23. Systemfehler - Ein alter Verfolger

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ᗴIᑎ ᗩᒪTᗴᖇ ᐯᗴᖇᖴOᒪGᗴᖇ

[Nathan]

Nathan betrachtete, wie sich seine Tasse mit Kaffee füllte. Die Maschine ratterte unangenehm, aber wenigstens waren ihre Ergüsse himmlisch. Hinter ihm saßen Shay und Crilyn immer noch an dem ovalen Tisch. Die Schurkenprinzessin hatte das Erscheinen ihrer Mutter besser weggesteckt, als er vermutet hatte. Keine Ahnung, wie er an ihrer Stelle reagiert hätte. Nicht, dass er jemals in die Situation kommen würde. Crilyn hatte Shay nicht absichtlich verbannt. Seine Mutter hatte Rothel und ihn in irgendein Waisenhaus gesteckt, was sie anschließend rausgeworfen hatte, kaum waren sie in der Lage selbständig zu laufen. Seitdem waren sie obdachlos gewesen und hatten sich ihr Essen aus Müllcontainern zusammen gekratzt. Vielleicht hatte er etwas emotional reagiert. Der Gedanke, dass es dort draußen Familie gab, die ihn liebte, war ein wunderschöner Gedanke. Aber es war eine Wunschvorstellung. Es gab nur Rothel und ihn. Daran würde sich nichts ändern. Selbst wenn die Welt um sie herum explodierte, sie würden zusammen bleiben.

Einmal hatte Rothel ihn gefragt, wie es weitergehen würde, sollten sie den Finsterkönig erfolgreich erlegen. Das war eine gute Frage, über die er vorher nie nachgedacht hatte. Wie könnte er auch? Schließlich war das Hindernis vor ihnen so gewaltig, dass er kaum vermutete, lebend seine Rache zu erlangen. Rothel hatte diese Antwort sehr traurig gestimmt. Er meinte, er stelle zu wenig Anforderungen an das Leben. Vielleicht stimmte das. Wenngleich seine Kindheit ihm gelehrt hatte, dass man grundsätzlich mehr enttäuscht wurde. Doch wenn er einen Wunsch äußern müsste, dann wäre es der eines normalen Lebens. Irgendwo, in einem Haus, das er sein Zuhause nennen dürfte. Zusammen mit Rothel. Sie würden Morgens zum Bäcker gehen, ausgiebig frühstücken und den Nachrichten lauschen. Vielleicht würde er sogar einen Job finden. Vermutlich würde er kein Bibliothekar werden, aber jemand der Kampfsport unterrichtete, das könnte er sich durchaus vorstellen. Letztendlich würde er alles nehmen, was ein solches Leben ihm in den Schoß warf.

Möglicherweise würde er sich sogar verlieben. Das war ein Luxus, über den er bisher nie nachgedacht hatte. Auch diesen Anstoß hatte er erst durch Rothel erhalten. Gute Dinge, welche das Leben beherbergte, aber er andernfalls nie wahrgenommen hätte. Wenn man sein ganzes Leben unter strenger Disziplin stand, verzerrte sich die Realität auf eine Weise, die man kaum beschreiben konnte.

Nathan stellte die Kaffeemaschine aus und griff nach seiner Tasse. Zufrieden nahm er einen Schluck. Er war müde, allerdings konnte er gut mit Schlafmangel umgehen. Außerdem besaß er das Gefühl, dass bald etwas passieren würde.

Ungewollt glitt sein Blick zu Shay, welche sich noch immer angeregt mit ihrer Mutter unterhielt. Er kannte Crilyn bereits eine Weile. Es war erstaunlich, wie ähnlich sich die beiden Damen waren, obwohl sie einander nie begegneten. Allerdings musste man gestehen, Shay war wesentlich energischer in ihren Worten. Die Silbermähne nahm kein Blatt vor den Mund, trotzdem funktionierte sie ganz nach dem Motto: harte Schale, weicher Kern. Der Verrat ihres Vaters hatte sie getroffen. Das hatten ihre Tränen bewiesen. In gewisser Weise fühlte sich Nathan für sie verantwortlich. Zwar trug er keine Schuld an ihrem Leiden, aber irgendwie hatte er sie doch in diesen Kampf reingezogen. Wenigstens sah es Shay nicht so eng. Sie war eine gute Frau und es war witzig, wie sie noch immer unterschwelliges Interesse an ihm bekundete. Nun, wäre sie nicht genau sein Typ, hätte er sie nicht so oft zum Sex überzeugt. Vielleicht stand er auf Frauen wie Shay? Jemand, der seinen Schmerz nachvollziehen konnte und verrückt genug wäre, um mit einen Kerl zu verkehren, dessen Superkraft einen zum Psychopathen machte. Aber erstmal müsste er den Kampf gegen Eroth überleben. Dann könnte er sich immer noch Gedanken über sein eventuell vorhandenes Liebesleben machen. Oder er holte sich zwei Katzen. Er wollte schon immer Haustiere haben.

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