6 Pusteblumen und Sterne

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Runa schlief traumlos und tief ihr Atem ging regelmässig. Doch dann wurde ihr Schlaf von etwas gestört, dass sie nur halb bewusst wahrnahm, ohne ganz aufzuwachen. Ihr Amulett wurde plötzlich heiss und brannte auf ihrer Haut. Im Schlaf strich sie mit der Hand über das Schmuckstück auf ihrer Brust. Hätte sie nicht weitergeschlafen, hätte sie das Leuchten des roten Rubins gesehen. Sie drehte sich um und murmelte etwas.

Runa hörte eine Stimme, sie spürte ein Ziehen, es war, als würde jemand sie rufen. Sie glitt durch einen Farbenwirbel. Die Stimme klang hell, aber sie verstand keine Worte. Plötzlich stand Runa auf einer Wiese auf der Pusteblumen wuchsen, die leuchteten. Die Ebene glich einem Sternenhimmel, nur dass die leuchtenden Punkte, wenn man näherkam, keine Sterne waren, sondern verblühten Löwenzahnblumen glichen. Runa stand auf einem leicht erhobenen Hügel. Weiter unten sah sie einen kleinen See, der den Himmel über ihr und den Mond spiegelte, der halb hinter einer weissen Wolke hervorschaute. Das Gras unter ihren nackten Füssen fühlte sich feucht an. Kleine Tautropfen glitzerten auf den Halmen. Der Himmel über ihr war dunkel und Sternen klar. Am Horizont ging die Blumenwiese übergangslos in den Sternenhimmel über. Nur ein schummriges Licht wurde von den Blumen verströmt. Es roch nach Sommer und die Luft war windstill. Auf der sanften Erhebung einige Schritte von Runa entfernt vor dem dunklen See sass ein Mädchen in einem weissen Kleid. Ihre schwarzen Haare fielen in sanften Wellen über ihren nackten Rücken. Als Runa näher kam hörte sie ein leises Summen. Das Mädchen drehte den Kopf und sah Runa mit ihren dunkelblauen Augen an. Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Sie war seltsam blass und ein helles Leuchten kam von ihrer Haut, das dem Licht der Pusteblumen glich. Um ihren Hals hing an einer silbernen Kette ein Amulett, das dem von Runa glich. Der rote Stein in der Mitte der Feder leuchtete. Das Mädchen kam Runa seltsam bekannt vor. Sie erinnerte Runa an ein Mädchen, dass sie in den letzten Jahren manchmal in ihren Träumen gesehen hatte.

«Wer bist du?», fragte sie.

Runa sah sie an. Das gleiche hatte sie fragen wollen.

Sie sah in den Augen des Mädchens keine Farbenwirbel und spürte, dass sie, auch wenn sie es versuchen würde, nicht in sie hineindringen konnte. Noch nie hatte sie solche schönen tiefbauen Augen gesehen.

«Ich heisse Runa.» Sie dachte an die Stimme, die sie gehört hatte, den Farbenwirbel und das ziehen in ihrer Brust. Die Umgebung kam ihr seltsam real vor, beinahe zu klar für einen Traum. Aber sie hatte doch geschlafen, bevor sie hierhergekommen war.

«Hast du mich gerufen, bin ich deshalb hier?», fragte Runa das Mädchen, welches noch immer schwieg. Sie hatte ihr ihren eigenen Namen nicht genannt. Sie schüttelte den Kopf.

«Ich habe dich nicht gerufen.» Ihre Hand berührte das Schmuckstück um ihren Hals und Runa berührte ihres. Es war heiss. Das Amulett, dachte sie. Die beiden Schmuckstücke schienen leise zu summen, ganz hell. Es erinnerte Runa an den Klang einer Stimmgabel, nur viel leiser.

«Wo sind wir? Ist das ein Traum?», fragte Runa.

«Ich weiss es nicht.»

Sie fing an zu zittern. Runa fühlte sich hilflos und fragte sich, was sie tun konnte. Vorsichtig setzte sie sich neben das Mädchen ins Gras. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und schwieg eine Weile.

«Bist du das andere Mädchen aus der Prophezeiung?», fragte Runa sie. Sie dachte an die Vision, die sie einmal gehabt hatte, als sie das Amulett zum ersten Mal berührt hatte. Es fröstelte sie leicht, als sie vor ihrem inneren Auge die zwei Gestalten sah, die leuchtende und die dunkle Gestalt. Dieses Bild hatte sich für immer in ihr eingebrannt.

«Ja», flüsterte sie. «Ich bin Saphira.»

Runa fragte sich was geschehen war. Weshalb zitterte sie? War sie auch auf der Flucht? Waren auch über sie Informationen verraten worden?

Runa: Chaos der ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt