad das Haus der Novizen. Noch immer war es kühl, der Winter war noch nicht gänzlich vorüber. Doch in der Luft lag die erste süße Ahnung von Frühling und erwachendem Leben. An den Zweigen des Baumes bildeten sich die ersten Knospen aus und wuchsen schon heran, bereit, bald die ersten zarten Blätter zu treiben.
Nach einem kurzen Blick empor zum Haus der Krieger, über dem bereits die elegante Behausung der Mondmutter zu erkennen war, wandten sich die beiden Jugendlichen der Treppe zu, die sie hinab in die Wohnviertel ihrer Kaste bringen würde. Geschäftiges Stimmengewirr drang an ihre feinen Ohren. Der Morgen war noch weit entfernt und die Einwohner der Stadt Iridia dachten noch lange nicht daran, schlafen zu gehen.
Voller Freude über die freie Zeit in der Stadt eilte Sirion Alvad voraus. Sie folgten einer steilen Treppe, welche in das Holz eines dicken Astes hinein geschlagen worden war, zu einer Terrasse etwas unterhalb des Hauses der Novizen, von wo einer der Bogengänge, die sich um den Stamm schlangen, sie weiter nach unten führte.
Sie waren diesem Gang erst ein Stück weit gefolgt, als Sirion vor sich zwei junge Frauen erblickte, die ebenfalls hinab in die Stadt gingen. Beide trugen die silbrig weißen Mäntel der Mondtöchter, der Frauen, die der Mondmutter aufwarteten.
Die Schwarzhaarige wandte im Gespräch ihrer blonden Begleitung das Gesicht zu und Sirion erkannte sie.
„Charuna!", rief er und winkte.
Seine ältere Schwester grinste ihm zu und sagte etwas zu der Frau an ihrer Seite. Beide blieben stehen und warteten auf die zwei Novizen.
Sirion packte den noch immer recht schläfrigen Alvad am Handgelenk und zog ihn zu den beiden hinüber.
„Hallo Brüderchen.", grüßte Charuna ihn mit warmer und dunkler Stimme, dann breitete sie die Arme aus und zog ihn in eine feste Umarmung.
Es war lange her, dass die Geschwister einander das letzte Mal gesehen hatte. Charuna lebte, wie alle Mondtöchter, seit frühester Kindheit in der Krone des Baumes bei der Mondmutter. Sie war das älteste Kind von Jissa und Nocor und den Gesetzen folgend hatten diese ihre Tochter der Mondmutter anvertraut. Auch Alvia hätte sich den Mondtöchtern anschließen müssen, wäre ihr Zwillingsbruder Alvad nicht zuerst geboren worden und sie so zur Zweitgeborenen gemacht.
Nur selten fand Charuna Zeit, ihre Familie zu besuchen, und so begegnete man sich eher zufällig in der Stadt, wenn sie im Auftrag der Mondmutter unterwegs war.
Kurz musterte Sirion seine Schwester. Über einem tiefblauen Kleid trug sie einen weiten silbernen Mantel, dessen Kapuze sie sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Zufrieden stellte er fest, dass er mittlerweile größer war als seine Schwester, deren tiefschwarzes Haar ihr offen und weich in leichten Locken das Gesicht umrahmte und bis zu ihrer Hüfte hinab fiel.
„Hallo Alvad.", wandte diese sich nun an Sirions Freund und bedachte ihn mit einem freundlichen Nicken.
Alvad jedoch beachtete sie kaum. Sein Blick war unverwandt auf Charunas Begleitung gerichtet.
„Ah das ist Tjavis.", stellte Charuna die junge Frau vor, „Tjavis, das sind mein Bruder Sirion und sein Freund Alvad. Beide wurden vor kurzem als Novizen der Fledermauskrieger aufgenommen."
Tjavis trat mit einem scheuen Lächeln vor. „Es ehrt mich, eure Bekanntschaft zu machen.", sagte sie.
Sirion neigte leicht den Kopf und erwiderte den Gruß, dann blickte er verstohlen zu Alvad, der scheinbar kein Wort über die Lippen brachte. Schließlich sammelte sich der Elf und murmelte etwas unbeholfen eine Begrüßung, die Augen leuchtend vor Faszination.
Tjavis erwiderte erfreut den strahlenden Blick Alvads, während Charuna und Sirion sich ein kurzes Grinsen zuwarfen.
Er konnte Alvad durchaus verstehen. Tjavis helles Haar floss wie Honig an ihr hinab, leuchtend im Licht der funkelnden Sterne und überstrahlte selbst den hellen Stoff ihres Mantels im wunderbaren Kontrast zu dem dunklen Kleid. Sie war noch graziler als die schlanke Charuna, mit lieblichen roten Lippen in einem zart geschnittenen Gesicht. Zweifellos war sie eine Schönheit.
Charunas Ohren, die aus dem Haar hervorragten, zuckten leicht, als sie mit einem amüsierten Schmunzeln den Blick ihrer großen, pechschwarzen Augen über ihren kleinen Bruder gleiten ließ, das Schmachten Alvads nicht weiter beachtend.
„Ein Novize der Fledermauskrieger bist du nun also geworden, wie ich hörte.", nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf und wandte sich zum Gehen.
Sirion schloss zu ihrer Seite auf und nickte. „Ja, diese Wintersonnenwende war es soweit.", erwiderte er.
„Erzähl mir von deiner Ausbildung!", forderte seine Schwester ihn auf und Sirion kam ihrer Bitte gerne nach.
Geschäftiges Treiben empfing sie, als sie das Wohnviertel der Kaste Arvia erreichten. Sie verließen den Bogengang und betraten einen der vielen rundlichen Plätze, um die herum die Häuser der Elfen gebaut waren.
Elfen eilten hin und her, ihrem jeweiligen Tagwerk nachgehend.
Ihre Rufe, Unterhaltungen und Diskussionen vermischten sich zu einem Stimmengewirr, das als stetiges Summen über den Häusern hing.
Sacht wisperte der Wind in den Zweigen und umschmeichelte die ersten knospenden Blätter. Er spielte mit den silbernen und grünen Wimpel, die an den Dachgiebeln der Häuser hingen und Wege und Plätze überspannten.
Es war eine recht dunkle Nacht, denn Synnvea stand nur als schmale Sichel am Nachthimmel, halb verdeckt von Wolken. Arvia war in dieser Nacht gar nicht zu sehen und nur Ruka, der dunkelste aller Monde, stand voll über den Köpfen der Elfen.
Nur in besonders dunklen Nächten machten die Nachtelfen Gebrauch von Laternen, um ihre Stadt zu beleuchten. Und selbst in ihren Wohnhäusern entzündeten sie nur wenige Kerzen.
Geschickt hatten sie gelernt, das Licht von Sternen und Monden mit Spiegeln aufzufangen und zu reflektieren, um so ihre Heimat zu erhellen. Kleine Silberspiegel, in kunstvolle Fassungen aus geschnitztem Holz eingefasst hingen an Bogengängen, Häuserdächern, Geländern und Fahnenmasten. Glitzernd und funkelnd warfen sie das Licht der Sterne über die versammelten Elfen.
Nebeneinander schoben sich Sirion und Charuna durch das Gedränge.
Sie kamen an einigen Ständen vorbei, wo Angehörige der Kaste Synnvea ihre Erzeugnisse verkauften, Mehl aus Kastanien, die Ernte der Pilzzuchten und gesammelte Kräuter aus dem Wald waren zu sehen.
Der Geruch von gegrilltem Fleisch stieg ihnen in die Nase, während sie an dem kleinen Markt vorbeikamen.
Sirions Magen knurrte hörbar.
„Wollen wir uns etwas zu essen holen?", fragte er seine Schwester.
Diese schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Sirion. Wir müssen im Auftrag der Mondmutter zu einem der Heiler gehen.", erwiderte sie.
„Na da begleiten wir euch doch!", rief Alvad voller Begeisterung.
Sirion drehte den Kopf zu seinem Freund um, der an Tjavis Seite lief und sämtliche Müdigkeit vergessen zu haben schien.
„Wir kümmern uns um euren Auftrag und danach holen wir uns gemeinsam etwas zu essen.", legte Alvad fest und sah zwischen Tjavis und Charuna hin und her.
Die beiden jungen Frauen tauschten einen nachdenklichen Blick.
„Es wurde uns nicht gesagt, wann wir zurück sein sollen.", führte Tjavis langsam an, Alvad ein leichtes Lächeln zuwerfend.
„Trödeln sollten wir trotzdem nicht.", meinte Charuna.
„Nichts liegt uns ferner!", rief Alvad aus, griff Tjavis an der Hand und zog sie an den Geschwistern vorbei vorwärts, „Auf im Namen der Mondmutter!"
Irritierte Blicke drehten sich zu ihnen um.
„Nicht so laut!", zischte Tjavis, doch sie konnte ein Kichern nicht ganz verhindern.
Charuna lachte und schüttelte den Kopf. „Wie ich sehe hat Alvad noch immer nur Unsinn im Kopf.", meinte sie zu Sirion, dann folgten sie den anderen.
Rasch hatten sie den Platz überquert und folgten einem schmalen Weg zu den äußeren Bezirken des Viertels.
„Womit hat euch die Mondmutter beauftragt?", fragte Sirion seine Schwester.
Diese seufzte. „Das kann ich dir nicht sagen.", erwiderte sie.
Sirion verdrehte die Augen. Stetes Geheimnis umgab die Mondmutter, die zurückgezogen vom Volk der Stadt hoch oben in der Baumkrone lebte. Man wusste nur wenig über sie und das spornte seine Neugier noch weiter an.
„Ich sag es auch niemandem weiter!", zischte er mit gesenkter Stimme und mühte sich um eine Unschuldsmiene.
Charuna sah ihn lange an. Er konnte richtig gehend sehen, wie Pflichtbewusstsein und Zuneigung zu dem kleinen Bruder in ihr miteinander rangen.
Sie hatten eben die letzten Häuser des Viertels erreicht und betraten die Hängebrücke, die sie zu einem der benachbarten Bäume brachte, auf denen die Viertel der Kaste Ruka erbaut waren.
„Na gut...", brummte Charuna leise, „Wir sollen Medizin für die Mondmutter kaufen."
„Medizin?", echote Sirion, „Was ist mir ihr?"
„Nichts, was dich etwas angeht.", fauchte Charuna, die sich wieder auf ihre Aufgaben als Mondtochter besann und sich wohl Sorgen machte, zu viel ausgeplaudert zu haben.
Alles bitten half nichts. Charuna schwieg eisern.
Die Heilergilde der Kaste Ruka lebte wie alle anderen Gilden dieser Kaste auf einem kleineren Baum, der neben dem Hauptbaum der Stadt wuchs. Mehrere Hängebrücken, auf denen nachts oft reger Betrieb herrschte, verband die Bäume untereinander.
Die Brücke, der die vier folgten, endete in der Krone des Baumes der Heiler, nur wenig oberhalb eines großen Versammlungsplatzes, wo die Heiler und Kräuterkundigen ihre regelmäßigen Zusammenkünfte abhielten. Heute saßen nur ein paar wenige Elfen auf den Zuschauertribünen über dem verwaisten Rednerpult, in ihre eigenen Unterhaltungen vertieft.
Charuna schob sich an Alvad und Tjavis vorbei und ging ihnen voran. Mehrere Wege wanden sich vom Versammlungsplatz als obersten Ort des Viertels spiralförmig am Baumstamm entlang nach unten. Einen von diesen schritt Sirions Schwester nun entlang.
Der Weg war voller Elfen, die geschäftig hin und her eilten. Bewohner des Viertels auf ihren täglichen Erledigungen oder Besucher der Kasten Synnvea oder Arvia, die hier Besorgungen zu machen hatten. Manche schienen genau wie sie auf der Suche nach Medizin oder bestimmten Kräutern zu sein, andere begleiteten kranke Familienangehörige oder Freunde zu einem der Heiler.
Im Gegensatz zu dem Viertel der Kaste Arvia war hier viel weniger Platz, wie Sirion feststellte. Die Häuser seines Zuhauses waren groß und weitläufig, der Hauptbaum bot ihnen viel Raum. Hier jedoch waren die Häuser fast vollständig in den Stamm hinein gebaut, schmal und dicht einander gedrängt standen sie da, die Dachgiebel beugten sich schief über das Treiben auf den Wegen.
Ketten kleiner Lampions und Mondspiegel hingen quer über ihre Köpfe gespannt, tauchten die Häuser und Elfen in schummriges Licht. Der würzige Geruch von Kräutern, getrocknet oder noch frisch, stieg ihnen in die Nase. Bündelweise hingen die Pflanzen von den Dächern oder wurden in kleinen Töpfen auf schmalen Terrassen gezogen. Aus offenen Türen und Fensterläden drang das Klopfen und Klappern von Geschirr, Mörsern oder Ampullen, wo wohl eben eine Salbe, ein Öl oder ein Kräutertee zubereitet wurde.
Schließlich wandte Charuna sich einem Haus zu, dessen Tür, so wie manch andere, weit offen stand. Die junge Frau trat ein, die anderen drei folgten ihr.
Als er über die Türschwelle trat, erhaschte Sirion einen kurzen Blick auf das Zeichen der Heilergilde, das als geschnitztes Symbol über der Tür baumelte und überall hier anzutreffen war, einem Mörser.
Das Haus, das sie betreten hatten, war schmal und zog sich weit in den Stamm des Baumes hinein.
Ein kunstvoll bestickter Vorhang teilte den hinteren Teil des Hauses von dem Laden ab, in dem sie nun standen. Regale und Hängeschränke türmten sich bis direkt unter die Decke des Raumes, zum Bersten vollgestellt mit Fläschchen, Ampullen, Schalen, Tiegelchen, Mörsern und Stößeln sowie Büchern und Schriftrollen. Zu Bündeln gebundene Kräuter und Heilpflanzen hingen von der Decke, an den Regalen oder lagen auf einem kleinen Arbeitstisch bereit. Aus großen irdenen Krügen ragten seltsam verschlungene Wurzeln oder ganze Stücke von Baumrinde.
Eine junge Elfe saß auf einem Hocker hinter einem hüfthohen Tresen und wog eben getrocknete Kräuter ab. Als die vier das Haus betraten, sah sie von ihrer Arbeit auf, wandte den Blick in Richtung Vorhang und rief laut: „Mutter! Kundschaft!"
Wenig später teilte der Stoff sich und eine hoch gewachsene Elfe betrat den Raum. Ihre schwarzen Augen weiteten sich, als sie die Mondtöchter an ihren hellen Mänteln erkannte.
Mit einer Verbeugung begrüßte sie die Kunden. „Willkommen in unserem bescheidenen Laden.", sagte sie mit leiser Stimme, „Wie können wir behilflich sein?"
„Gibt es einen Ort, wo wir ungestört sprechen können?", fragte Tjavis und die Elfe wies in den hinteren Bereich des Hauses.
Charuna und Tjavis folgten ihrer Geste, doch als Sirion ihnen folgen wollte, schüttelte Charuna nur den Kopf. Und so blieben Alvad und Sirion zusammen mit der Tochter der Heilerin zurück, welche sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.
Alvad packte Sirion am Arm und zog ihn so weit weg von dem Vorhang wie möglich, dann wandte er sich ihm zu, die Augen strahlend vor Begeisterung.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber, danke, dass du mich vom Schlafen abgehalten hast!", flüsterte er.
Sirion lachte auf. „Wegen Tjavis?", fragte er amüsiert.
Ein breites Grinsen zog sich über das Gesicht seines besten Freundes.
„Was eine Frau!", erwiderte er schwärmerisch und spähte zum Vorhang.
Sirion folgte seinem Blick und zog erheitert die Augenbrauen hoch. Noch nie hatte er Alvad so überwältigt erlebt.
„Bist du etwa verliebt?", neckte er.
„Ach wo...", erwiderte Alvad, doch noch immer sah er mit leuchtendem Gesicht dorthin, wo Tjavis und Charuna verschwunden waren.
„Du weißt, dass es den Mondtöchtern verboten ist, eine Bindung einzugehen.", merkte Sirion vorsichtig an.
„Wer redet denn von Bindung?", erwiderte Alvad und wandte sich wieder dem Schwarzhaarigen zu, „Es wird doch wohl noch erlaubt sein, einer wunderschönen Frau ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken, oder?"
Ihre Unterhaltung fand ein abruptes Ende, als eben die Heilerin zusammen mit den beiden Mondtöchtern zurück in den Raum kam.
Ohne etwas zu sagen, ging sie hinter den Tresen und begann, Kisten und Tiegel hervor zu ziehen, Kräuter zu zerstoßen und Baumrinde zu schneiden.
Wenig später füllte sie die zermahlenen Pflanzen in ein kleines Fläschchen, welches sie verkorkte und Charuna übergab.
Sirions Schwester verstaute die Medizin vorsichtig in einer Tasche ihres Kleides, dann verließen sie den Laden.
„Nun, wie war das mit Essen?", fragte Charuna in die Runde.
Alvad nickte und klatschte in die Hände. „Ich kenne einen Ort, wo wir etwas Gutes finden werden!", sagte er grinsend und ging ihnen voran, zurück zum Hauptbaum.
Dort angekommen führte er sie zu einem der eher kleineren Plätze des Kriegerviertels, auf dem dichtes Gedränge herrschte, wo ihnen schon bald ein verführerischer Duft in die Nase stieg. Schnell hatte Sirion die Quelle der Gerüche erkannt. Am Rand des Platzes hatten zwei Elfen, die in das einfache braun und grün der Kaste Synnvea gekleidet waren, einen Grill aufgebaut und brieten Fleisch.
„Sucht euch einen schönen Platz,", wandte Alvad sich an die zwei jungen Frauen und deutete zu einer Gruppe Bänke nicht weit von ihnen entfernt, „wir werden euch das Essen bringen."
Wenig später schoben sich Sirion und Alvad durch die Menge zu Charuna und Tjavis, die tatsächlich einen Sitzplatz für sie gefunden hatten. In Händen hielten sie gegrilltes Hasenfilet, gefüllt mit Nüssen und Kräutern, heiß und wunderbar duftend.
„Bitte sehr, schöne Frau.", sagte Alvad und reichte Tjavis mit einer leichten Verbeugung ihre Portion. Tjavis lachte auf und nahm dankend das Essen entgegen.
Mit schiefem Lächeln setzte sich Sirion neben seine Schwester und gab ihr ein Stück Fleisch. Charuna biss hinein und schloss genießerisch die Augen. „Mmh, das ist köstlich.", murmelte sie. Sofort nahm sie einen weiteren Bissen und widmete sich voller Genuss ihrem Essen.
Auch Sirion probierte und tatsächlich war es unglaublich gut, das Fleisch zart und saftig, die Kräuter und Nüsse herrlich würzig. Schweigend aß er weiter und genoss die herrliche Aussicht, die sich ihnen hier bot.
Sie saßen am Rand des Platzes mit Blick hinaus in den Wald. Schräg vor ihnen erhob sich einer der Bäume der Kaste Ruka, wo die Gilde der Schmiede lebte. Die Lichter der beleuchteten Häuser flackerten heimelig zu ihnen herüber.
Dahinter lag der Wald Tarvel in nächtlicher Dunkelheit, stolz erhoben sich seine Bäume in den Nachthimmel, wie Säulen, die im Sommer ein grünes Gewölbe tragen würden. Eine Gänsehaut fuhr Sirion über den Rücken, wie er so zu den Bäumen hinaus blickte. Der Wald schien vor Lebendigkeit zu vibrieren.
Sacht fuhr der Wind durch die noch kahlen Zweige. Tief am Boden des Waldes zeigte sich schon das erste Grün des Frühlings. Zarte Blumen reckten ihre Köpfe aus der Erde. Irgendwo rief ein einsamer Vogel, der vielleicht bereits sein Nest baute.
Fledermäuse umkreisten in kunstvollem Flug die Bäume, manche allein, andere trugen ihren Reiter auf dem Rücken. In stummen Tanz schossen sie durch die Luft.
Über ihnen spannte sich der Nachthimmel, funkelnd leuchteten die Sterne auf den Wald herab. Die Monde würden bald untergehen und im Osten färbte schon ein helles Band den Horizont und kündigte den nahenden Morgen an.
Tjavis glockenhelles Gelächter drang an Sirions Ohr, Alvad schien sie mit Geschichten aus ihrer Ausbildung zu unterhalten.
Müde streckte Sirion sich, nun wieder deutlich die Erschöpfung der letzten Wochen spürend. Langsam kehrte auf dem Platz Ruhe ein, als die Nacht sich ihrem Ende näherte. Charuna hatte schließlich ihre Portion beendet und erhob sich. „Wir sollten los, Tjavis.", sagte sie und unterbrach die angeregte Unterhaltung neben ihnen, „Man erwartet uns."
Tjavis nickte pflichtbewusst und erhob sich. „Es war schön, euch kennen gelernt zu haben.", sagte sie lächelnd zu Sirion und Alvad, „Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder."
Damit wandten die beiden sich ab und gingen davon.
Sirion stand ebenfalls auf und zog Alvad, der noch immer Tjavis und Charuna hinterher sah, am Ärmel.
„Komm,", forderte er ihn auf, „lass uns zurück gehen. Ich bin müde."

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Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende Wald
FantasyDer junge Nachtelf Sirion wurde in die Kriegerkaste seines Volkes hinein geboren. Und so beginnt er, wie es seit Jahrhunderten Tradition ist, die entbehrungsreiche Ausbildung zum Fledermausreiter. Doch in den Jahren seiner Ausbildung zum Krieger ver...