Von Mondhorn und Sonnensang - 2

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Von überall in der Stadt erklang lautstark der Hymnus. Laut priesen sie die Göttinnen, die die Nacht zurück gebracht hatten.
Manche Elfen stimmten dankbar in den Gesang ein. Erleichtert fiel Sirion in das Lied ein, während er den Tagseher losband und mit breitem Grinsen zu seinen Freunden sinken ließ.
Der Gesang endete und freudiges Stimmengewirr trat an seine Stelle. Ausgelassene Feststimmung breitete sich auf den Plätzen der Stadt aus, wo nun die knienden und sitzenden Elfen aufstanden, die Tagseher abnahmen und lachend die Feierlichkeiten begannen.
„Essen?", fragte Alvia Sirion und ihren Bruder, noch bevor beide etwas gesagt hatten. Laut röhrend meldete sich Alvads Magen zu Wort und begeistert nickten sie. Mit raschen Schritten eilten sie zum Novizenhaus, aus dessen Speisesaal es schon verführerisch duftete.
Kesselweise stand da eine einfache Brühe aus Wurzelknollen und Kräutern bereit, ideal zum Fastenbrechen. Daneben waren kleine faustgroße Brote aus ungewürztem Kastanienteig angerichtet. Bis auf den leicht nussigen Geschmack waren sie eigentlich recht fad, aber nun, ausgehungert, waren sie für Sirion das köstlichste, was er sich vorstellen konnte.
Begeistert biss er in eines der noch warmen Brötchen hinein. Kurz sahen sie zu der Suppe hinüber, beschlossen dann aber, dass sie nichts von dem Fest verpassen wollten und griffen sich jeder stattdessen einige der Fastenbrote.
Mit ihrem Proviant beladen verließen sie wieder den Speisesaal und traten vor das Portal des Novizenhauses.
Das Fest war bereits in vollem Gange. Es war die kürzeste Nacht des Jahres und die Elfen der Stadt schienen bestrebt, das meiste aus den wenigen zur Verfügung stehenden Stunden zu machen. Sirion warf einen kurzen Blick zum Himmel, der endlich wieder dunkler wurde und wo bereits alle drei Monde standen. Bis zu den Aufführungen würde noch einige Zeit vergehen. Angespannt flogen seine Gedanken hoch zum Schlafsaal. Ob ihr Plan aufgehen würde? Er konnte nichts weiter tun, als abzuwarten.
„Kommst du, Sirion?", fragte Alvad. Sirion nickte, auch wenn es ihm nicht so recht möglich war, sich voll auf das Fest zu konzentrieren. Dennoch wandte er sich vom Haus der Novizen ab und folgte den Zwillingen, die sich bereits unter die feiernden Elfen mischten.
Der Geruch von Essen lag bereits in der Luft, als die vorbereiteten Speisen nach draußen getragen wurden. Genau wie im Haus der Novizen wurde die gleiche Brühe und die selben Brote angerichtet, doch dazu gab es noch viele weitere Leckereien, die in mühsamer Arbeit vorbereitet worden waren.
Duftende Brote mit verschiedensten Leckereien gefüllt, Pilzeintöpfe, frittierte Pilze und Waldmöhren, Fleisch von Wildkaninchen und Tauben, gegrillt, geschmort oder gepökelt, frische Omeletts und kandierte Beeren sorgten dafür, dass sich riesige Tische unter ihrer Last bogen.
Lachend und kreischend vor Freude stürmten Kinder aus den Häusern heraus, voller Aufregung über das Fest. Manche trugen noch ihre Schlafhemden und die Eltern hatten ihre Mühe, den übermütigen Nachwuchs zurückzuhalten.
Ihre Rufe vermischten sich mit den lauten Stimmen der Feiernden, welche sich lachend zum Fastenbrechen zusammen fanden. Selten hatte Essen so gut geschmeckt.
Vereinzelt wurden Lieder angestimmt, manche im Einklang mit den Gesängen der Mondtöchter, andere auch jetzt schon von weniger frommer Natur. Dem Beerenwein würde man in dieser Nacht noch reichlich zusprechen.
Das Schlagen unzähliger Trommeln erwachte in der Stadt. An unterschiedlichsten Orten fanden sich die Musiker zusammen und trieben mit wildem Rhythmus das Fest weiter an. Hell fielen Flöten ein, ließen ihre Melodien zum Himmel aufsteigen, gemeinsam mit Harfen und Mandolinen.
Mit großen Augen ließen Sirion und die Zwillinge sich treiben, stillten ihren Hunger an den Fastenbrötchen und anderen Leckereien.
„Hier!", rief Alvad lachend aus und griff nach drei bereits mit Beerenwein gefüllten Bechern, „Auf die Göttinnen! Mögen sie über unser Vorhaben wachen!"
Zwinkernd prostete er ihnen zu und nahm einen tiefen Schluck. Sirion war sich nicht ganz sicher, ob die Göttinnen seinen Plan gutheißen würden, doch bestimmt stand Eynar bei seinem Gebaren nicht unter dessen Schutz. Also nickte er bekräftigend und leerte den Becher mit einem Zug. Alvad wollte ihm schon den nächsten reichen, doch er winkte ab. Noch wollte er einen klaren Kopf haben.
„Seht mal!", rief Alvia und deutete zu der Haupttreppe hinüber. Riesige Figuren aus Stoff und Holz bewegten sich dort entlang. Abbilder der drei Göttinnen, hoch aufragend und wunderschön in ihrer Erhabenheit, schwebten auf Stangen von mehreren Elfen getragen durch die feiernde Menge. Grazil bewegten sich ihre Hände, um Segen zu verteilen, im Wind wehten die langen Mäntel und das kunstvoll geflochtene Haar. Wachsam und gütig schauten sie auf ihr Volk herab.
Fahnenträger folgten ihnen, schwenkten ihre Banner in der Luft. Unter großem Jubeln der Menge blieben sie stehen, warfen ihre Last in kunstvollen Figuren in die Höhe und fingen sie fehlerfrei wieder auf.
Schaulustige drängten sich um die Prozession, Finger deuteten auf die Fahnenträger und Kinder reckten sich nach den Figuren der Göttinnen.
Da schossen mit einem gewaltigen Rauschen die Fledermausreiter aus den Fluglöchern des Baumstammes hervor. Brausend stieg die Schar in die Höhe von lauten Ausrufern begleitet. Melodisch klang das Lied der Fledermäuse in der Luft, vermischte sich mit Musik und Gesängen des Festes.
Sirion stimmte nicht in den Jubel ein. Den Kopf zurück in den Nacken gelehnt sah er nach oben an den Himmel, wo die Mitglieder seiner Kaste in kunstvollem Flug umher schossen. Eines Tages würde er auch dort oben sein, auf dem Rücken einer Fledermaus, für immer sein Gefährte, die Rüstung und Waffen tragend, die er bald selber schmieden würde, sein Leben im Dienst seines Volkes.
Fasziniert sahen sie dem Formationsflug zu, bis schließlich die Reiter zum Baum zurück kehrten.
Mit einem Mal wurde Sirions Kehle trocken. Es war Zeit für die Aufführungen. Vielleicht hätte er doch noch den zweiten Becher Beerenwein trinken sollen? Er sah zu den Zwillingen, die ebenfalls beide angespannt wirkten.
„Lasst uns gehen", sagte er leise und die zwei nickten.
Wortlos schlossen sie sich dem Strom der lachenden und ausgelassenen Elfen an, welche zu der großen Bühne am Marktplatz des Arviaviertels gingen, wo die Kriegerkaste ihre Vorführung geben würde.
Der größte Marktplatz des Kriegerviertels war hoch oben im Baum gelegen, nur noch wenige Ebenen unterhalb des Palastes der Mondmutter. Die schaulustige Menge drängte sich dort bereits und nur mit Mühe konnten sie noch einen Platz auf einer der Tribünen ergattern. Rundum den Platz standen Elfen dicht an dicht auf Treppen, Hängebrücken, den Verandas ihrer Häuser und etwas oberhalb des Platzes gelegenen Treppen. Gebannt wartete alles.
Nervös knetete Sirion seine Hände. „Entspann dich", brummte Alvad, „jetzt können wir eh nichts machen außer abwarten."
Ja im Prinzip hatte er damit ja Recht, aber es fiel Sirion so unglaublich schwer. Fahrig strich er sich eine Strähne seines tiefschwarzen Haares hinter die Ohren. Seine Gedanken rasten.
Da tauchte plötzlich hoch über ihnen ein Schatten auf. Sämtliches Getuschel auf dem Platz verstummte.
Eine Fledermaus schien von weit oben herab zu fallen, die Flügel dicht an den Körper gelegt schoss sie auf die Bühne hinab. Ein Raunen ging durch die Menge, als das Tier schlagartig die Flügel aufspannte, um den Sturz abzubremsen. Eine Gestalt löste sich von seinem Rücken und fiel weiter in die Tiefe.
Gebannt hielt alles den Atem an.
Elegant wie ein Raubtier landete die Elfe auf der Bühne und richtete sich auf, während ihr geflügelter Gefährte mit brausenden Flügelschlägen über die Zuschauer hinweg zischte.
Hjöna, Oberhaupt der Kaste Arvia, stand auf der Bühne und blickte über die Elfen hinweg. Es war so still, man hätte ein Blatt zu Boden fallen hören können.
Hjöna reckte die Arme gen Himmel und stimmte einen Gesang an die Göttin Arvia an. Kriegerin und Priesterin zugleich bat sie Arvia um Schutz für die Stadt. Und wie ein bestätigender Hauch der Göttin selbst kam ein Windstoß auf und fuhr in Hjönas Haar und Mantel.
Langsam schritt die Elfe in Richtung der Bühnenrückwand, in ihrem Gesang leiser und leiser werdend. Sie ließ die Arme sinken und wandte den Blick zu den Seiten der Bühne, wo nun Meisterin Gylledh und Meister Tarbek die Treppen zur Bühne empor stiegen.
Der Gesang verstummte und Hjöna nahm auf einem schlichten Stuhl im hinteren Bereich der Bühne Platz. Vor ihr traten die beiden Krieger aufeinander zu, ihre Waffen kampfbereit erhoben.
Einen kurzen Moment standen Gylledh und Tarbek da, fixierten einander, suchten nach der kleinsten Bewegung. Dann warf sich Gylledh im Angriff nach vorne. Klirrend trafen die Klingen aufeinander und im nächsten Moment wirbelten die zwei Meister in wildem Kampf umeinander herum.
Mit angehaltenem Atem verfolgte das Publikum das Duell. Sirion wusste, dass jeder einzelne Schlag geplant war, jede Bewegung genaustens abgesprochen und nichts dem Zufall überlassen wurde bei dieser Aufführung. Dennoch konnte er sich der Faszination des Kampfes nur schwerlich entziehen. Sowohl Tarbek als auch Gylledh waren Meister des Schwertes und ihre Klingen sausten in einem tödlichen Tanz umeinander. Dann, mit einem Mal, war es vorbei.
Beide Waffen nur eine Handbreit von der Kehle des anderen entfernt hielten die zwei Elfen inne. Dann, in fließender Bewegung, wurden die Schwerter zurückgezogen und mit einer tiefen Verbeugung traten Gylledh und Tarbek voneinander weg.
Applaus brandete auf, als beide Meister die Bühne verließen, wo schon Eynar und Femkana warteten, um die Novizen des ersten Jahres zu repräsentieren.
Sirions Herz setzte einen Schlag aus und begann dann, wild zu rasen, als er den bekannten kupferfarbenen Schopf Eynars und die feuerrote Mähne seiner Begleitung erblickte. Mit plötzlich schwitzigen Handflächen beobachtete er, wie die beiden jugendlichen Elfen mit ihren hölzernen Übungsschwertern bewaffnet die Stufen zur Bühne hinauf gingen.
Sein Gesicht brannte, als er an die Demütigung dachte, von Gylledhs Unterricht verwiesen zu werden. Er kauerte nun regelmäßig am Fenster, um etwas von den Lektionen mitzubekommen und Eynar, den die gleiche Strafe getroffen hatte, durfte nun hier in Ehren die Novizen seines Jahrganges vertreten!
Sirions Blick ruckte zu den Zwillingen. Alvad erwiderte seinen Blick, die Anspannung war deutlich in seinem Gesicht zu erkennen. Seine Schwester dagegen hatte Sirions Blick nicht bemerkt. Die Hände ineinander verschlungen starrte sie hochkonzentriert zur Bühne, als könnte sie rein mit ihrem Willen den Plan zum Gelingen bringen.
Eynar und Femkana nahmen Aufstellung, verbeugten sich und zogen ihre Schwerter.
Scharf schnitt Eynars Klinge durch die Luft, aufgefangen von Femkanas, als beide die erste Form perfekt durchführten.
Unter dem wachsamen Blick Hjönas arbeiteten sie sich fehlerfrei durch zwei Formen und nahmen schließlich zur dritten und vorletzten Form Aufstellung.
Femkana holte weit über dem Kopf mit ihrem Schwert aus und Eynar wich wie vorgesehen mit einem großen Schritt zur Seite aus und ging auf ein Knie runter.
Ein scharfes Reißen erklang und eine Hosennaht an Eynars Kehrseite zerriss, einen freizügigen Blick unter seine Festgewandung gewährend, da er ja dem Publikum auch noch gerade den Rücken zuwandte.
Eynar und Femkana erstarrten mitten in der Bewegung, als lautes Gelächter über den Platz schallte. Vorbei war die andächtige Stille während der Aufführung, dutzende Finger deuteten unter Kichern und Lachen auf Eynar.
Ein breites Grinsen der Genugtuung zog sich über Sirions Gesicht und er lehnte sich zufrieden zurück. Die Demütigung geschah dem arroganten Eynar recht. Alvad boxte ihm triumphierend in die Seite und Alvia stimmte fröhlich in das allgemeine Gelächter ein.
Mit feuerrotem Gesicht kniete Eynar da, die Schultern eingesunken, die zitternden Finger umklammerten seinen Schwertgriff. Femkana dagegen starrte auf ihren Partner, überfordert mit der Situation ließ sie das Schwert sinken und trat einen Schritt auf ihn zu, von der vorgegebenen Form abweichend.
Streng zog Hjöna die Augenbrauen zusammen. Sie lachte nicht, doch ihr missbilligender Blick flog über das lachende Publikum und dann zu Eynar und Femkana.
Das Gelächter verebbte nach und nach, als die Elfen sich gegenseitig zu Respekt gegenüber dem blamierten Novizen mahnten.
Noch immer bewegte sich Eynar nicht, Femkana beugte sich zu ihm herab. Kurz hob er den Blick und schien etwas zu ihr zu sagen, denn sie wich sofort auf ihren Platz zurück und hob das Schwert wieder zurück in Position.
Ohne die Miene zu verziehen und mit fest aufeinander gepressten Lippen ging Eynar zum nächsten Teil der Form über. Als wäre nichts gewesen beendete er die dritte Form und hoch aufgerichtet führte er auch die vierte und letzte Form fehlerfrei durch.
Mit versteinertem Gesicht verbeugte er sich und verließ gemeinsam mit Femkana die Bühne. Raunen erfüllte den Platz und Sirion war sich sicher, dass Eynar diese Demütigung niemals vergessen würde.
Ungeachtet des Vorfalls ging die Vorführung weiter und Sirion verfolgte bestens gelaunt die weiteren Auftritte. Die Demonstration des Bogenschießens eines höheren Jahrgangs, der Formationsflug einiger Fledermäuse, der Dolchkampf...
Sein Plan war geglückt, dachte er freudig, als er in den abschließenden Applaus einstimmte und gemeinsam mit Alvad und Alvia sich wenig später wieder unter die Feiernden mischte. Nun war das Fest perfekt.

Die Nachtelfenchroniken - Der sterbende WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt