50 ~ RD-207

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Langsam steigt der Dampf auf, die Scheibe des Spiegels beschlägt. Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Minutenlang starre ich schon in mein Spiegelbild. Ich komme mir selber vor, wie ein anderer Mensch. Woran liegt das? Ich habe mich rasiert, ich habe geduscht. Trotzdem, ich bin mir selber fremd geworden. Die kleinen Narben und die mittlerweile deutlich erkennbaren Furchen in meinem Gesicht, die mich sehr viel roher aussehen lassen, als ich eigentlich bin? Vielleicht.

Ich habe das Babyface verloren, für dass ich bis vor ein paar Wochen noch bekannt war. Ich bin jetzt vom Krieg gezeichnet, nicht mehr nur seelisch, auch körperlich holt mich das alles ein. Mein Bauch, meine Gelenke, mein ganzer Körper ist erschöpft. Der Stress und die Natur des Krieges nagen an mir wie ein unerbittliches und unersättliches Raubtier, dass mich Stück für Stück auffrisst, bis nur noch eine leere Hülle übrig ist.

Ich sehe diesen Prozess. Jeden Tag sieht man es mehr, tiefere Furchen, die ein oder andere Schramme mehr im Gesicht, die Schultern übersät von blauen Flecken. Woher sie kommen weiß ich immer noch nicht. Die Manöver im Jet? Der Absprung und der Fallschirm?  Was weiß ich.
Was ich sagen kann, ist, dass ich in keiner Weise mehr der selbe sein werde, sollte ich das überleben.

Und selbst daran habe ich immer mehr Zweifel. Dieser Überlebenskampf entwickelt sich immer mehr zum einseitigen Massaker. Wir verlieren. Nicht wir als Deutschland oder als Europa, nein, die Menschheit verliert. Getötet von Aliens, die wir nicht kennen. Die meisten haben ihre Mörder nicht einmal gesehen. All die Toten in den Städten. Jeder einzelne von ihnen wurde geschlachtet wie ein Tier.

Das ist kein Krieg, das ist eine Auslöschung. Und sie werden nicht aufhören, bis der letzte Mensch von diesem Planeten gestorben ist.

„Hey Titan." Die Tür zum Badezimmer schwingt auf und Jumper streckt den Kopf zur Tür herein, „Der Cyborg hat uns zu einer, nun ja, Sondersitzung einberufen. Komm ran hier."

„Bin unterwegs." Ich atme tief durch und stütze meine Hände an dem kalten, metallischen Waschbecken ab. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann drehe ich um und ziehe mich an.

„Weiß einer von euch, wer, wo und was RD-207 ist?" fragt Hera, als wir aus der Tür zu unserem Raum kommen. Sie muss dort schon gewartet haben, denn sie tigert auf dem Gang auf und ab. Wir verneinen.
Was soll das auch bitte sein. Eigentlich ist alles klar strukturiert. A sind die Ebenen, die dem Flugbetrieb dienen, also Hangar, Bereitschaftsräume, Tanklager, Waffenlager, etc.

B sind die normalen Lagerstätten, Unterkünfte für die Mannschaften und Crews für den Betrieb des Shatterdomes und C ist das Dungeon, dass fast ausschließlich für Meetings und Unterbringung von Wartungstechnikern genutzt wird.

„Klingt, als hätte der Laden hier mehr zu bieten, als das, was so auf den Lageplänen steht. War irgendwie zu erwarten." Crimson seufzt leise.

„Die Research Division 207 ist geheim." Wir drehen uns um, nur um zu sehen, wie Blackhole mit großen, dominanten Schritten den Gang lang auf uns zukommt.

„Und wo sollen wir dann hin?" frage ich immer noch verwirrt. Geheim klingt nicht nach etwas, was man sich besonders gerne anschauen würde. Klar, es ist spannend so, aber mal ehrlich, ich will nicht wissen, was da in den Tiefen dieses Berges in irgendwelchen Laboren gebaut und gemacht wird.

„Mir nach." Ohne langsamer zu werden marschiert Blackhole an uns vorbei. Jumper zuckt nur mit den Schultern, dann setzt er sich auch als letzter endlich in Bewegung.

Wohin er uns führt kann ich nicht mit letzter Gewissheit sagen, zu viele Abzweigungen, Tunnel und Fahrstühle haben wir schon genommen. Was ich weiß ist, dass unser Ziel in den Tiefen des Berges liegt, wahrscheinlich sogar noch unter Ebene C.

„Hier lang." Ohne langsamer zu werden biegt Blackhole plötzlich in einen unscheinbaren und dunklen Nebenflur ein. Es stinkt fürchterlich, abgestandene Luft, Öl und Rost. Es ist fürchterlich.

Und doch befindet sich am Ende des Ganges, nach mehreren Kurven und Treppen, eine erstaunlich moderne und gut in Schuss aussehende Tür.

Etwas ratlos bleiben wir stehen, warten kurz, dann öffnet sich das Tor zischend und gibt den Blick auf eine Art Kommandozentrale frei. Menschen in weißen Kitteln laufen umher. Ich kann nicht anders als mit geöffnetem Mund auf die Szenerie zu starren.
Das strahlende weiß, dass diese Halle umhüllt, steht in einem kaum zu übertreffenden Kontrast zu dem deprimierenden Grau im Rest der Anlage. Es ist so grell, dass sich meine Augen erstmal kurz an diese neue Umgebung gewöhnen müssen.

„Ach du Scheiße." murmelt Blaster, der mindestens genauso gefesselt sich im Raum umschaut. Überall klinisch saubere Tische mit unendlich vielen technischen Geräten, Schrott und ähnlichen undefinierbaren Metallteilen drauf. Blinkende Monitore, Arbeitsplatten, silbrige Eimer mit undefinierbaren Gegenständen darin. Die Szenerie ist überwältigend.

Im hinteren Teil verlaufen zwei riesige Rolltore. Das eine steht auf und gibt den Blick auf etwas frei, bei dem es sich ziemlich wahrscheinlich um einen Breacher handelt.
Scheiße, diese Teufelskerle schrauben an Alientechnologie herum. Im Rechten Teil des Raumes, der vielleicht ungefähr die Hälfte eines Fußballfeldes an Fläche hat, stehen ein paar Tanks mit trüber, brauner Flüssigkeit drin.

Lange Schläuche verlaufen von den Tanks zu der Decke. Und überall Leute, die aussehen wie der klassische verrückte Physiker, den man aus jedem 2. Actionfilm kennt.

„Das sind Leute von der ESA." erklärt Blackhole knapp und schlängelt sich dann zügig durch das Labyrinth aus Arbeitsecken, Metallarmen, die etwas durch die Gegend bewegen und Menschen. Wir stehen immer noch wie in Schockstarre da, können uns einfach nicht von dem Anblick lösen.

Als Blackholes pechschwarze Visors seines Helms sich zu uns umdrehen setzen wir uns dann doch lieber in Bewegung. Wenn ich eines gelernt habe, seitdem dieser Macker Chef der Staffel ist, dann, dass man sich ihn besser nicht zum Feind machen sollte. Blackhole ist ein verdammt harter Hund, und emotionslos und effizient wie kaum ein anderer.
Was für ein Glück, dass er auf unserer Seite ist. Der Gedanke kommt mir in letzter Zeit öfters.

Immer noch fasziniert umherschauend laufen wir unserem Chef hinterher. Kurz kommt mir das Bild einer Entenmama in den Kopf, hinter der ihre Küken brav hinterherwatscheln. Denn genau so fühlt sich das an.

Wir kommen an einer Aufklärungsdrohne des Feindes vorbei, die zur Hälfte aufgeschnitten wurde. Seltsame Kabelähnliche Strukturen ragen aus dem Inneren, ein seltsames gelber Stein oder sowas in der Art liegt daneben auf dem Tisch, an dem vier Leute gleichzeitig stehen. Das muss wohl die Quelle dieser Lichter sein, die diese Dinger ausstrahlen.

Auf einem anderen Tisch liegt zu meinem Erstaunen ein Teil einer Alienkanone. Egal wo man hinsieht, überall wird an der Technik des Feindes herumhantiert. Nur so können wir ihre Schwächen kennenlernen, indem wir sie studieren. Wenn es nur etwas gäbe, um ihre Schilde zu ficken. Was würde ich nur dafür geben...

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt