Geheime Liebe - 2

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Mit stolzem Grinsen sah Sirion auf den fertigen Schienbeinschutz in seiner Hand. In äußerst mühseliger Kleinarbeit hatte er in den letzten Stunden das zurechtgeschnittene Leder angebracht und dann vorgefertigte Schnallen angenäht.
„Komm her, wir schauen, wie gut er passt", sagte Hepharo. Der Schmied kniete sich hin und befestigte dann das Rüstungsteil an Sirions Bein.
Strahlend und für einen Moment seine Erschöpfung vergessend blickte Sirion auf sein Werk hinab. Da er eine dicke Arbeitshose trug, passte es nicht perfekt, trotzdem schwoll ihm die Brust vor Stolz.
„Gut gemacht", lobte Hepharo ihn und nahm den Schoner wieder ab, „Morgen nehmen wir uns das nächste Stück vor"
Freudig schloss sich Sirion den anderen Novizen an, die die Kriegsschmiede verließen. „Na kommst du gut voran?", erklang neben ihm Torrens Stimme. Der Elf grinste ihn ausgelassen an. „Ja, ich habe heute meinen ersten Schienbeinschutz fertig gestellt", erwiderte Sirion sehr zufrieden mit sich selbst, „nur noch die Verzierungen fehlen. Hepharo sagt, die machen wir ganz zum Schluss, wenn die gesamte Rüstung fertig ist."
Er sah zu dem rothaarigen Novizen neben sich. Torren, so hatte er gesehen, war schon dabei sein zweites Rüstungsteil fertig zu stellen. Der junge Mann schien ein Händchen für die Schmiedearbeit zu haben, denn er war deutlich schneller wie die anderen Novizen.
„Hast du Alvad und Alvia gesehen?", fragte er Torren, doch der schüttelte den Kopf. Suchend blickte Sirion sich unter den Novizen um, die schnatternd zurück zum Haus der Novizen gingen. Runam und Almina winkten ihm zu, er jedoch schob sich aus der Menge und erblickte da endlich die Zwillinge.
Die zwei standen an der Seite des Weges und Sirion war sofort klar, dass sie stritten. Alvia hatte die Hände in die Hüften gestemmt, ihr Gesicht war gerötet, was sicher nicht nur von der Hitze der Esse herrührte. Ihr Bruder stand mit zornigem Gesichtsausdruck vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich versteh dich einfach nicht, Alvad!", hörte Sirion Alvia ausrufen, als er sich den beiden näherte, „Was ist an ihr so tolles dran, dass du vollkommen deine Pflichten vergißt?"
„Ich habe meine Pflichten nicht vergessen", fauchte Alvad mit gebleckten Zähnen, „Woher sollte ich wissen, dass Tarbek ausgerechnet heute Nacht uns noch kletternd durch den Baumstamm jagen wollte?"
„Was ist los?", fragte Sirion und trat an die beiden heran, doch sie beachteten ihn kaum. Er konnte auch so schon erahnen, was Alvia so erzürnte, und ihre nächsten Worte bestätigten seine Vermutung.
„Ein nächstes Mal werde ich dir sicher nicht den Hals retten, wenn du lieber herumturtelst!", schnappte sie.
Alvad warf die Hände in die Luft. „Fein!", donnerte er sie an, „Ich wusste ja nicht, dass dir Familie so wenig bedeutet, dass du mich einfach so im Stich lassen würdest!"
„Du bist doch derjenige, der hier seine Ausbildung aufs Spiel setzt und deine Zeit lieber anderweitig verplemperst! Wann hast du das letzte Mal wirklich gelernt? Planst du vermutlich wieder, bei mir oder Sirion abzuschreiben? Wenn, dann lässt du hier dich selbst im Stich!"
Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte mit wehendem Haar davon.
Alvad stieß die Luft aus und funkelte Sirion angriffslustig an. „Willst du mich auch zurecht weißen?", fragte er mit gefährlichem Knurren.
Sirion jedoch schüttelte den Kopf, „Danke, das Vergnügen überlasse ich Alvia", erwiderte er.
Einen Moment lang starrte Alvad ihn finster an, dann zuckten seine Mundwinkel in der Andeutung eines Lächelns. Mittlerweile waren die anderen Novizen fort und sie setzten sich in Bewegung.
„Sie hält nichts davon, dass ich mich mit Tjavis treffe", sagte Alvad leise und mit plötzlich hängendem Kopf.
„Ja das habe ich bemerkt...", antwortete Sirion.
Sie schwiegen einen Moment, während das Haus der Novizen langsam näher kam.
„Ich denke, sie macht sich einfach Sorgen, dass du aus der Ausbildung raus fliegst", mutmaßte Sirion, „Sie hat recht, du lernst kaum noch und bist unaufmerksam im Unterricht."
„Lass das mal meine Sache sein, ja Sirion?", brummte Alvad noch immer gereizt, „Es ist mein Leben und Alvia führt sich gerne als Mutter auf, aber das ist sie nicht. Ich weiß, was ich tue. Und auch, wenn ihr beide meine Gefühle gerne belächelt, ich liebe Tjavis. Und sie liebt mich. Es ist mir egal, dass unsere Liebe verboten ist und geheim bleiben muss. Irgendwie werden wir beide einen Weg finden."
Sie hatten den Eingang zum Haus der Novizen erreicht. Schweigend ließ Sirion Alvad vorgehen, von plötzlichem Respekt für seinen Freund erfüllt, der neben der Ausbildung noch die Last seiner geheimen Liebe auf den Schultern trug. Zum ersten Mal fiel Sirion auf, wie sehr Alvad sich in den letzten Monaten verändert hatte. Erwachsener war er geworden, härter irgendwie.
Sie hatten noch etwas Zeit bis zu Meister Tuulars Unterricht und sie entschieden, noch etwas in der Bibliothek zu lernen. Als sie diese betraten, stellten sie fest, dass sie nicht die Einzigen waren, die diese Idee gehabt hatten.
An einem Tisch an der Fensterfront saßen Sylire, Runam, Alvia, Larsol, Nymo und Eyolf beisammen. Alvia hob den Blick, als ihr Bruder und Sirion sich näherten. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich und sie wandte sich wieder dem Buch vor ihr zu. Auch Alvad schien wenig bestrebt, mit seiner Schwester zu sprechen, und setzte sich ans andere Ende des Tisches.
Sirion entschied sich, die Sache zwischen den beiden nicht zu forcieren und hockte sich zwischen Sylire und Alvad. Dann holte er seine Aufzeichnungen zum Aufbau der Fledermausflügel hervor.
Er hatte sich noch keine fünf Minuten in die Namen der einzelnen Knochen vertieft, als Sylire sich zu ihm hinüber beugte.
„Was ist denn bei den beiden los?", fragte sie und ruckte mit dem Kopf zu den Zwillingen. Er folgte ihrem Blick.
Alvad blätterte finster drein blickend in einem Buch über den Bewegungsapparat der Fledermaus und Alvia vergrub sich in ihren Notizen zur Flugmuskulatur. Sirion schüttelte nur den Kopf. Selbst wenn Alvads Gefühle für Tjavis nicht problematisch wären, würde er Sylire sicher nicht einweihen, wenn er nicht wollte, dass zum Ende der Nacht das ganze Haus der Novizen Bescheid wusste.
„Kannst du mich abfragen?", wechselte er einfach das Thema und hielt Sylire die Blätter mit seiner Zeichnung hin. Die blonde Elfe lächelte, wohl wissend, dass er etwas vor ihr geheim hielt, aber ließ sich auf sein Ablenkungsmanöver ein.
„Na dann leg mal los", meinte sie und griff nach den Aufzeichnungen, „welche Knochen haben wir im Flügel, ausgehend vom Rumpf?"
Mit einem tiefen Durchatmen lenkte Sirion seine Gedanken fort von Alvad und begann seine Aufzählung.
Er war noch nicht weit gekommen, als Alvia ein entnervtes Schnauben ertönen ließ, das Buch, in dem sie gerade geblättert hatte, hinknallte und aufstand. Ohne eine Erklärung verließ sie den Tisch und tauchte zwischen den deckenhohen Regalen ab.
Verwundert blickten sie ihr hinterher, Alvad schüttelte resignierend den Kopf, unterbrach sein Lernen allerdings nicht, um ihr zu folgen. Und auch Sirion führte die Aufzählung für Sylire fort, die, bei jedem richtig genannten Knochen, bestätigend nickte.
„Und jetzt die Muskeln", meinte sie dann mit strahlendem Lächeln, als er geendet hatte. Mit großen Augen sah Sirion sie an. „Die habe ich noch gar nicht gelernt!", rief er aus.
„Wir werden sie jetzt aber bald im Unterricht diskutieren und vermutlich erwartet Meister Tuular von uns, dass wir sie nach fünf Nächten alle aufzählen können", erwiderte Sylire in aller Seelenruhe, „Fang einfach mit dem an, woran du dich erinnern kannst."
Sirion seufzte, gab sich aber geschlagen und mit konzentriert zusammen gekniffenen Augen, fuhr er mit der Muskulatur fort. Neben ihm zog Sylire ein Buch zu Rate und korrigierte ihn sanft.
Als sie es nach einer gefühlten Ewigkeit auch durch die Flugmuskalatur geschafft hatten, schlug Sirion wieder die Augen auf und fuhr sich durchs Gesicht. Wie viel lieber würde er einfach direkt fliegen lernen, anstatt sich durch dieses trockene Auswendiglernen zu kämpfen. Er konnte kaum nachvollziehen, dass manche der Novizen, wie zum Beispiel Almina, sich mit Feuereifer diesen Studien widmeten.
Er sah sich um und stellte verwundert fest, dass Alvia noch nicht an ihren Platz zurück gekommen war. „Entschuldigt mich", meinte er und erhob sich.
Suchend trat er zwischen die Regale und sah sich nach der Elfe um. Wider Erwarten fand er sie weder bei den Büchern zur Anatomie der Fledermaus und auch nicht bei der Physiologie. Als Nächstes suchte er die Glaubenslehre ab, da sie in Kürze von Meisterin Clya erwartet wurden.
Er gab es schon fast auf, als er sie erblickte.
„Kartierung Tarvels?", fragte er verwundert, als er neben Alvia trat. Erschrocken wirbelte sie herum, hätte beinahe das schwere Buch fallen gelassen, in dem sie geblättert hatte.
„Sirion, du bist es!", japste sie ertappt und klappte den Wälzer zu.
„Was machst du hier?", fragte Sirion sie.
„Ach ich...", fing sie an und hob das Buch zurück ins Regal, „Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren, wegen Alvad und... und all dem."
Sie trat einen Schritt zurück und ließ ihren Blick über die Bücher schweifen. „Und weißt du, mir geht das Ödland nie so recht aus dem Kopf und ich dachte, irgendwo muss doch Kartenmaterial dazu zu finden sein."
„Vielleicht wurde es wirklich nie erforscht", wandte Sirion ein, doch Alvia schüttelte energisch den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen", erwiderte sie und streckte sich nach einer Pergamentrolle und entrollte sie. Sie blickten auf eine Karte Tarvels hinab. „Aber, du siehst, nirgendwo gehen unsere Karten über die Waldgrenze hinaus."
Sie seufzte. „Ich werde einfach noch weiter suchen, vielleicht finde ich ja etwas."
In eben diesem Moment kam weiter hinten in der Bibliothek Bewegung auf und Alvia blickte zu Sirion. „Wir müssen los zu Meisterin Clya, nicht wahr?"
Sirion nickte und unterdrückte ein Gähnen, er war schon wieder furchtbar müde. Doch auch wenn die Nacht sich bereits dem Ende neigte, konnten sie noch nicht schlafen gehen. Alvia räumte das Kartenmaterial weg und sie schlossen sich den anderen an, die die Bibliothek verließen und zu Clyas Unterricht gingen.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt