33. Systemfehler - Nur eine Seite der Medaillie

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ᑎᑌᖇ ᗴIᑎᗴ SᗴITᗴ ᗪᗴᖇ ᗰᗴᗪᗩIᒪᒪIᗴ

[Nathan]

Hätte Epsilon ihn auf der Stelle ermordet, wäre es Nathan nicht gleichgültiger. Mit Tränen in den Augen blickte er in das Gesicht seiner alten Lehrmeisterin. Viel hatte er von ihr gelernt. Zu viel hatte er nicht von ihr gelernt. Epsilon war eine der ersten Mitglieder Helios gewesen. Nie war sie auf die genauen Umstände eingegangen, wie sie den Finsterkönig kennengelernt hatte, aber sie hatte durchscheinen lassen, dass sie einander vor seinem Amtseintritt bereits kannten. Sie folgte dem Meister aus Überzeugung. Genauso richtete sie die Nummern ab, welche sie unter ihre Obhut nahm. Epsilons Training war hart und schonungslos. Wer nicht mithalten konnte, ging unter und wurde bestenfalls einfach nur getötet. Was nicht bedeutete, dass  sie die Nummern ungerecht behandelte. Schließlich besaß jeder eine eigene individuelle Superkraft, so varrierten Kampfkraft und Nutzung auf anderen Gebieten ebenfalls.

Epsilon hatte Rothel und ihn mit derselben Härte trainiert. Meistens war er mit Blutergüssen aus dem Training gekommen. Trotzdem waren sie wohl die Nummern gewesen, welche Epsilon priorisierte. Auch wenn sie allen Nummern dieselbe Chance gab, Stärke zu erlangen, so war von Anfang an klar gewesen, dass Rothel und er an der Spitze stehen würden. Schließlich waren ihre Superkräfte von unglaublicher Macht.

Es stimmte, dass sich Epsilon wie eine Mutter anfühlen konnte. Wenn sie sich verletzt hatten, sorgte sie dafür, dass sie ausreichend medizinische Versorgung erhielten. Sie hatte Nathan stark gemacht, aber vertrauen tat er ihr deswegen nicht. Niemals würde sie den Finsterkönig hintergehen. Schließlich war das ihre oberste Regel gewesen. Die Autorität des Meisters stand an vorderster Stelle. Eroths Wort war ein Gesetz. Ein Befehl Gottes, den man in keiner Silbe anzweifeln durfte.

Epsilons schwarzes Schlangenhaar zischte. Gefährlich blitzten weiße Fangzähne. Innerhalb eines Augenblicks schoss eine Schlange auf ihn zu, bereit sich in seiner Kehle zu versenken und unheilvolles Gift zu injizieren. Im letzten Moment packte ihn Enrico am Kragen und zog ihn aus der Angriffsfläche. Die Schlange stoppte ihre Attacke und kräuselte sich zurück zu ihrer Besitzerin. Trotzdem ließen ihn die bösen, grünen Augen für keinen Moment außer Acht.

Enrico nutzte den Moment, um Nathan weiter nach hinten zu ziehen. Alpha ließ es geschehen. Inkubus Griff war fest, sodass Nathans Kragen in seine Haut schnitt, aber die Gleichgültigkeit betäubte ihn. Solange hatte er für ihre Rache gekämpft. Für Rothel, für ihre gemeinsame Zukunft. Dabei hatte er von Anfang an gewusst, dass jene nie existieren würde. Er hatte Leben in die Leiche seines Bruders projiziert. Nie hatte ihn jemand aus Helios auf seinen Wahn angesprochen oder möglicherweise konnte er sich nicht daran erinnern. Plötzlich verstand er, warum Gamma derartiges Interesse an ihm besaß. Ebenfalls ergab die Anzeige seiner Analyse einen Sinn. Das System hatte seine mentale Psyche genauso erfasst, wie sie stimmte. Vollkommen durchgedreht. Vollkommen zerstört. Ein Mann, der auf Zahnseide balancierte, bereit in die Arme des Wahnsinns zu fallen.

»Reiß dich zusammen!«, brüllte Enrico und stellte sich beschützend vor ihn. Bis jetzt hatte Epsilon keinen weiteren Angriff gewagt. Dabei wäre es ein Leichtes für sie gewesen, Nathans Schutzlosigkeit auszunutzen. Niemals wäre Enrico in der Lage ihn und sich selbst zu schützen, sollten alle Schlangenhaare ihn gleichzeitig angreifen.

Obwohl Alpha Inkubus Brüllen vernahm, verspürte er keinen Drang aufzuwachen. Die Leere in seinem Inneren glich einem gigantischen Wal, der alles verschluckte. Durch seine Tränen vernahm er die Welt nur schleierhaft. Er war bereit für den fallenden Vorhang. Hoffentlich würde ihn der Tod mit Rothel vereinigen. Hoffentlich konnte ihm sein Bruder verzeihen. Dafür, dass er schwach gewesen war.

»Wie mir scheint, hat er die Wahrheit über seinen Bruder endlich erfahren«, erwiderte Epsilon. »Es hat ziemlich lange gedauert. Schließlich liegt sein Tod bereits mehrere Jahre zurück.«

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