Sirions Racheplan - 2

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Schnatternd drängten die Novizen aus dem Saal nach draußen.
„So, was fangen wir nun mit der freien Nacht an?", fragte Torren in die Runde.
Ein wenig orientierungslos standen sie in der Gruppe beisammen, während um sie her die älteren Novizen entweder in die Stadt gingen oder sich noch einmal in die Schlafsäle oder Bibliothek zurück zogen.
Nymos Blick folgte denen, die entschieden hatten, etwas von ihrer Freizeit zum Lernen zu nutzen.
„Wir könnten in die Bibliothek gehen und noch einen Moment lernen", schlug er vor, worauf Almina mit einem begeisterten Nicken reagierte. Runam und Torren jedoch stöhnten zeitgleich auf.
„Kommt mal hierher...", flüsterte Sirion Alvad und Alvia zu und zog sie in eine leere Ecke der Vorhalle. Unter der Statue einer Fledermaus, deren Flügel die holzgeschnitzte Decke trugen, blieb er stehen und beugte sich verschwörerisch vor.
„Also... Eynar...", begann er leise, „wie wollen wir das angehen. Wir müssen heute die Vorbereitungen treffen."
Alvia warf kurz einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass niemand zuhörte.
„Wenn sich später das Haus etwas mehr geleert hat, gehe ich hoch und täusche vor, den Schlafsaal zu reinigen. Sobald ich sicher bin, dass wir ungestört sind, gebe ich euch aus dem Fenster ein Zeichen.", begann sie. Alvad nickte ernst. „Ich kann Schmiere stehen, dass euch niemand überrascht", bot er an.
„In Ordnung", sagte Sirion, „dann haben wir einen Plan. Lasst uns zu den anderen gehen, sonst fallen wir noch auf."
Sie entschieden, sich den anderen anzuschließen, welche in die Bibliothek gingen, um dort eine Weile zu lernen. Und so saßen sie wenig später gemeinsam mit Runam, Torren, Larsol, Almina, Nymo und Sylire an einem Tisch und versuchten sich, auf ihre Aufzeichnungen aus Clyas Unterricht zu konzentrieren.
Doch niemandem wollte das so recht gelingen. Selbst Nymo, der sonst sich für Stunden in seinen Notizen vergraben konnte, ohne ein Wort zu sprechen, rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und schien seinen Vorschlag bald zu bereuen.
Sie alle warfen Blicke aus dem Fenster, wo die Stadt schon zum Leben erwacht war und die Vorbereitungen für das große Fest begonnen hatten.
„Oh können wir nicht einfach raus gehen?", beschwerte sich Runam und fuhr sich entnervt durch ihr Haar.
„Find ich auch", stimmte Torren ihr zu, „eine Nacht ohne lernen wird uns schon nicht die Prüfung kosten."
„Kannst du denn deinen Gebetszyklus schon?", hakte Almina nach.
„Nein, aber den lerne ich heute nacht auch nicht mehr!", schnappte der Elf.
Sirion starrte mit glasigen Augen auf den Zyklus, den er auch vor sich liegen hatte.
... denn in eurem sanften Schein sind wir geborgen...
Wild wirbelten die Gedanken durch Sirions Kopf.
Deutlich erinnerte er sich daran, wie er als Kind während der Sonnenwende kaum hatte schlafen können. Ungeduldig hatte er den Abend herbei gesehnt, wenn die Eltern ihn endlich für das Fest abholen würden. Voller Vorfreude hatte er sich ausgemalt, wie er selbst eines Tages auch die Tagwache halten dürfte... Endlich einer der Erwachsenen.
Einmal hatte er sich ans Fenster geschlichen und die Verdunklung beiseite geschoben, um nach draußen zu schauen. Gleißend helles Licht hatte ihm entgegen geleuchtet, schmerzhaft in den Augen, sodass ihm sofort die Tränen gekommen waren. Nichts hatte er erkennen können und für Stunden war seine Sicht getrübt gewesen.
Seitdem hatte er nicht mehr versucht, heimlich das Sonnenlicht zu erspähen und nervös stellte er sich vor, wie es wohl nachher für ihn sein würde, ins Tageslicht zu treten. Er wusste, dass ein spezieller Sichtschutz verwendet werden würde, um seine Augen zu schützen. Aber ein gewisser Respekt blieb.
Sirion schüttelte den Kopf, um die Gedanken an das Fest aus seinem Kopf zu vertreiben und er sah wieder auf den Text vor sich.
...denn wer auf euren Schutz vertraut, der wird in der Nacht immer behütet sein...
Ob sein Plan funktionieren würde? Würde es ihnen gelingen, Eynar bloß zu stellen, und sich für all die Gemeinheiten von ihm zu rächen?
Was, wenn man herausfand, dass sie dahinter steckten?
Er spähte zu Alvad und Alvia hinüber.
Alvia wendete nervös ihre Feder in den Händen und er wusste nicht so ganz, ob der Trubel um das Fest oder die geplante Rache an Eynar sie nervös machte. Alvad dagegen hatte das Lernen wohl schon bereits aufgegeben und sah zum Fenster raus.
Sirion erhob sich. „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann das hier gerade nicht", sagte er und schlug sein Buch zu, „Lasst uns rausgehen."
„Ja!", rief Alvad erleichtert aus und erhob sich ebenfalls.
Blicke wurden getauscht und die restlichen ihrer Gruppe standen auch auf. Die meisten schienen eigentlich froh zu sein, dass Sirion das Lernen beendet hatte.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt