Tatsächlich aber ließ ihnen die Ausbildung keinerlei Zeit, über die Geschichte von Natira und Tiron nachzugrübeln oder gar irgendwelche Nachforschungen anzustellen.
Viel zu früh in der nächsten Nacht, die Sonne war noch nicht untergegangen, weckte Tarbek sie und wies sie an, mit ihrem gesammelten Schwarzeisen ihm zu folgen. Es bestand keinerlei Zweifel, dass nun endlich die Nacht angebrochen war, in der sie lernen würden, ihre Rüstung zu schmieden.
Gebannt versammelten sie sich alle vor dem Haus der Novizen und folgten dann Tarbek.
Ihr Meister führte sie fort von dem Viertel ihrer Kaste und auf eine der Brücken, die den Hauptbaum mit dem Baum der Schmiede von Ruka verband. Dort, zwischen den beiden Bäumen, getragen von einer filigranen Konstruktion aus ineinander greifenden Ästen, Brücken und Seilen, hing frei schwebend in der Luft über dem Abgrund die Kriegsschmiede, der Ort, wo die Krieger Arvias gemeinsam mit den Schmieden der Kaste Ruka ihre Rüstungen und Waffen herstellten.
Nacheinander traten die Novizen über die Schwelle der Kriegsschmiede, eine große, kreisförmige Plattform, die kaum merklich im Wind vibrierte. Einem Zelt gleich spannte sich eine kuppelförmige Decke aus geflochtenen Ästen über ihre Köpfe, durch deren rundes Loch in der Mitte der Mond Ruka auf sie hinab schien.
Direkt darunter stand eine riesige, kreisrunde Esse, in der bereits das Feuer loderte, angefacht von einem mächtigen Blasebalg. Um sie herum standen im Kreis angeordnet mehrere Ambosse, so nah, dass sie alle sich das Feuer der Esse teilen konnten.
„Willkommen in der Kriegsschmiede!", rief Tarbek mit ausgebreiteten Armen, „Heute Nacht werdet ihr einen weiteren wichtigen Schritt auf eurem Weg zum geweihten Fledermausreiter machen. Hier werdet ihr in den kommenden Monaten eure Rüstung schmieden mit der Unterstützung unserer Brüder und Schwestern Rukas."
Er deutete an die Wände, wo sich unauffällig eine Gruppe Männer und Frauen versammelt hatte, alle in dicke Lederkleidung und –schürzen gehüllt, Schmiede, die ihnen zur Seite stehen würden, jedoch selbst keine Hand anlegen würden. Die Tradition der Krieger gebot es, dass Rüstung und Waffe nur vom Krieger, der sie selbst trug, berührt werden durfte.
Schritte drangen da an Sirions Ohr, er drehte den Kopf und erblickte eine Gruppe Mondtöchter, die die Kriegsschmiede betraten.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus und er fühlte, wie seine Ohren zuckten. Tirons Geschichte schob sich in seine Gedanken, während er beobachtete, wie die Frauen in ihren silberweißen Gewändern sich in einem Kreis um die Esse verteilten. Der sonstige Respekt und die Bewunderung, die er ihnen entgegen gebracht hatte, hatte Schaden genommen.
Da sah er seine Schwester Charuna unter ihnen, lächelnd schaute sie zu ihm, bevor sie wie die anderen Mondtöchter den Blick wieder senkte. Was sie wohl sagen würde, würde er ihr von Natira erzählen? Würde sie es für ein Hirngespinst halten oder wusste sie vielleicht schon längst davon, hielt es aber geheim?
Die Mondtöchter drehten sich um, sodass sie dem Feuer zugewandt waren und erhoben ihre Stimmen zum Gesang, ein Gebet an Ruka und die anderen Göttinnen, dass sie die Flammen der Essen segnen mögen, die Hände der Novizen führten und die Rüstungen, die hier entstehen würden unter ihrem Segen standen, sodass sie die geheiligten Krieger allzeit schützen mögen.
Seltsam leer war Sirions Herz, als er dem Gesang lauschte. Hohl waren ihm die Worte plötzlich, wie sie von den Mondtöchtern gebetet wurden. Seine sonstige Hingebung war ihm nicht mehr möglich.
Wohlriechende Kräuter wurden in die Flammen geworfen und ihr Duft verbreitete sich in der ganzen Kriegsschmiede. Dann verstummte der Gesang und ohne weitere Worte verließen die Mondtöchter nun die Schmiede. Stille legte sich über sie alle.
Tarbek gab ihnen ein Zeichen, sich an die Ambosse zu verteilen. Blicke wurden getauscht und leise murmelnd suchte sich jeder Novize einen Amboss. Und so fand sich Sirion zwischen Almina und Alvad wieder.
„Zeig mir das Eisen", erklang da hinter ihm eine tiefe Stimme. Er drehte sich um und stand einem hellblonden Elf gegenüber, der die Hand ausgestreckt hatte. Deutlich kleiner und gedrungener war er als der hoch gewachsene und schlacksige Sirion, die Hände gegerbt von der Arbeit in der Schmiede, die Augen glitten sachkundig über die Eisenstücke, die Sirion aus seiner Tasche holte. Vorsichtig fuhren seine Fingerkuppen darüber, dann nickte er zufrieden. „Das sind gute Stücke, damit wirst du gut arbeiten können", sagte er und legte eines davon auf den Amboss, die anderen räumte Sirion wieder in die Tasche.
„Wie ist dein Name, Junge?", fragte der Schmied und Sirion verkniff sich den Unmut darüber, als Junge angesprochen zu werden. So jung war er nun wirklich nicht mehr. „Sirion", erwiderte er mit einer kleinen Verneigung. Der Schmied nickte. „Hepharo", antwortete er knapp, Sirion bereits eine Lederschürze und eine Zange hinhaltend. „Als allererstes müssen wir das Eisen erhitzen, sodass es formbar wird. Wir werden mit einem einfachen Stück anfangen, deinem Schienbeinschutz. Dafür benötigen wir jedoch nicht so viel Material, heißt als erstes müssen wir Stücke davon abbrechen."
Unter seiner Anleitung nahm Sirion das ausgewählte Stück Schwarzeisen in die Zange und wandte sich damit dem Feuer der Esse zu. Aus den Augenwinkeln sah er, wie schon einige der anderen Novizen ihr Eisen erhitzten. Fauchend strömte Luft in die Glut, als Meister Tarbek mit routinierten Bewegungen den Blasebalg betätigte.
„Näher an die Flammenspitzen, dort ist die Hitze am stärksten", erklang Hepharos tiefe Stimme hinter ihm und rasch korrigierte er die Position.
Lange Zeit passierte nichts, hell flackerte der Widerschein des Feuers in dem pechschwarzen Eisen, ein faszinierendes und wunderschönes Schauspiel.
Mit schlechtem Gewissen dachte Sirion daran, dass er eben es nicht vermocht hatte, sein Herz den Göttinnen zuzuwenden, als die Mondtöchter deren Segen erbeten hatten. Die Göttinnen trugen keine Schuld an der Schuld ihrer Dienerinnen. Ohne ihren Segen würde er sich schutzlos fühlen und so betete er leise für sich, während sein Blick auf dem Eisen im Feuer lag, als er plötzlich ein Glühen bemerkte. Es schien, als würde das Eisen anfangen zu pulsieren, als wäre die Flamme in ihm drin.
„Aufpassen jetzt!", sagte Hepharo und legte seine Hand über die Sirions. Mit großen Augen verfolgte Sirion, wie das Glühen immer mehr wurde, wie das schwarze Eisen begann rot zu leuchten, immer und immer stärker, bis fast alles schwarz verschwunden war. Da riss Hepharo plötzlich seine Hand zurück und zog die Zange mitsamt dem Eisen aus dem Feuer.
Sie legten es auf den Amboss und Hepharo reichte ihm einen Hammer. „Treib das Eisen auseinander, sodass es flacher wird. Wenn es flach genug ist, können wir es mit einem Keil teilen", wies der Schmied ihn an.
Sirion nickte, seine Finger umklammerten den Griff des Hammers. „Beeil dich, sonst wird es zu kalt!", kam der scharfe Befehl Hepharos und Sirion schwang den Hammer.
Mehrmals erhitzte Sirion das Eisen und trieb es dann mit dem Hammer in eine flache, scheibenartige Form. Als Hepharo mit dem Ergebnis zufrieden war, holte er einen Keil hervor und erklärte Sirion, wie er mit diesem eine Spalte ins Eisen zu schlagen vermochte.
Der junge Novize schwitzte bereits jetzt unter seiner Kleidung und der dicken Lederschürze. Doch kein Wort der Klage kam über seine Lippen. Mit noch reichlich unsicheren Schlägen brach er das Eisen in Stücke und warf sie in den Wasserbottich hinter ihm. Zum Schluss hielt er ein Eisenteil in der Zange, ungefähr so groß wie seine Hand.
„Sehr gut", lobte Hepharo ihn, „Damit können wir arbeiten. Du musst es noch weiter erhitzen, bis es beinahe weiß glüht, wie die Sterne selbst. Das Eisen singt unter dem Hammer, wenn es die beste Temperatur hat, du wirst es hören. Dann weißt du, dass du es gut bearbeiten kannst."
Und so hielt Sirion erneut sein Werkstück in die Flammen, diesmal deutlich länger als die Male davor. Erneut sah er das rote Pulsieren und Glühen, das dann schließlich in gelb überging und plötzlich in fast blendendes weiß.
„Jetzt!", rief Hepharo hinter ihm, „Zöger nicht!"
Ohne nachzudenken legte Sirion das Eisen auf den Amboss und hob den Hammer. Ein glockenheller, tragender Ton erklang, als der Hammer niedersauste. Hepharo lachte. „Das Lied des Eisens, hörst du es Junge? Mach weiter, schlag weiter! Treibe es in eine längliche Form, länglich und von gleichmäßiger Stärke!"
Wie berauscht hämmerte Sirion weiter, die Ohren klingend von dem hellen Ton, der durch seinen ganzen Körper vibrieren zu schien. Nach und nach wurde das Lied des Eisens von den anderen mit aufgenommen, bis an jedem Amboss das Klingen zu hören war, jedes sonstige nächtliche Geräusch des Waldes und der Stadt übertönend, bald in ganz Iridia wahrzunehmen. Unbewusst fielen die Novizen in einen gleichförmigen Rhythmus des Arbeitens, wie hypnotisiert hoben und senkten sich die Hämmer im gleichen Takt, sang das Eisen in die Nacht hinaus.

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Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende Wald
FantasyDer junge Nachtelf Sirion wurde in die Kriegerkaste seines Volkes hinein geboren. Und so beginnt er, wie es seit Jahrhunderten Tradition ist, die entbehrungsreiche Ausbildung zum Fledermausreiter. Doch in den Jahren seiner Ausbildung zum Krieger ver...