Sirions Racheplan - 1

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Mit raschen Schritten entfernten sich Sirion und Alvad von dem Flugloch, in dem sie eben noch herumgelungert hatten, bis die ankommende Fledermaus sie beinahe umgeworfen hatte. Der Weg, den sie nahmen, war noch immer voller Elfen, die ihnen guten Sichtschutz boten.
Hin und wieder drehten sie die Köpfe und blickten zurück, doch der Krieger hatte wohl entschieden, dass eine Verfolgung die Mühe nicht wert war. Und so verlangsamten sie ihr Schritttempo und schlenderten gemütlich weiter.
Eine Weile liefen sie wieder in Richtung des Novizenhauses, als Sirion nach vorne deutete. „Schau mal, da sind die Mädchen", rief er und tatsächlich standen nicht weit entfernt Alvia, Almina, Runam und Sylire am Rand einer Plattform und genossen plaudernd die Aussicht über den Wald.
Alvia drehte den Kopf und erblickte die beiden jungen Männer, die sich ihnen näherten.
„Sirion! Alvad!", rief sie ihnen zu und winkte.
„Seid ihr fertig mit den Schwertformen?", erkundigte sich Almina, als die beiden sich zu den Mädchen dazu gesellten.
„Für den Moment ja...", erwiderte Sirion, der nur sehr ungern daran erinnert wurde. Ungehalten ballte er die Hand zur Faust. „Ich kann immer noch nicht verstehen, warum Eynar bei dem Fest seine Vorführung machen darf..."
Almina nickte bekräftigend, „Ja das sollte ihm nicht erlaubt werden, das ist ungerecht."
„Sagt mal, wollten wir uns nicht was zu essen suchen?", machte sich da Runam bemerkbar, „Ich hab schrecklichen Hunger und falls ihr es noch nicht bemerkt habt, es wird bald hell."
Die stämmige Elfe deutete gen Osten, wo sich bereits ein helles Band am Himmel zeigte und die Sterne schon deutlich verblasst waren.
„Stimmt Runam, kommt, gehen wir", erwiderte Sylire und ging den anderen voran zu einer Treppe, die sie eine Ebene tiefer führen würde. Runam und Almina schlossen zu der Blonden auf, während Sirion mit den Zwillingen folgte.
„Eynar hat tatsächlich heute vor Eyolf, Darla und Torren damit angegeben, dass er zusammen mit Femkana bei dem Fest zur Sommersonnenwende eine Vorführung der ersten Schwertformen geben wird", erzählte Alvia den beiden Jungs mit leiser Stimme.
Sirion bleckte die Zähne und gab ein leises, frustriertes Fauchen von sich.
„Ich glaub es nicht...", meinte Alvad, „Er sollte dankbar für die Ehre sein, die ihm trotz seines Fehltrittes zuteil wird. Ich an seiner Stelle wäre mal ganz still. Am Ende entscheiden sich die Meister doch noch um? Dann steht er als Lachnummer da."
„Die Meister wollen sich doch auch keine Blöße geben...", warf Sirion ein und Alvia schnaubte.
Einen Moment lang liefen sie schweigend hinter Sylire, Runam und Almina hinterher, die Kurs auf den Stand eines Bäckers genommen hatte, von wo ein verführerischer Duft her wehte.
„Ich werde mich an Eynar rächen", erklärte Sirion leise und die Zwillinge wandten ihm die Köpfe zu.
„Wie?", fragte Alvad.
„Ich weiß es noch nicht", erwiderte Sirion mit finsterem Blick, „Doch ich habe es satt, seine selbstgefällige Miene ertragen zu müssen. Er wird für seine Arroganz bezahlen."
Sie waren beim Bäckerstand angekommen und Sylire kaufte für die ganze Gruppe mit Beerenpaste gefüllte Rollen aus Kastanienteig.
Sirion verfolgte das Thema nicht weiter, während sie zu sechst sich wieder auf den Rückweg zum Haus der Novizen machten, die warmen und süßen Teigrollen verspeisend. Über ihnen waren fast alle Sterne verblasst und unangenehm helles Licht erhob sich im Osten über dem Wald. Sämtliche Elfen beeilten sich nun, in ihre Häuser zu kommen, welche sie gegen das Sonnenlicht abdunkeln konnten. Auch die letzten Fledermäuse kehrten nun von ihrem nächtlichen Flug heim, das Rauschen ihrer Schwingen erfüllte die Luft.
Auf dem Weg zurück warfen Alvad und Alvia immer wieder Blicke zu Sirion hinüber, doch solange die anderen drei so nahe bei ihnen waren und zuhören konnten, wollten sie nichts weiter sagen.
Am Novizenhaus angekommen, zogen die drei sich in die Bibliothek zurück, wo Celurean gerade die Fensterläden schloss.
„Ich will, dass er sich bei der Vorführung blamiert", sagte Sirion im Flüsterton, „Es soll ihm eine Lehre sein."
Nachdenklich tauschten die beiden Geschwister einen langen Blick und Sirion spürte Dankbarkeit in sich aufkommen. Sie fragten nicht nach einem genauen Plan oder dem Risiko, das dieses Vorhaben mit sich brachte. Ohne einen Moment zu zögern standen sie ihm bei.
Ein tückisches Lächeln erschien auf Alvias Gesicht. „Ich habe eine Idee...", sagte sie leise und winkte den beiden Jungen, sich näher zu ihr vorzubeugen.

Die kürzeste Nacht des Jahres näherte sich schnell.
Am frühen Abend der letzten Nacht vor dem Fest wurden Sirion und die anderen Novizen des ersten Jahres von Meister Tarbek geweckt. Doch nicht zum üblichen Trainingslauf holte er sie, stattdessen führte er sie hinab in den großen Saal, in dem sie immer ihre Mahlzeiten einnahmen. Schweigen empfing sie dort, wo schon mehrere andere Novizen und auch einige der Meister auf den geflochtenen Matten am Boden knieten.
Sich gespannt umschauend, ließen Sirion und die anderen sich ebenfalls nieder, während auch die letzten Elfen eintrafen und sich Plätze suchten.
Großmeisterin Unura, die Vorsteherin des Hauses, erhob sich und ließ ihren Blick über die Novizen schweifen.
„In dieser Nacht bereiten wir uns auf das Fest der Sommerwende vor. Wenn diese Nacht zuende geht, beginnt der längste Tag des Jahres. Kein Unterricht wird heute stattfinden, um euch die Möglichkeit zu geben, euch auf das morgige Fest gebührend vorzubereiten. Es wird von den Novizen erwartet, dass sie bei den Vorbereitungen für das Fest helfen. Erweist euch also als ehrenhafte Mitglieder unserer Kaste und helft, unsere Stadt auf die Sommerwende vorzubereiten."
Damit setzte sie sich wieder hin, legte die Hände auf den Schoss und senkte die Augenlider zu einer kurzen Meditation.
Stille legte sich über den Saal, als alle Anwesenden es ihr gleichtaten.
Mit aufgeregt pochendem Herzen schloss Sirion die Augen. Im letzten Jahr war er noch als Kind von einigen der Rituale dieses Festes ausgeschlossen gewesen. Zwar hatte er seinen Eltern dabei helfen dürfen, das Haus zu schmücken, und sie hatten ihn mit in die Stadt genommen, um dort das geschäftige Treiben vor dem Fest zu sehen. Doch hatte man ihm nicht erlaubt, so wie die Erwachsenen in dieser Nacht zu fasten. Und auch von der Tagwache war er ausgeschlossen gewesen.
Den längsten Tag des Jahres verbrachten viele erwachsene Nachtelfen wach in der Stadt, meditierend, betend oder einfach nur wartend, wartend darauf, dass das Licht wieder schwand und die Nacht anbrach.
Er war genau wie die anderen Kinder zu Bett geschickt worden, manchmal bei einem älteren Familienmitglied, das ebenfalls zu Hause blieb. Am nächsten Abend war er dann von seinen Eltern geweckt worden, um mit ihnen das große Fest zu besuchen, mit dem das Erstarken der Nacht gefeiert wurde.
Wie sehr hatte er sich gewünscht, ebenfalls bei der Tagwache dabei sein zu dürfen. Und nun war es endlich so weit!
Nervös rutschte er hin und her, versuchte, die Aufregung so gut es ging, zu unterdrücken.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, erklang erneut Großmeisterin Unuras Stimme. „Geht nun, Novizen. Macht euch bereit für das Fest."

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt