Schwärmerei - 1

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Dröhnende Stille senkte sich auf Sirions empfindliche Ohren. Stetig und ruhig floss sein Atem ein und aus. Tiefe Ruhe hatte ihn erfasst, während nichts außer seinem Atem und die Stille ihn erfüllte. Verschwommenen Bildern ähnlich zogen Gedanken durch seinen Geist, ein behäbig dahin ziehender Strom an Farben und Eindrücken, der aber zu keinem Zeitpunkt wirklich klare Gestalt annahm.
Die Schmerzen seiner angestrengten Muskeln, die Erschöpfung vom ständigen Lernen und dem intensiven Unterricht sowie das Gefühl, stets zu wenig geschlafen zu haben, traten vollkommen in den Hintergrund und machten Frieden und Wohlbefinden Platz.
Ein und aus strömte der Atem des jungen Elfen, ein und aus, während er im Schneidersitz auf dem hölzernen Boden des Zimmers saß, in dem Meister Tarbek sie für eine Meditationseinheit versammelt hatte.
Entspannt lagen Sirions Hände in seinem Schoß, wo sich nur die Daumen sachte berührten.
Den Meister und die anderen Novizen, die um ihn her saßen, hatte er beinahe völlig vergessen, genauso wie die schweißtreibende Laufrunde, von der sie erst vor kurzem zurück gekommen waren.
Vollkommene Stille umgab die in Meditation versunkenen Novizen.
Da drang ein Laut an seine Ohren. Eine Stimme, die vom Treppenhaus her zu kommen schien.
„Ich bringe eine Botschaft der Mondmutter das baldige Fest betreffend", schwebten die Worte durch die verschlossene Tür zu ihnen.
Sirion kannte diese Stimme. Das Bild einer jungen Frau schälte sich aus dem fernen Gedankenstrom und brachte seine Konzentration ins Bröckeln.
Tjavis, die Freundin seiner Schwester...
Er hörte, wie eine Antwort entgegnet wurde und erneut Tjavis Stimme: „Hier ist das Schreiben, habt Dank"
Neben Sirion bewegte sich etwas. In seinem Zustand höchster Konzentration war die Anspannung, die er auf einmal neben sich wahrnahm, fast greifbar.
Alvad, der zu seiner Rechten saß, rutschte unruhig hin und her. Der Klang von Tjavis' Stimme schien ihn aus seiner Meditation geholt zu haben.
Seine Unruhe steckte zunehmend auch Sirion an, so sehr dieser sich auch mühte, wieder in seine konzentrierte Meditation zurück zu finden. Frustriert knirschte er mit den Zähnen und hätte dem rumhampelnden Alvad am liebsten einen saftigen Tritt versetzt.
Ungebetene Gedanken schoben sich nun nach vorne. Wie lange saßen sie hier schon? Deutlich merkte er mit einem Mal seine schmerzenden Kniegelenke. War es nicht langsam Zeit fürs Essen?
Laut vernehmbar knurrte sein Magen.
Nun hörte er etwas weiter weg ein Rascheln, auch die anderen schienen langsam ihre Konzentration zu verlieren.
Sirion erlaubte sich einen als langen Ausatmer getarnten Seufzer, in der Hoffnung, dass Meister Tarbek diesen nicht bemerkte. Meditieren war nun vergeblich, alles, was er tun konnte, war mit geschlossenen Augen ruhig zu atmen und das Ende der Lektion abzuwarten.
Also übte er sich in Geduld, die Schmerzen vom langen Sitzen und den aufkeimenden Hunger so gut wie möglich ignorierend.
Und dann endlich erklang die erlösende Stimme Tarbeks, als dieser sie mit einem für seine Verhältnisse sehr sanften „Novizen!" aus der Meditation holte.
Langsam öffnete Sirion die Augen und sah sich um. Im ganzen Raum verteilt öffneten Novizen die Augen, schüttelten vorsichtig den Kopf oder bewegten die Gliedmaßen, um langsam wieder in der Realität anzukommen. Er wandte sich Alvad neben ihm zu, der mit glasklarem und schon sehr wachem Blick zur Tür hinüber sah. Er fing Sirions Blick auf und seine Lippen formten begeistert das Wort „Tjavis". Mit einer Mischung aus Amüsement und Genervtheit schüttelte Sirion leicht den Kopf und erhob sich langsam.
Alvad stürmte als einer der Ersten zur Tür und riss diese auf. Mit weit ausgreifenden Schritten lief er zur Treppe und blickte nach unten in die Eingangshalle.
Sirion dagegen wartete noch einen Moment und schloss sich Almina, Torren und Alvia an, die gemeinsam den Raum verließen.
„Wir haben nach dem Essen etwas Zeit bis zum Unterricht von Meisterin Gylledh", sagte Almina.
„Ah da kann man sich ja mal ausruhen", kam es erleichtert von Torren, was ihm einen strengen Blick Alminas einbrachte. „Ich dachte eher, dass wir in der Bibliothek etwas lernen", erwiderte sie. „Oh wenn du meinst...", brummte Torren.
Alvia derweil schlenderte zu ihrem Zwilling hinüber. Dieser stand mit hängenden Schultern am Treppengeländer. „Sie ist nicht mehr da...", murmelte er und Alvia tätschelte sanft seine Schulter.
„Komm, lass uns essen gehen", forderte sie ihn auf und zog Alvad mit sich.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt