57 ~ Ich habe Angst

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In der Ausbildung sagten sie immer, es gäbe nichts schlimmeres als das Kämpfen.

Der Schweiß, der einem den Körper hinabläuft.

Die Sicht, die verschwimmt.

Die Angst, die in jeden Winkel deines Körpers dringt.

Der Stress, der dich handlungsunfähig macht.

Der Tod, der seinen Tribut fordert.

Alles eine Lüge.

Das schlimmste ist nicht das Kämpfen.
Das Schlimmste ist das Warten, das Nichtstun.

Das Gefühl, wenn einem nichts anderes bleibt, als dem Countdown beim Ticken zuzuschauen, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde.

Die Angst zerfrisst dich. Sie dringt in jeden Winkel, in jedes Herz. Sie umgibt dich, wohin man auch guckt. Sie ist immer da.

Und nie ist sie präsenter als jetzt, wo wir stillschweigend auf ein paar Stapeln metallischer Kisten in Hangarreihe 4 sitzen. Neben uns stehen aufgereiht die Flugzeuge im leisen Tiefschlaf der Stromlosigkeit. Das abgedunkelte Licht untermauert nur die Stille.

Es ist das erste Mal, dass ich hier an diesem Ort bin und nichts als unser leises Atmen höre. Gegenüber in der Hangerreihe laufen noch ein paar Warte herum und checken ein paar Bordmonitore, trotzdem ist es so schön still.

Und selten war die Angst größer, jetzt wo es still ist.

Stumm starre ich in meine Handfläche, wo die leicht angekratzte Armbanduhr langsam und regelmäßig tickt. Jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde.

Neben mir tut Jumper das selbe, Hera schaut nur verträumt in die Landschaft des kühlen Tunnels und Crimson? Der liegt platt auf den Kisten und starrt die Decke an. Es ist eine unglaublich deprimierende Szenerie.

Heute Abend ist diese komische Party, von der Jumper geredet hat. Ich habe mich gefragt, ob es Sinn macht, dort aufzukreuzen, hab mich dann aber dafür entschieden, weil ich wenigstens einmal vor meinem Ende mir nochmal so etwas wie Spaß gönnen will. Wenigstens für diese paar Stunden.

„Auf geht's Jungs." müde klatscht Hera in die Hände, was durch den ganzen Tunnel widerhallt.

Der Raum, in den wir eintreten ist lang, relativ breit und sieht im Gegensatz zu den restlichen Räumen des Dungeons sogar einigermaßen stilvoll aus.

Der Boden ist ausgelegt mit Parkettboden, die weiße Wand geht in einer fließenden Halbkreisform nahtlos in die Decke über. In der Mitte des Raumes ist am Rand ein alt anmutender Holztresen mit entsprechendem Barkeeper in Flecktarnuniform dahinter. Der Raum ist relativ geräumig und schon jetzt relativ voll. Soldaten aller Nationen sieht man hier.

Die Gruppe Französischer Jetpiloten an der Bar, die beiden Belgier im hinteren Teil des Raumes, ein paar Norweger, Polen und sogar der ein oder andere Amerikaner sind auch hier. Es ist ein heilloses Durcheinander an Menschen.

„Ich geh was bestellen, brauchst du was?" fragt Jumper, der sich schon der Bar zugewendet hat, an der der Barkeeper wie ein Roboter gefühlt 300 Getränke gleichzeitig mixt.

Ich nicke bloß, während ich mich in all dem Chaos versuche zurecht zu finden. Ich folge Jumper schließlich, der sich geschickt durch die Menge drängt.

Als ich endlich am Tresen ankomme, hält er mir schon ein Bier hin. Ich schüttele bloß lächelnd den Kopf.

„Auf unser baldiges Ende."

Wir stoßen an, so wie alle anderen hier auch.

Wir sind gerade dabei, mit Midnight und Kickback über Monster zu diskutieren, als mir plötzlich eine blonde Haarpracht in der Menge auffällt. Angel.

Sie sieht mich und ein unglaublich schönes Lächeln breitet sich auf ihrem blassen Gesicht aus. Als würde sie die Sterne sehen, die der Berg über uns vor uns verbirgt.

Ich löse mich aus der Gruppe und komme auf sie zu.

„Hey." sie sieht mich verschmitzt lächelnd an.

Lange sage ich einfach nichts, ihr Anblick allein bringt mich schon zum Lächeln. Sie hat eine kleine Schramme mehr als beim letzten Mal. Klein und rötlich zeichnet sie sich an ihrem Kinn ab.

„Was?" fragt sie gespielt beleidigt und kichert. Ihre tränenunterlaufenen, aber so schön glitzernden Augen schauen mich erwartungsvoll an. Auch, wenn sie nochmal ein Stück kleiner ist als ich.

Ich schüttele bloß grinsend den Kopf und wir müssen beide anfangen zu lachen. Kennt ihr das Gefühl einfach lachen zu müssen, wenn eine Person lacht? Genauso fühlt es sich an. Nicht, weil es lustig ist. Nein, weil es sich richtig anfühlt, mit dieser Person zusammen zu lachen. Es ist genau dieses Gefühl.

Wir stellen uns ein bisschen abseits in eine der vielen kleinen Nischen mit kleinen Tischen drin. Wir setzen uns und reden ein bisschen über Gott und die Welt. Und während um uns herum die Party erstaunlich wilde Züge annimmt für eine Abschiedsfeier vom Leben, sitzen wir da und es ist, als wäre all das nicht da.

Als wäre es still.
Als wäre keiner dieser Menschen hier.
Nur wir beide.

„Wie geht es dir?" fragt sie mich, während sie damit beschäftigt ist, ein Armband an ihrem dürren, rechten Arm zu richten. Eindringlich sieht sie mich an. Diese Frage war nicht oberflächlich, nein, sie war ernst gemeint. Und die Antwort, die sie erwartet, tiefgründig.

Ich seufze leise und diese wunderschöne Illusion, die diese Frau für diese wenigen Momente zwischen mich und das, was bald folgen wird, erschaffen hat, zerfällt zu Staub. Es kommt alles wieder.

„Ich habe Angst, Angel." Ich schaue sie mit leeren Augen an. Mir wird in letzter Zeit immer häufiger gesagt, dass mein Blick nur durch Leere und Traurigkeit gezeichnet ist, stimmt anscheinend.
Gibt ja auch recht wenig hier unten oder da draußen, was einem diese Fröhlichkeit wiedergeben könnte.

Sie atmet tief durch und greift dann nach meiner Hand, während ich mit der anderen den letzten Schluck aus dem Bierglas trinke.

„Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie sich das für dich und die anderen anfühlen muss." sie sieht mich mitleidig an und wirft auch den anderen einen schnellen Blick zu, die etwas abseits im Kreis zu irgendwas abfeiern. Nur Blackhole unterhält sich in der düstersten Ecke mit einem General oder so.

Das willst du auch nicht, Engel.

„Es ist schwer auszudrücken." Ich schlucke schwer und versuche vergeblich den Kloß in meinem Hals loszuwerden, der mir fast die Luft raubt, „Du bist hier am sichersten. Es ist der beste Ort für dich." bringe ich verschmitzt lächelnd hervor und versuche verzweifelt gegen die aufkommenden Tränen anzukämpfen.

Ich werde sie vielleicht nie wieder sehen.
Ich werde diese Frau wahrscheinlich nie wieder sehen.
Wenn ich dort draußen sterbe, was wird dann aus ihr?

Ich habe Angst.

Nicht vor meinem Tod.

Ich habe Angst, dass ich meinen Engel verliere.

89 Stunden bis zum Ende.

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt