Hinter den Bäumen - 1

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Stille lag über den Novizen im Speisesaal, als die letzten Worte des Gebetes an Synnvea und Ruka, verhallten. Wie in jeder Nacht beendeten sie das Nachtmahl.
Einen Moment lang hockte Sirion unbeweglich da, dann als auch die anderen Novizen leise sich von ihren Plätzen erhoben, stand auch er auf. Im üblichen Lärm und Gedränge brachten er und die Zwillinge ihr Geschirr zur Küche und verließen dann den Saal zusammen mit all den anderen Novizen.
Während die meisten der jungen Elfen sich auf die verschiedenen Unterrichtsräume oder die Bibliothek aufteilten, gingen die Novizen des zweiten Jahres nach draußen auf den Vorplatz, wo Meister Tarbek sie zusammen mit einem fremden Elfen erwartete.
Der Schnee des Winters war vor einigen Wochen geschmolzen und ganz langsam wurden die Nächte wärmer. Über ihnen versanken die Wintersterne schneller hinterm Horizont und die Luft begann wieder nach Leben zu schmecken.
Schweigend stellten sie sich in einer Reihe vor den beiden Elfen auf, neugierig den schwarzhaarigen Fremden musternd. Er war kein Mitglied ihrer Kaste, seine Uniform zeichnete ihn als Schmied der Kaste Ruka aus.
„Dies ist Hochschmied Wielar,", begann Tarbek, „er wird euch lehren, eure eigenen Waffen herzustellen. Noch heute werdet ihr in seiner Begleitung Iridia verlassen und den Wald Tarvel durchqueren. Ihr werdet die Stadt Rukaya erreichen, die am Rande des Waldes liegt und dort das Erz abbauen, mit dem ihr eure Schwerter schmieden werdet."
Er machte eine Pause und aufgeregtes Tuscheln erhob sich unter den Novizen, die nun die Aufregung nicht länger unterdrücken konnten. Sirion wandte sich Alvad neben ihm zu: „Hast du das gehört? Wir verlassen die Stadt? Endlich schmieden wir unsere Waffen!" Er strahlte seinen Freund an.
Tarbek hob die Hand und sofort legte sich Stille über die Jugendlichen.
„Geht nun, packt eure Sachen und findet euch hier wieder ein. Wir brechen bald auf.", wies er sie an.
Niemand trödelte auf diese Worte. Mit raschen Schritten eilten sie alle wieder nach oben in ihren Schlafsaal und schnürten ihre Reisebündel.
„Wie lange werden wir nach Rukaya unterwegs sein?", erkundigte sich jemand.
„Stimmt es, dass in Rukaya keine Angehörige unserer Kaste leben?", fragte Almina, als sie flott den Raum wieder verließen und die Treppe hinab liefen.
„Ich glaube schon", erwiderte Valmedar neben ihr.
„Warum nicht?", fragte Alvad und Valmedar zuckte mit den Schultern.
„Es ist eine Stadt, die der Göttin Ruka geweiht ist. Vor allem Angehörige ihrer Kaste leben dort, sowie einige Mitglieder von Synnvea. Rukaya ist einfach keine Stadt der Krieger, sondern des Handwerks", erwiderte er, „Ob es sonst einen Grund hat, weiß ich nicht."
Begierig auf die Reise, die nun vor ihnen lag, schritten sie durch die großen Portale des Hauses und wieder hinaus auf den Vorplatz, wo Tarbek und Wielar sie erwarteten.
Tarbek ließ einen langen Blick über sie schweifen, dann nickte er zufrieden und bedeutete ihnen, den beiden Elfen zu folgen.
In raschem Tempo, aber dankenswerter Weise nicht im Laufschritt, führte er sie die Wendeltreppe entlang, die sich um den Stamm des Baumes wand, bis zum Arviaheiligtum.
Von dort ging es weiter hinab zum Viertel der Kaste Synnvea. Sie wurden nicht langsamer und so blieb Sirion keine Zeit nach Adano und seiner Familie Ausschau zu halten, während sie den schmalen Pfaden folgten, die sie näher und näher zum Waldboden brachten. Sowohl Sylire als auch Larsol winkten jemandem unter den Elfen der Kaste Synnvea zu, konnten aber nicht für eine Unterhaltung stehen bleiben.
Schließlich ließen sie auch die Häuser der hier lebenden Elfen hinter sich und erreichten den Waldboden.
Stille Anspannung ergriff die Novizen und auch ihre beiden Anführer verlangsamten ihr Tempo nun. Wachsam ging der Blick Tarbeks und Wielars hin und her, während sie an moosbewachsenen Wurzeln entlang gingen und sich Zweige, Farnblätter und Büsche über sie beugten.
Keiner sprach ein Wort, als sie vorsichtig den Pfad auf der Wurzel verließen und die Füße auf den weichen, feuchten Erdboden setzten. Der Wald roch hier so viel intensiver nach Erde und Moos und Pilzen. Ein leicht süßlicher Duft mischte sich in die Luft, die viel schwerer war, als hoch oben in der Stadt. Er legte den Kopf in den Nacken, doch kein Fleckchen vom Himmel konnte er sehen. Alles über ihm war verdeckt von Farnen und Zweigen. Weder Monde noch Sterne leuchteten zu ihnen herab und erhellten ihren Weg. Ein beklemmendes Gefühl legte sich um Sirions Brust. Er war nicht für den Waldboden geschaffen.
Sirion erinnerte sich an den Tag, als er mit Adano hier unten gewesen war, an die Anspannung, die ihn befallen hatte, genauso wie jetzt. Froh war er gewesen, als sie den Waldboden wieder hinter sich gelassen hatten.
Doch nun sollte er eine weite Strecke zu Fuß auf dem Waldboden zurück legen, in unbekanntem und mysteriösem Gebiet. Sein Atem ging rascher, als er daran dachte, wie orientierungslos er sein würde, würde er den Anschluss an die Gruppe verlieren. Hektisch schloss er auf und spähte nach Tarbek und Wielar. Sie wollte er bloß nicht aus dem Auge verlieren.
Dicht aneinandergedrängt und sorgenvolle Blicke umher werfend folgten die Novizen schweigend dem Krieger und dem Schmied.
Seltsam weich und nachgiebig fühlte sich der Boden unter ihren Füßen an. Ungewohnt im Gegensatz zu dem festen Holz des heimatlichen Baumes, das verlässlich jeden Schritt stützte. Wie ein morastiger Teppich war der Waldboden, bedeckt von Moos, Blättern und Matsch.
In einer langen Reihe folgten die Novizen schweigend Tarbek und Wielar, die sie in raschem Schritt fort von der Stadt führten. Kaum einer wagte, ein Wort zu sprechen.
Bald schon war Iridia ihren Blicken entschwunden.
„Was denkst du, wie lange wir unterwegs sein werden?", flüsterte Alvad Sirion zu. „Ich weiß es nicht", wisperte dieser zurück. Dann verstummten sie wieder.
Die Nacht schritt voran und über ihnen zogen die Monde und Sterne ihre Bahnen. Doch nur wenig von ihrem Licht drang bis hier herunter, viel wurde von dem dichten Dach des Waldes abgehalten. Es störte sie in ihrer Sicht nicht, waren die Augen doch empfindlich genug, um auch in Dunkelheit gut zu erkennen. Doch war das vertraute Licht der Monde tröstlich und hier schien es weit entfernt.
Stunden vergingen, in denen sie, ohne das flotte Tempo zu drosseln, weiterliefen. Nun war Sirion um die vielen Trainingsläufe mit Meister Tarbek dankbar, denn ohne sie hätte er sicher nicht die Kondition gehabt, um diese Geschwindigkeit über Stunden beizuhalten.
Ihr Meister und der Schmied führten sie über Stock und Stein, durch dichte Hecken hindurch, die oft höher als die Elfen waren, ließen sie über umgefallen Bäume klettern, wenn diese nicht zu umrunden waren, Anhöhen hinauf und wieder hinunter und durch eisige Bachläufe hindurch.
Stets lauschten sie nach großen Tieren. Zwar waren diese oft friedlich, doch bemühte man sich dann doch, ihnen aus dem Weg zu gehen. Doch ohne Begegnungen verlief diese Nacht und als heller werdender Himmel den Morgen ankündigte, blieb Meister Tarbek an einer dichten Hecke stehen.
„Hier werden wir diese Nacht Schutz finden", verkündete er. „Sucht euch einen Schlafplatz, es wird kein Feuer gemacht und bleibt dich beisammen. Ich benötige vier Freiwillige für die erste Wache."
Erschöpft duckte Sirion sich unter den Heckenzweigen hindurch und krabbelte beinahe auf allen vieren in den Unterschlupf. Alvia und Alvad folgten dicht hinter ihm. Sie alle drei waren nicht erpicht auf die Wache, angestrengt hatte sie der Marsch hierher.
„Na das wird ja sehr komfortabel", brummte Alvia, als sie sich ein kleines Plätzchen gesucht hatten und dieses von Blättern und Ästchen frei räumten.
„Ich bin so müde, ich schlafe glaube ich ohne Probleme", erwiderte Sirion und streckte seine wunden Muskeln, soweit das in dem beengten Raum ging.
Sie hörten, wie vor der Hecke Tarbek und Wielar die vier freiwilligen Wachen anwiesen, sich zu verteilen.
Auf ihren ausgerollten Decken hockend nahmen sie ein karges Mahl aus Kastanienbrot und Dörrpilz zu sich, dann zogen sie ihre Tagseher hervor und mummelten sich in ihre Decken.
„Schlaft gut", murmelte Sirion den anderen beiden zu, dann fielen ihm bald die Augen zu.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt