4 Phönixtränen

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Der Asphalt flimmerte in der Sonne. Die Menschen waren langsam und träge. Hinter einem Wagen verkaufte ein älterer Mann Eis. Das Schild pries verschiedenste Sorten an. Runa ging darauf zu. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Sie wischte sich mit der Hand den Schweiss von der Stirn. Ein wenig Abkühlung klang sehr verlockend. Als sie jedoch vor der Eistheke stand und gerade die verschiedenen Sorten begutachtete, um sich für eines der Sorbets zu entscheiden, verschwand der Anhänger. Er löste sich einfach in Luft auf und es blieb keine Spur von ihm zurück. Verwundert fragte sich Runa, ob sie sich den Wagen nur eingebildet hatte. Aber der Mann, welcher zuvor Eisverkauft hatte, stand nun vor ihr auf der Strasse. Er war noch da. Enttäuscht wollte Runa sich gerade wieder umdrehen und weggehen. Als der Mann mit dem Finger auf Runa zeigte.
«Das ist sie!», schrie er.
Sie zuckte zusammen und sah, denn Mann an. Sein Gesicht war kalt und ausdruckslos. Ein kurzes kaltherziges Lachen kam aus seiner Kehle. Menschen kamen neugierig näher und starrten sie an. Runa sah in ihre Gesichter, manche starrten sie mit aufgerissenen Augen an, andere hoben zornig ihre Fäuste und grölten. Die noch kurz zuvor fast leere Strasse füllte sich innerhalb kürzester Zeit mit unzähligen Menschen. Die Menge wurde dichter und kam immer näher. Runa drehte sich um sich selbst überall kamen Menschen auf sie zu, drohend und schienen sie zu einer einzigen gesichtslosen Masse zu verschmelzen. Sie schloss Runa ein und der Kreis wurde immer kleiner. Der Abstand zwischen ihr und der Menge schwand. Sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und sich in ihrem Magen ein Knoten bildete. Panisch suchte sie nach einem Fluchtweg, aber sie war eingeschlossen. Sie versuchte sich ein Lächeln abzuringen, um die Menschen zu beruhigen. Aber es war, als sähen sie nicht Runa als junges Mädchen in einem blumigen Sommerkleid, sondern eine unergründbare Gefahr. Etwas machte sie Wütend oder gar ängstlich. «Sie kann in unsere Köpfe eindringen, sie kann uns kontrollieren!», schrie jemand. «Sie ist im Pakt mit dem Teufel!», rief ein anderer. «Tötet sie bevor sie uns vernichtet!». Die Stimmen verschmolzen zu wütenden Rufen. Runa versuchte sich zu verteidigen, aber ihre Stimme ging in dem Chor unter. Sie war sich sicher dieser Meute machtlos ausgeliefert zu sein. Sie fühlte sich so klein und hilflos. Diese Menschen sahen in ihr ein Monster. Gerade als die erste Person sie packen wollte schwankte der Boden und plötzlich stand Runa im Speisesaal des Waisenhauses. Sie näherte sich dem Tisch und sah einem anderen Kind versehentlich in die Augen. Ihr Körper verfiel in eine Trance und Farben wirbelten um sie. Sie sah keine Bilder, sondern verlor sich in dem Strudel. Alles drehte sich und ihr wurde ganz übel. Als sie sich endlich dem Chaos entzog und wieder in dem Speisesaal stand, wichen die Kinder vor ihr zurück. Kreideweis starrte der Junge vor ihr sie an, dann wuchs er und sein Gesicht wurde runzlig. Frau Thorn stand vor Runa. «Du schmutziges Miststück, ich habe es gewusst. Du bist eine Hexe!» Runas Herz pochte laut. Sie sah in dem Saal umher niemand kam zu ihr, alle sahen sie angsterfüllt an. Runa fühlte sich unendlich allein. Niemand sah sie wie sie war. Alle starrten sie ängstlich an. Würde Frau Thorn sie wegschicken? Oder noch schlimmer, würde sie Runa dem Ministerium für Staatssicherheit ausliefern?

Im selben Moment, als sie diesen Gedanken formte, öffnete sich die Tür des Speisesaales quietschend und Runa hörte die Schritte schwerer Stifel. Uniformierte Männer kamen durch die Türe. Die Gendarmen packten Runa und klickend schlossen sich Handschellen um sie. Runa schrie und strampelte um sich. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Das Blut pulsierte durch ihren Körper. Sie setzte all ihre Kräfte ein, kratze und biss, aber es half nicht. Die Männer zerrten sie mit sich und zogen ihr einen schwarzen Sack über den Kopf. Alles wurde Schwarz. Plötzlich hörte sie eine Stimme.

«Keine Angst das ist nur ein Traum.»

Hände zogen den Sack von ihrem Köpf. Runa blinzelte und es wurde wieder Hell um sie. Ihre Hände waren nicht mehr gefesselt. Runas Füsse waren nackt und sie spürte warmen Sand unter sich. Ein Mädchen mit schwarzen Haaren stand vor ihr. Ein stetiges Rauschen und das Kreischen von Vögeln klang an Runas Ohr. Sie drehte den Kopf. Wellen rollten näher und umspülten ihre Füsse. Das Wasser reichte bis zum Horizont. Staunend beobachtete Runa die schäumenden Wellen. Das Licht brach sich glitzernd im Blau.

Runa: Chaos der ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt