51 ~ Die Mörder unserer Zivilisation

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Das leise Surren macht einen mental kaputt.
Dieses nervige Surren, dass seit fast einer Stunde den Gang hinabhallt. Niemand sagt was, niemand redet, nur dieses Surren, dass in meinem Kopf schon widerhallt wie meine eigene Stimme.

Wir sitzen auf unbequemen, weißen Stühlen außerhalb des Hauptforschungsbereichs in irgendeinem Nebentrakt, in dem Dutzende Türen zu undefinierbaren Räumen mit ominösen Namen wie „Delta-Mikroaspektorraum 2A71" dicht an dicht gedrängt sind.

Es knackt in der Lüftungsanlage, dann stottert das Surren und schlussendlich ist es still. Ich seufze lautlos. Schon wieder was am Arsch. Dieser Laden zerfällt langsam, das sieht man. Auch, wenn sich die Führung und die Hundertschaft Techniker größte Mühe geben, uns vom Gegenteil zu überzeugen.

„Was machen wir hier eigentlich?" fragt Jumper genervt und resigniert zugleich. Er hat sein Gesicht in den Händen abgestützt, während sein Blick langsam den langen Flur abstreift.

„Wir warten auf Einlass." brummt Blackhole neutral, immer noch regt sich nichts unter seinem Helm. Ob er uns beobachtet? Wer weiß das schon?

„Und wozu? Schauen wir uns Alientechnologie an?" fragt jetzt auch Blaster, der mindestens genauso gut gelaunt aussieht wie Jumper.

„Auch."

Na super, ich glaube ich habe selten einen wortkargeren Menschen kennengelernt als Blackhole. So wie der sich verhält, halten sich seine sozialen Kompetenzen extrem in Grenzen. Ich dachte immer, ich wäre ein stiller Außenseiter, aber gegen Blackhole bin ich der reinste verbale Wasserfall.

„Auch?" Hera schaut unbeeindruckt hoch und verschränkt die Arme vor der Brust, „Was denn noch?"

Stille. Wieder entfährt mir ein Seufzer und auch Hera schüttelt bloß den Kopf und dreht sich wieder einem Gespräch mit Crimson zu. Warum antwortet er denn nicht? Ist er retarded oder so?

In dem Moment fliegt eine Tür weiter runter den Gang auf. Sofort drehen sich alle zu ihr um, außer Blackhole. Ein schmächtiger Kerl mit Brille steht im Türrahmen und schaut uns an. Ein wenig nervös richtet er seine Brille.

„Äh, Sie können jetzt reinkommen." murmelt er dann so als hätte er Angst vor uns. Was ein Spinner.

Wir erheben uns wie im Takt und marschieren dann einer nach dem anderen durch die Tür mit der wenig aussagenden Aufschrift „LF-LAB 3". Der Raum, in den wir treten ist kühl und dunkel. Eine große Plexiglasscheibe gibt den Blick auf eine Art Operationssaal frei. Ein wenig fühlt es sich an, wie im Krankenhaus. Ein sehr befremdliches Gefühl btw.

Langsam schweifen unsere Blicke umher. Der Raum, in dem wir stehen ist vollgestopft mit technischen Geräten, Rechnern, Monitoren, auf denen undefinierbare Prozesse überwacht werden, und in einer Ecke befindet sich eine unscheinbare Tür mit der Aufschrift „Bio Forms". Ich schlucke. Das Wort Lebensformen gibt mir irgendwo kein allzu gutes Gefühl.

Mein Puls beschleunigt sich spürbar. Die können doch nicht...Nein, das ist unmöglich. Und doch geht der Nerd auf die Tür zu und öffnet sie. Vorsichtig treten wir ein. Mein Herz bleibt stehen. Fünf dieser Tanks wie draußen im Labor, gefüllt mit der selben braun-trüben Flüssigkeit. Und in jedem von ihnen schwimmt einer.

„Scheiße." Jumper fährt ungläubig mit der Hand über die Wand des Tanks. Auch wir können nur im Schock das anstarren, was wir da sehen. Fünf offensichtlich tote, humanoide Echsenviecher. Besser kann ich diese Wesen nicht beschreiben. Etwas größer als ein Mensch, braun-grünliche Schuppen, lange Schnauze, Ansätze von Haaren, eine Art Körperpanzer oder so ähnlich. Komplett anders, als man sich Aliens vorstellen würde. Scheiße, sind die hässlich.

„Diese schrumpligen Echsen vernichten uns? Ernsthaft?" Hera starrt perplex einem der Viecher direkt in die Augen, die vom letzten Schock noch leicht geöffnet sind. Ein Schauer überkommt mich und ich bekomme Gänsehaut. Es ist dieser universelle Blick, den jedes Wesen teilt, wenn es stirbt. Dieser letzte Ausdruck von Angst, Verzweiflung und Schmerz, bevor man für immer in den endlosen Schlaf hinabsinkt.

„Mistviecher." brummt Crimson unberührt und wirft den Aliens nur einen abfälligen Blick zu.

„Allein wegen deren Aussehen würde ich schon liebend gerne ein paar Kriegsverbrechen begehen." Wir drehen uns zu Jumper um, „Was?" Er schaut uns fragend an. Manchmal ist der Junge echt behindert, aber Recht hat er irgendwie. In mir brodelt es. Mein Blut kocht schon fast vor Hass, den ich für diese Spezies empfinde.

Das sind sie.
Die Mörder unserer Freunde.
Die Mörder unserer Familien.
Die Mörder unserer Zivilisation.

Die Invasoren. Und nicht zum ersten Mal kommt in mir der Wunsch auf, sie umzubringen. Nicht im Kampf töten wie bisher, ich rede von abschlachten.
Ich will jedes dieser Viecher umbringen. So wie sie uns ermorden, wie sie meine Familie getötet haben, die Milliarden Menschen, die Unschuldigen. Wahrscheinlich auch meinen Vater. Von ihm habe ich seit Beginn dieser Scheiße nichts mehr gehört.

Oft liege ich im Bett und frage mich, wo er ist, was mit ihm geschehen ist, ob er...Nein. Ich darf so nicht denken. Immer fokussiert bleiben, Titan. Ihm geht es gut, er ist wohlauf. Natürlich ist er das. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Und doch bleibt der Wunsch, sie alle umzubringen.
Was ist nur aus mir geworden? Ich war nie ein böser Mensch, ganz im Gegenteil. Es ist schwer einen Kerl zu finden, der sich im Lauf seines Lebens weniger hat zu Schulden kommen lassen. Ich war immer der brave Junge, der Chancen verpasst hat, statt sie zu ergreifen, der nie etwas getan hat, was seine Eltern hätte sauer machen können. Und doch stehe ich jetzt hier und will Massenmord. Ich will Rache.

Würde sich meine Mutter für mich schämen, wenn sie mich jetzt sehen könnte? Würde sie mich überhaupt noch wiedererkennen? Ich erkenne mich ja selber nicht mehr. Ein unglaublich beschissenes Gefühl steigt in mir auf, das Gefühl die heiligste Person in meiner Welt enttäuscht zu haben.

Etwas perplex gehe ich ein paar Schritte zurück, ein Stich geht von meiner Wunde aus, meine Atmung beschleunigt sich, mir wird schwindlig. Ich hyperventiliere schon fast.
Es kommt mir so falsch vor, alles hier.
Es tut mir leid, dass ich so geworden bin.
Es tut mir leid Mama.

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt