31 ~ Der Engel und die Tiefen von Bravo 17

7 2 0
                                    

Als ich in die Cafeteria komme, merke ich direkt, dass etwas nicht stimmt. Es ist verdächtig leer. Und obwohl wir noch nicht lange hier sind, kenne ich doch genug Gesichter hier um zu wissen, dass mindestens ein Dutzend Piloten, und Waffensystemoffiziere im Falle der Tornados, fehlen, die sonst um diese Zeit immer hier wären.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, während ich mir eins der faden grauen Tabletts nehme, während ich mir niedergeschlagen meine Auswahl zusammensuche und nicht zuletzt, als ich am Tisch sitze, allein.

Mein Blick schweift durch den kargen Raum. Alles beim Alten wie es scheint, sogar der überfüllte Wagen für die Tabletts steht noch genau da, wo er auch beim letzten Mal stand. Und doch ist etwas anders.

„Hey Titan." Ich drehe mich überrascht um, muss aber beim Anblick der jungen Frau vor mir wieder lächeln.

„Hey Angel, setz dich." Ich deute auf den Platz gegenüber von mir. Sie nickt müde und lässt sich auf die kalte Bank fallen. Mit einem genervten „Urgh" lässt sie ihren Kopf auf den kalten Tisch sacken.

„Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Plackerei dieser Job manchmal ist." fängt sie nach einigen Sekunden unangenehmer Stille an.

„Naja." ich lege den Kopf ein wenig schief, „Sich da draußen im 1 gegen 1 mit Aliens zu messen, ist nicht viel angenehmer."

„Ja." nörgelt sie weiter und pustet sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, „aber unterschätz bloß nicht den Aufwand, der hinter jedem eurer Flüge steht. Stundenlange Planungen, Besprechungen mit den Wartungsmannschaften, Übungen und nicht zuletzt das 16 Stunden pro Tag vor dem Radarbildschirm hocken und mit Piloten aus was weiß ich wie vielen Ländern reden und jedem einzelnen von ihnen den perfekten Kurs für dies und das durchzugeben."

Sie gibt noch ein überfordertes Nörgeln von sich.
Ich kann nicht anders als ein bisschen zu grinsen.
„Ohne Leute wie dich wär hier tote Hose." murmle ich und beiße von meinem Sandwich ab. Ein britischer A-400M muss wohl eine Ladung dieser Dinger auf einem Flug hierher mitgenommen haben.

„Was macht der Stab eigentlich so, du weißt schon, der Chef, Raven und so?"

Angel sieht leicht auf. Erst jetzt erkenne ich ihre riesigen Augenringe, die ihr sonst fast tadelloses Gesicht irgendwie wie das einer Drogensüchtigen erscheinen lassen. Was ein komischer Vergleich Titan, ganz ganz weird.

Raven, du solltest sie mal erleben. Die redet von nix anderem als der totalen Auslöschung jeden einzelnen Individuums dieser Aliens. Was sie dafür tut, naja, das ist ein bisschen weniger aktiv. Sie hat jetzt einen Posten beim Führungsstab als irgendeine untere Planerin oder sowas. Trotzdem, wenn's nach ihr gehen würde, würde sie sofort hier und jetzt in einen Kampfjet steigen und losfliegen um die Welt allein zu retten."

„Was nicht allzu lange dauern dürfte, weil sie es vermutlich nichtmal aus diesem Berg rausschaffen würde." murmle ich und zucke mit den Schultern.

„Da hast du vermutlich Recht." Sie mustert mich und meinen leicht verschlissenen Overall, den man als Pilot so trägt.

„Ist was?" Ich schaue an mir herunter. Das Patch mit dem Emblem der „Reds", also dem gegnerischen Team bei Trainingsflügen, mit der Aufschrift „Professional AMRAAM Eater" an meinem Ärmel hat ziemlich an Farbe nachgelassen. Verdammt.

„Nein, alles gut, ich war nur in Gedanken." Sie lässt ihren Blick durch den Raum schweifen, dann schaut sie mich wieder an, faltet ihre Hände auf dem Tisch und ihre Miene verdunkelt sich.

„Immer mehr, die dort rausfliegen, kommen nicht mehr zurück. Heute erst die Daggers. Gestern ist eine Combat Air Patrol verschwunden. Wie gesagt, die Reihen lichten sich." Angel senkt ihren Blick, sie sieht jetzt sogar noch deprimierter aus als vorher, wenn das irgendwie möglich ist.

„Das ist Krieg, Angel. Jeder dieser Piloten wusste worauf er sich einlässt. Es ist das Berufsrisiko."

Sie schaut wieder auf, eine Träne wandert ihre leicht verdreckte Wange hinab. „Du hast echt keine Ahnung, wie man mit Frauen umgeht oder?" Sie bringt aber ein angestrengtes Lächeln zustande, während sie die Träne wegwischt.

„Du bist nicht die erste, die mir das sagt."

„Und werde es auch nicht bleiben glaube ich."

Woher soll ich denn auch wissen, wie man „richtig" mit Frauen spricht? Mein Kontakt mit Frauen hat sich auf lose Unterhaltungen mal ab und zu beschränkt also woher soll ich sowas bitte wissen.

Ich verdrehe bloß müde die Augen, was ihr immerhin ein kleines Lächeln entlockt. Sie klatscht mir aufmunternd auf die Schulter.

„Das wird noch." Sie steht auf und geht, zwinkert mir nach einem letzten „Wenn du da draußen nicht draufgehst jedenfalls." nochmal zu, bevor sie den Raum verlässt.
Ratlos und schweigend bleibe ich zurück. Ich stocher noch ein bisschen lustlos in meinem Essen rum, dann piept es plötzlich. Sofort starre ich auf den Pieper an meinem Handgelenk, über den ich immer sofort zum Einsatz gerufen werden kann.

Beta 17
Air Wing Command
P-EUF-5719 „Titan"

Lagebesprechung in C-81 um 2100.*

Ich schaue auf die Uhr. Die Besprechung, zu der man mich bestellt hat fängt in 10 Minuten an und ich habe keine Ahnung wohin. Das ist ja mal wieder typisch. Ich stehe grimmig auf und stiefle los in das Labyrinth aus Korridoren, Hallen, Tunneln und anderen Strukturen, die man so hier unten nicht erwarten würde. Überall wo ich langkomme herrscht Betrieb. Seien es Techniker, die in die dunklen Wartungstunnel klettern, Soldaten auf Patrouille oder Piloten auf dem Weg zu ihren Flugzeugen.
Teilweise auch nur so banales wie ein Typ, der einen Wagen mit Putzzeug durch die Gegend karrt.

Schon bizarr alles hier unten. Surreal. Einfach ein verdammt abgefahrener Ort, und das meine ich nicht unbedingt positiv wenn ich mir so den allgegenwärtig Beginnenden Rost anschaue. Diese Anlage hat schon bessere Tage gesehen, dass sieht man. Die Führungsetage hat es wohl nur für nötig gehalten, den Bereich des Flugbetriebs in Stand zu halten. Und nun geht es über einen alten Fahrstuhl auch noch weiter nach unten.

Hier, in einer der tiefsten Abschnitte, wo nur Wartungspersonal und gelegentlich noch Techniker und Sonstige Angestellte hausen, werden die Wände, der Boden aus Gittern, unter denen sich ein klaffendes Nichts erstreckt, und alles weitere von Rost und sonstigem unschönen Zeug zerfressen. Die Gitter klappern so seltsam mysteriös. Es fühlt sich an wie in einer anderen Welt. Aus der modernen Basis ist plötzlich ein abgewracktes, postapokalyptisches Cyberpunk geworden. Die Leuchten auf Notstrom, die diese Gänge in ein tiefes, surreales Rot tauchen, sind da nur die Krönung.

Nur wenige treiben sich hier unten um, auch ich fühle mich irgendwie fehl am Platz, aber hier muss ich nun mal hin. Nach einer Reihe rostiger Korridore mit rostigen Böden, rostigen Leitungen an der Decke und undichten Löchern aus denen zu meinem Missfallen undefinierbare Gase austreten, stehe ich vor Raum C-81.
Ich schüttele bloß den Kopf und trete ein.



*gelesen: Einundzwanzig Hundert

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt