8 Der Orden

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Den Schattensoldaten sahen sie in einiger Entfernung immer wieder am Himmelauftauchen. Doch schien er sie nicht zu sehen oder zum mindestens vermutete er wohl nicht sie in diesem Auto. Irgendwann verschwand er. Nach etwas mehr als einer Stunde fuhren sie über eine Brücke, die über einen breiten Strohm führte. Das Wasser glitzerte in der Sonne und auf der anderen Seite erhoben sich die gläsernen Türme und Häuser von Vira. Sie fuhren an hoch aufragenden Gebäuden vorbei und hielten in einer Strasse mit kleineren weissen Häusern. Auf der Seite liessen sie das Auto stehen, weckten Corvin und verliessen es.

Runa sah nervös die Strasse hinauf und hinunter. Niemand hatte sie gesehen. Wieder stützte sie Phil, während sie durch die noch ruhige Stadt humpelten. Ragna und Corvin hielten vor einem Reihenhaus, das von einer hohen ungepflegten Hecke im Vorgarten halb verdeckt war. Der Putz blätterte von der Fassade. Die Fensterläden waren heruntergelassen. Rechts und links waren die Häuser und Vorgärten säuberlich gepflegt. Ragna ging zum Eingang und murmelte leise und unverständlich etwas. Ein steinerner Gartenzwerg, der am Eingang gestanden hatte, bewegte sich und öffnete die Türe, bevor er wieder an derselben Stelle unscheinbar erstarrte. Der Zauber schützte wohl den Eingang vor Eindringlingen.

Sie gingen in das Haus. Eine schmutzige Betontreppe führte hinauf. Mehrere Wohnungstüren mit leeren Namensschildern waren im ersten Stock. Ragna öffnete eine der Türen. Sie gingen durch einen schmalen Gang, der von Bücherregalen gesäumt war. In einem grösseren Zimmer standen mehrere Sofas im Kreis. Corvin und Phil setzten sich sogleich. Corvin blinzelte und seine Lieder schlossen sich.

Aus einem weiteren Zimmer kam eine junge Frau. Runa fiel auf, dass sich an ihren Armen und Schultern Muskeln hervorhoben. Sie begrüsste die anderen.

«Ich bin Tara.»

Mit einer Geste gab sie allen zu verstehen sich hinzusetzen. Ragna erzählte in knappen Worten von ihrer Verfolgung und dass sie von nun an alle neuen Personen überprüfen wollte, ob sie von Abbadon kontrolliert wurden.

Falls es Tara verletzte, dass Ragna ihr nicht ganz vertraute, zeigte sie es nicht. Ihr war als Ordensmitglied mit Sicherheit bewusst, dass es beinahe jedem geschehen konnte, dass er durch Folter oder Erpressung dazu gebracht wurde sich Abbadon zu verschreiben.

Runa betrachtete die Frau und entschuldigte sich unsicher. Es war ihr unangenehm in jemanden einzudringen, der davon wusste und nicht ganz freiwillig einwilligte. Sie sah in die braunen Augen und spürte den Wirbel, während Ragna mit Tara über Abbadon redete, um ihre Gedanken darauf zu lenken. Hoffentlich würde es Runa einfacher fallen so eine Erinnerung mit dem Dämon zu finden, falls eine existierte.

Runa dachte selbst an Abbadon, während sie in den Strudel hineingezogen wurde. Beinahe augenblicklich landete sie in einer Erinnerung und spürte die Angst, die Tara damals gespürt hatte.

Runa ging mit Jemandem neben sich durch eine Strasse, als sie Schreie von einer Frau aus einem Haus kommen hörte. Sie sah sich um, niemand sonst war zu sehen, der ebenfalls helfen könnte.

«Gehen wir rein?»

Der Mann neben ihr schien ebenfalls unsicher. Sie wussten nicht, was in dem Haus los war. Die naheliegendste Vermutung lag bei einem Fall von Häuslicher Gewalt. Bis sie zu einer Telefonzelle gekommen wären, würde vielleicht wertvolle Zeit vergehen. Sie waren zu zweit. Der Mann neben ihr war gross und sah stark aus. Runa fühlte ein warmes Gefühl. War er ein Freund von Tara? Er schien ihr vertraut.

Stumm entschieden sie sich und taten etwas, was wohl fast niemand tun würde. Sie gingen in das Haus, öffneten die angelehnte Türe und liefen durch den Gang, bis sie im Eingang zu einem grossen Zimmer abrupt stehenblieben. In dem Wohnzimmer standen zwei schwarz gekleidete Männer mit den Rücken zu ihnen gewandt. Einer von ihnen hatte ein blutiges Messer in der Hand. Eine Frau kniete auf dem Boden vor ihnen. Sie starrte vor sich hin, wo das Rot den Teppich färbte. Blut lief aus ihrem Mund und der Nase.

Runa: Chaos der ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt