-Kapitel 23-

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-Kapitel 23-
Flores

Wir befinden uns noch immer auf dem Dach des Antiquitätenladen in der Ortsmitte von Florence. Aber wir waren definitiv nicht mehr in der Gefängniswelt von 1994.

Ich schaue mich um und laufe dann zum Rand des Flachdaches, um auf die viel befahrene Straße unter uns zu schauen. Autos. Menschen. Jetzt brauche ich nur noch eine Zeitung. Einen Beweis für das Jahr 2012. Kai steht noch immer an Ort und Stelle und steckt den Aszendenten in die Jackentasche.

»Ist das die jetzige Welt?«, fragt er mich. Ich eile an ihm vorbei zur Feuerleiter, da ich nicht durch die knarzende Dachluke in den Laden unter uns spazieren will. Das würde nur wieder Ärger geben. »Floreees?«

»Offensichtlich. Aber ich kam doch trotzdem auf Nummer sicher gehen, in dem ich mir eine Zeitung besorge, oder?« Rückwärts klettere ich auf die Feuerleiter. »Entweder kommst du mit und ich besudle dich mit einem Zauber, dass man dich nicht finden kann, oder du bleibst da stehen, bis deine Verwandten dich finden und dich zurückschicken. Dann kannst du deiner Tante auf den Sack gehen.«

Zwar bekomme ich ein Augenrollen, aber Kai macht sich trotzdem auf dem Weg zu mir.

Ich lande nach einem Sprung in einer stinkenden Gasse. Mülltüten, volle Müllcontainer, Ratten.

Das volle Programm. Fehlt nur noch die fleckige Matratze – ach, da hinten liegt die ja.

Wenig später landet Kai neben mir auf den Füßen und den nassen, rissigen Asphalt.

»Wir haben eine große Reise vor uns«, sage ich und setze mich weiter in Bewegung. »Mystic Falls liegt am anderen Ende des Landes. Dort hab ich meine Schwester zum letzten Mal gesehen. Es wird schwierig ohne Ausweispapiere Autos zu mieten, oder zu fliegen. Von Motelzimmer mieten fang ich gar nicht erst an.«

»Es gibt immer Mittel und Wege, Flores. Identitätsdiebstahl, Autodiebstahl. Besudle mich am besten gleich noch mit diesem Zauber. Der Geminizirkel hat gefühlt überall seine Lakaien.« Ein kurzes Zögern, dann folgt ein leises. »Bitte.«

Der Donutshop ist ein kleines Café, in dem auch Zeitungen ausgehangen wurden. Während Kai uns netterweise zwei Kaffees zum mitnehmen bestellt, starre ich auf die Zeitungsanzeige.

22. September 2012.

Es passt zeitlich. Am 08. Juni habe ich ins Gras gebissen und mehr als drei Monaten später bin ich hier. Endlich zurück. Mit zwei Pappbechern kommt Kai zu mir. »Und?«, hakt er nach. »Cappuccino.« Er hält mir den einen Becher hin, den ich verdutzt entgegennehme. Er weiß noch, dass ich gerne Cappuccino trinke?

»D-Danke«, stammle ich verwundert. Und nenne ihn dann das heutige Datum. Kai nickt anerkennend und ich hänge die Zeitung zurück in die Halterung. »Lass uns einen Ort finden, wegen du weißt schon«, flüstere ich. Kai nickt und mir beide verlassen das Café.

Wir finden ein an der Hauptstraße die durch Florence führt einige Motels, bei denen ich mein Glück versuche, ohne gültiges Ausweisdokument ein Zimmer zubekommen, aber komplette Fehlanzeige. Auch mit Barzahlung kann ich die Besitzer nicht um den Finger wickeln. Selbst Bargeld und tiefer Ausschnitt führen nicht zum gewünschten Erfolg.

Kai ist genauso frustriert wie ich. Je mehr Zeit wir verschwenden, desto mehr rückt Kai der Geminizirkel in den Nacken. Letztlich frage ich Kai, wie viel Geld wir für einen gebrauchten Wohnwagen zusammenraffen können. Dort könnte ich uns wenigstens Ausweise zaubern, richtige, zur Not auch Gefälschte. Ich kann das. Ich hab schon oft genug Ausweise gefälscht.

»Du willst einen... das macht keinen Sinn.« Er wendet sich wieder der Straßenkarte zu, die er im Diner mitgenommen hat. »Weiter die Straße rauf gibt es noch ein Zwei-Sterne-Hotel. Versuchen wir da unser Glück.«

»Okay, ich kann uns auch Ausweise zaubern. Ich brauche dazu nur irgendwelche, die wir irgendjemanden klauen. So als Vorlage.«

Kai blickt mich zwar komisch an, sagt nichts, aber nickt nur. Im Motel namens Travelodge by Wyndham, eben diesem zwei Sterne Hotel mit Pool, funktionieren bei dem Besitzer Earle, meine tollen Argumente. Ausschnitt und Bargeld, Vorkasse für erstmal zwei Nächte. Zwar nur ein Zimmer und ein Bett, aber Kai schläft sicherlich in der Badewanne. »Immerhin ein Zimmer«, bemerkt Kai, nachdem ich im Walmarkt die Straße runter, Lebensmittel und Hygienezeugs gekauft habe, während Kai im Schutz eines Zaubers im Zimmer verweilen muss.

Da sitzt er nun. Er lässt mich eine halbe Stunde später nicht aus den Augen, während ich alles für den Anti-Lokalisierungszauber vorbereite.

»Die Badewanne sieht groß und gemütlich aus. Lässt sich sicherlich gut schlafen«, sage ich nur. »Macht das dein alter Rücken mit?« Spöttisch mustere ich ihn. Er zieht nur eine genervte Grimasse und wendet sich der Tüte Speckchips zu. Die riechen tatsächlich göttlich. Angeboten hat er mir aber nichts. Wie immer.

»Ich werde bei dir im Bett schlafen, Flores.«

Ich blinzle verwirrt und blicke von den Kerzen zu Kai. »Wenn du Abstand hältst. Meinetwegen. Ich brauch dein Blut für den Zauber. Aber dalli.«

»Du bittest mich darum, anstatt mir das Messer erneut in die Hand zu rammen? Geht's dir gut?«

»Geht's dir gut, dass du dich nach meinem Wohlbefinden erkundigst?«, stelle ich die Gegenfrage und greife nach seiner Hand, die er mir hinhält. Immerhin nicht die Hand mit den glänzenden Chipsfett.

»Nö, wir beide werden uns einander noch nützlich sein. In einem Team spielen. Ich sollte es mir nicht mit dir verscherzen, oder anders herum.«

»Wie du unschwer erkennen kannst, versuche ich dich vor deiner Kranken Familie und dem kranken Zirkel zu beschützen.«

»Ich bin ja nicht blind«, murmelt er. Das ganze Zauberprozedere dauert nicht mal fünf Minuten, da ist dieser bereits auf Kai gelegt. Ich puste die Kerzen aus und räume das Zeug weg. Kai verschwindet im angrenzenden Badezimmer. Wenig später springt die Dusche an. Ich greife nach der Tüte mit Speckchips und blicke im eine komplett leere Tüte. Nicht ein einziger Krümel ist zu sehen.

»Verfressener Idiot«, murmle ich und schmeiße mich kurzerhand mit einem Buch, welches ich in dem Laden gekauft habe, aufs Bett. Irgendein Roman, der laut Klappentext mit feinster Erotik glänzen soll. Hätte ich mir mal dem Klappentext vernünftig durchgelesen. 

Closer | Kai Parker FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt