46 ~ Zuhause

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Die Schatten tanzen an den Wänden, der Mondschein spiegelt sich an der kalten metallischen Wand des Helikopters wider und taucht den Laderaum in ein gespenstisches weißes Licht. Schemenhaft sehe ich die Zivilisten zusammengekauert auf dem Boden hocken. Niemand sagt ein Wort. Das monotone Rattern des Rotors ist der einzige Gegensatz zu der Totenstille, die hier drinnen herrscht. Es ist gespenstisch, surreal.

Einige schlafen, einige zittern, viele kauern sich zusammen, aber die meisten starren einfach nur ins Nichts. Als würde es sie gar nicht mehr berühren, dass sie endlich dem Bunker entfliehen können, der Dunkelheit. Dieser so weit verbreitete Blick der Leere und der Erschöpfung jagt mir immer noch genauso einen Schauer über den Rücken, wie am ersten Tag. Es ist ein Blick gefüllt mit Hoffnungslosigkeit, Verlust und Trauer. Im Stillen frage ich mich, was diese Menschen erleben mussten.

Ein ausgedehntes Gähnen überkommt mich, ich bin völlig übermüdet schätze ich. Resigniert seufzend drehe ich mich zum Fenster um, wo immer noch die Schatten der Rotoren über mein Gesicht jagen.

Da draußen, in so ca. 30-50 Metern fliegt der Apache, der mich gerettet hat. Wage kann man die Silhouetten der Piloten erkennen, aber das Licht ist zu dünn. Unter uns rasen Wälder, Wiesen und Berge vorbei. Im Tiefflug geht es schon bestimmt zwei Stunden so. Irgendwann in den nächsten 30 Minuten müssten wir ankommen, jedenfalls wenn meine Schätzfähigkeiten so gut sind, wie die anderen immer sagen.

Liam schläft erstaunlich ruhig dafür, dass er so gezittert hat, als es losging. Muss die Erschöpfung sein denke ich. Seine Mutter ist an einer Metallkiste angelehnt im Sitzen eingeschlafen. Es ist, als wäre ich der einzige hier hinten, der keine Ruhe findet, von den panisch schluchzenden Leuten weiter vorne mal abgesehen.

„Wir landen gleich." Erst jetzt bemerke ich das Besatzungsmitglied des Hubschraubers, vermutlich der Ladungsmeister, der im Schatten neben mir steht.

„Das...klingt doch gut." Schreie ich gegen den Lärm der Rotoren an und schaue zu dem in Schatten verhüllten Mann hoch.

„Muss krass gewesen sein." Er deutet auf meinen Bauchverband, der immer noch unter meiner locker übergehängten Jacke hervorschaut.

„Stellt sich heraus, ein explodierendes Flugzeug schießt diverse Splitter durch die Gegend." erwidere ich so trocken wie so oft.

„Klingt krass, Bruder. Wird's denn?"

Ich nicke leicht. Klar, es tut immer noch weh, aber soweit ich das sagen kann blutet es nicht mehr, also passt das. Der Schmerz ist zwar manchmal brutal, aber Hauptsache es blutet nicht. Mir wird schlagartig wiedermal klar, wie kurz ich wirklich vor dem Tod durch Verbluten stand.

„Na dann, die erwarten Sie mit nem Direktticket in die Krankenstation, sobald wir landen." Ein Ruckler geht durch den Helikopter, der Kerl fällt fast um, hält sich aber an einer Metallstange an der Decke fest, „Scheiß Gerät."

„Klar machen zur Landung." dröhnt es durch die Lautsprecher an Bord. Um mich herum erwachen die Zivilisten zum Leben, Bewegung und somit auch Leben hält wieder Einzug in diese düstere Atmosphäre, die den Flug über alles dominiert hat.

Der Helikopter wird spürbar langsamer, bis er schlussendlich in den Schwebe- und dann in den Sinkflug übergeht. Keine 10 Sekunden später weicht die Schwärze der Nacht dem blendenden Neonlicht, dass Bravo 17 dominiert. Komisch, es fühlt sich fast so an, als würde ich nach Hause kommen. Ein paar Stockwerke sinkt der Helikopter den Tunnel hinab. In ringförmig um den runden Ausgangstunnel herum gebauten Landebuchten stehen bestimmt insgesamt 200 Helikopter. Es ist ein klassisches Etagenmuster. Oben ein Eingang und ein vertikaler Schacht führt ins Nichts unter uns.

Gelbe Blicklichter blinken, Fahrzeuge fahren durch die Buchten, Menschen schrauben an den Helikoptern herum, es ist alles beim alten. 24 Stunden Hochbetrieb, die ganze Zeit. So hart wie diese Kerle hier im Shatterdome arbeiten, die unsere Maschinen jeden Tag aufs Neue auf dem Stand halten, habe ich noch nie Warte arbeiten sehen.
Diese Jungs sind genau solche Maschinen, wie die Flugzeuge, die sie ständig einsatzbereit halten.

Meter für Meter schwebt der Chinook schließlich in eine der Landebuchten tief im Berg und setzt mit einem lauten Krachen auf. Für einen kurzen, aber unglaublich entlastenden Moment schließe ich die Augen und lasse einfach alles auf mich wirken. Leute atmen erleichtert auf, jubeln, weinen vor Freude, die Reaktionen könnten kaum unterschiedlicher sein.

Und während der Rotor langsam anhält, sich piepend die Heckklappe öffnet und die Leute ins Freie strömen, bleibe ich sitzen.

„Hey Kleiner, wir sind da." Liam öffnet verschlafen die Augen, schaut zu mir hoch und kommt beim Aufstehen gegen meine Wunde. Während in meinem Inneren alles nach sofortigem Schreien brüllt unterbinden meine zusammengebissenen Zähne das Manöver. Meine Muskeln spannen sich augenblicklich an und ein unterdrückter Laut entweicht mir.

„Komm Liam." Seine Mutter greift nach der Hand des kleinen Jungen, nickt mir noch einmal lächelnd zu und verlässt dann den Helikopter.

„Verletzungen, Materialverlust, Medikamente...?" Der Sanitäter kreuzt routiniert einen Punkt nach dem anderen auf seiner Checkliste an. Ich liege genervt auf einer Trage, die man für mich im Hangar aufgebaut hat.

„Ich hab doch schon gesagt, mir geht's gut. Geben Sie mir bisschen Schmerzmittel, dann passt das." erwidere ich genervt. Ich bin hundemüde, hungrig und mir ist kalt und das einzige, was dem Kerl einfällt ist, mich hier aufzuhalten. Man. Klar, er macht nur seinen Job, aber ab einem gewissen Punkt hört bei mir die Geduld auf.

„Die Wunde wurde gut versorgt." murmelt der 2. Sanitäter, der mit Plastikhandschuhen bewaffnet an meiner Wunde herumfummelt. Er wendet sich an mich. „Wir werden Ihren Körper erstmal auf Überreste von Splittern untersuchen, die eventuell noch drin sind. Dafür müssen Sie auf die Station."

Meine Laune sinkt nochmal ein gutes Stück weiter ab. Aber ich halte den Mund, Stress können die beiden jetzt auch nicht gebrauchen, machen ja auch nur ihren Job.

„Krieg ich wenigstens was zu essen?" frage ich noch, während der eine schon die Trage auf die richtige Höhe einstellt. Er lächelt immerhin. „Klar."

Ich seufze und lehne mich zurück, starre die fade dunkelgraue Decke an, unterbrochen von gelegentlichen Neonröhren. Allmählich blendet mein Kopf alles um mich herum aus, meine Sicht verschwimmt und das Letzte, was ich noch mitbekomme, ist, wie sich die Trage in Bewegung setzt.
Dann fallen meine Augen endgültig zu.

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt