30. Systemfehler - Ein leerer Rollstuhl

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ᗴIᑎ ᒪᗴᗴᖇᗴᖇ ᖇOᒪᒪSTᑌᕼᒪ

[Nathan]

Als Nathans Systemfenster aufblinkte, vermutete er bereits, dass irgendetwas bei Shay und Giselle nicht stimmte. Allerdings konnte Crilyn ihnen nicht mehr erzählen, als dass Shay versucht hatte, sie zu erreichen. Möglicherweise waren sie in einen Engel gelaufen oder sie hatten ihr Ziel bereits erreicht. In dem Fall wäre es deutlich schneller gegangen, als Nathan vermutet hatte. Leider besaß er ein ungutes Gefühl. Irgendwas stimmte nicht. Hoffentlich hatte er Lambda nicht falsch eingeschätzt. Wenn sie den Finsterkönig kontaktiert hatte, würde ihr gesamter Plan zerfallen. Nein, über diese Eventualität sollte er sich erst Gedanken machen, sobald sie sich als wahr erwieß.

»Shay und Giselle sind stark. Sie werden aushalten, bis Verstärkung kommt.« Aufmunternd klopfte Enrico ihm auf die Schulter. Seinen kurzen Austausch mit Crilyn hatte er nur schweigend wahrgenommen.

Nathan betrachtete den Helden aus den Augenwinkeln. Hoffentlich besaß er recht. Zwar wollte er nicht an ihren Kameraden zweifeln, aber Sorge drängte ihn zu einigen irrationalen Gedanken. »Wir sollten uns beeilen.«

Inkubus nickte, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Die Gänge waren leer. Normalerweise würde Nathan nicht darüber nachdenken. Sobald die Nummern in ihrer Schlafkammer waren, gab es nur noch die Engel, welche sich frei bewegten. Davon gab es im Verhältnis zur Größe des Hauptquartiers nur wenig. Trotzdem fürchtete er bei jeder Ecke, um welche sie schlichen, entdeckt zu werden. Es war nicht das erste Mal, dass er sich unbemerkt in einem Ort bewegte, trotzdem unterschied sich dies grundlegend von seinen bisherigen Missionen. Abermals wurde ihm bewusst, wie tief die Autorität des Finsterkönigs in seinen Schädel geritzt worden war. Er konnte nicht anders, als Angst vor der Konfrontation zu empfinden. Allerdings würde er dies nicht zeigen. Er hatte die Rebellion in die Welt gesetzt. Es wäre heuchlerisch an ihnen zu zweifeln.

»Ist es hier?«, murmelte Enrico, als Nathan vor seiner Wohnungstür stehen blieb. Das Schloss und die Klinke waren unbeschädigt. Zumindest hatte niemand sich gewaltsam Zugang verschafft. Dies bedeute, selbst wenn man von Shays und Giselles Anwesenheit wusste, dass wenigstens keiner auf die Idee gekommen war, seinen Bruder als Geisel zu verwenden.

Nathan nahm seinen Schlüssel und öffnete die Tür. Mit einem leichten Knarren schwang sie auf. Im Inneren war es dunkel. Lediglich das Licht, das von draußen drang, erleuchtete den Eingangsbereich spärlich. Vorsichtig betrat er die Wohnung. Seine Hände fühlten sich schwitzig an und sein Herz hämmerte gegen seine Rippen.

»Ich nehme das als ein Ja.« Enrico seufzte leise. Dann blickte er nach rechts und links, bevor er Nathan in die Wohnung folgte. Hinter sich schloss er die Tür. »Mensch, ist es hier dunkel. Sagt bloß, eure Lampen sind kaputt?«

Wie auf Kommando tätigte Nathan den Lichtschalter am anderen Ende des Flurs. Die Lampe an der Decke erstrahlte. Vom Eingangsbereich gelang man in das Wohnzimmer und in die Küche. Diese war lediglich durch die Theke vom Wohnzimmer abgetrennt. Zum Badezimmer gelang man ebenfalls vom Eingangsbereich aus. Dies war die Tür, welche sich auf der anderen Seite befand. Allerdings schimmerte kein Licht durch das Schlüsselloch, also musste Rothel in ihrem Schlafzimmer sein.

Nathan hatte sich absichtlich für eine Wohnung entschieden, welche nur ein Schlafzimmer besaß. Dafür war das Bett, in welchem er schlief, groß. Jahrelang hatte er neben Rothel gelegen. Es beruhigte ihn in der Nähe seines Bruders zu sein. Selbstverständlich hatte er für Missionen bereits an anderen Orten übernachtet, aber den besten Schlaf erhielt er in Rothels Anwesenheit. Es fühlte sich so an, als würde jemand über ihn wachen. In gewisser Weise stimmte das auch. Selbst wenn der Unfall Rothels Kampfkraft erheblich vermindert hatte, er war noch immer stark genug, um einen Angriff abzuwehren. Es gab Tage, an denen er seinen Kopf auf Rothels Schoß platzierte und dieser solange durch seine Haare strich, bis er endlich einschlief. Diese Momente waren die Schönsten.

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