So erleichtert wie schon lange nicht mehr ließen sich Sirion und die Zwillinge aus dem Saal treiben.
Nicht weit entfernt von ihnen johlten Eyolf und Torren triumphierend und reckten die Fäuste in die Luft. Sylire in ihrer Nähe schüttelte missbilligend den Kopf. „Nehmt doch mal etwas Rücksicht auf die anderen!", brummte sie, zweifellos von den Unglücklichen sprechend, die die Prüfung nicht geschafft hatten und noch in dieser Nacht das Haus der Novizen verlassen mussten.
Doch Sirion wollte sich die Freude nicht verderben lassen. Den Rest dieser Nacht würde er in vollen Zügen genießen und morgen war das große Fest der Wintersonnenwende.
Er hatte es geschafft. All das Lernen, all die Plackerei und die Mühen hatten sich gelohnt. Trotz des Ausschlusses aus Meisterin Gylledhs Unterricht hatte er bestanden. Und nun würde er wieder teilnehmen können.
Selbst die Tatsache, dass Eynar ebenfalls bestanden hatte, konnte seine gute Laune nicht trüben.
Sie verließen das Haus, wo sie die kalte Winternacht empfing. Der Morgen war nicht mehr weit, doch die letzten, köstlichen und triumpherfüllten freien Stunden der Nacht würden sie durch die Stadt spazieren, ihre Familien besuchen und ihren Erfolg genießen.Das Fest der Wintersonnenwende war schnell heran gekommen. Viel geschlafen hatten sie am Tag vorher alle nicht. Zu aufgeregt waren sie von den Ereignissen der Prüfung.
Selbst die Tatsache, dass zwei Hängematten mit einem Mal in ihrem Raum verwaist waren, konnte die aufgedrehte Stimmung nicht trüben.
Die Sonne war noch nicht ganz hinterm Horizont versunken und graufahles Licht lag noch über dem Wald, als Sirion bereits wieder aufstand. Er konnte und wollte nicht mehr schlafen.
Unruhe erfüllte den Schlafraum der Novizen. Sirion war nicht der Einzige, der bereits wach war. Nur zwei Hängematten weiter steckten Sylire, Lelia und Nymo tuschelnd die Köpfe zusammen. Femkana warf sich bereits ihren Mantel über und ging dann zu Eynars Hängematte hinüber.
Ohne sich darum zu scheren, ob er leise ging oder nicht, schob sich Sirion den schmalen Gang zwischen den Hängematten entlang zu Alvad. Sein Freund sah ihm bereits mit offenen Augen entgegen, ein schiefes Grinsen im Gesicht.
„Ich glaube, hier kann niemand mehr schlafen", meinte er.
Sirions Blick wanderte zur benachbarten Hängematte, wo zu seiner Verwunderung Alvia noch friedlich schlummerte. Alvad richtete sich auf und sah zu seiner Schwester.
„He Nachtplage!", rief er und versetzte ihrer Hängematte einen kräftigen Stoß, „Aufwachen! Es ist Zeit zu Feiern!"
Wie von der Fledermaus gebissen fuhr Alvia in die Höhe. Durch die schwungvolle Bewegung und Alvads Stoß geriet ihre Matte gefährlich ins Wanken, noch recht verschlafen konnte die Elfe das Geschaukel nicht mehr ausgleichen und kippte wenig elegant aus ihrer Hängematte.
Schallendes Gelächter erfüllte den Raum, als Alvia sich wutschnaubend aufrappelte.
„Du!", fauchte sie ihren Bruder an, „Du!"
Mit gebleckten Zähnen und zornig angelegten Ohren stürzte sie sich auf Alvad, dessen breites Lachen von plötzlicher Panik abgelöst wurde. Hektisch sprang er auf und eilte den Gang entlang zum Treppenhaus, von einer rachsüchtigen Alvia verfolgt. Krachend riss Alvad die Tür auf und das Schimpfen Alvias erfüllte das Treppenhaus, als sie ihren Bruder die Stufen herab jagte.
„Ich hoffe, Alvad weiß sich zu verteidigen", bemerkte Runam lachend, die an Sirions Seite getreten war.
In diesem Raum schlief nun keiner mehr und noch immer lachend begannen die Novizen sich nach und nach für den Tag fertig zu machen. Auch Sirion kleidete sich an und fragte sich, ob Alvad und Alvia eben das ganze Haus aufgeweckt hatten.
Einige Zeit später fand Sirion, der mit Nymo, Eyolf und Torren die Treppe runter kam, die beiden Zwillinge in der Vorhalle. Zu seinem Erstaunen hatten beide die Arme einander um die Schultern gelegt und grinsten ihm entgegen.
„Auch schon da, Sirion?", witzelte Alvad, als er auf sie zutrat, „Wollen wir was essen?"
Sie beeilten sich, ihr Frühstück zu sich zu nehmen und verließen dann das Haus. Die ganze Stadt war bereits auf den Beinen und freudige Erwartung lag in der Luft. Schmunzelnd dachte Sirion daran, dass in eben diesem Moment die neuen Novizen auf dem Weg zum Arviaheiligtum waren, um dort den selben Eid abzulegen, den er auch vor einem Jahr geleistet hatte. Er konnte kaum glauben, dass bereits ein ganzes Jahr vergangen war.
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Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende Wald
FantasyDer junge Nachtelf Sirion wurde in die Kriegerkaste seines Volkes hinein geboren. Und so beginnt er, wie es seit Jahrhunderten Tradition ist, die entbehrungsreiche Ausbildung zum Fledermausreiter. Doch in den Jahren seiner Ausbildung zum Krieger ver...