43 ~ Liam

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Es plätschert. Der nächste Tropfen landet in der Pfütze neben mir. Das Plätschern hallt gespenstisch von den Wänden wider. Es ist dunkel, nur schemenhaft erkenne ich die Leute  um mich herum. Vielleicht 30-40 insgesamt. Ich hätte besser aufpassen sollen, dann wäre ich jetzt in der schönen gemütlichen Koje im Shatterdome und würde mir hier im Bunker nicht den Arsch abfrieren. Verdammt Titan, da sitzt du ja wieder in einer ganz schön beschissenen Situation.

Resigniert starre ich auf das handygroße Gerät in meiner Hand, dass in regelmäßigen Abständen rot aufblinkt. Ich kann nur warten, alles andere müssen die Jungs vom Shatterdome machen.

Neben mir regt sich die Person zu meiner Rechten. Ein Kind glaube ich. Schon die ganze Zeit spüre ich die Blicke des...ich glaube es ist ein Junge, auf mir.

Er räuspert sich, tatsächlich ein kleiner Junge. Der Stimme nach vielleicht 9 Jahre alt.

„Bist du wirklich Kampfpilot?" fragt er und die Unschuldigkeit in seiner Stimme lässt mein Herz schwer werden.

„Ja, Kleiner, das...das bin ich." Ich atme erneut resigniert aus.

„Hast du Aliens getötet?"

„Ja, das habe ich." mein Blick verharrt geradeaus in die Leere gerichtet.

„Du bist ein Held sagt meine Mama." Der Junge greift nach meinem Arm und schmiegt sich an meinen Fliegeranzug.

Ein wenig muss ich dann doch grinsen. „Ich bin kein Held. Ich tue das, was mein Job ist, Kleiner."

„Aber du beschützt uns hier."

„Hätte ich euch beschützt, würden wir hier jetzt nicht in einem Bunker sitzen müssen." Ich mache eine lange Pause, suche meine Worte sorgfältig, „Ich...Ich habe in meiner Aufgabe versagt, Kleiner. Ich habe euch nicht beschützt."

Lange schweigt der Junge.

„Ich...Ich hab mein bestes gegeben." Eine Welle der Reue überkommt mich, meine Stimme bricht. Wie aus dem nichts schießen mir Bilder von Menschen durch den Kopf, die gestorben sind. Die gestorben sind, weil ich sie nicht retten konnte. Weil ich nicht dort war, um mich dem Feind entgegenzustellen.

„Wie ist das so in einem Flugzeug?" Der Junge ignoriert meinen Satz.

„Es ist stressig, all die Knöpfe, die Geräusche, die Gegner, die dich beschießen..."

„Haben sie dich abgeschossen?" unterbricht er mich und ein besorgter Unterton schwingt in seiner Stimme mit, „Waren sie besser?"

Kurz bin ich mir unsicher, was ich dem kleinen Racker sagen soll. Die Wahrheit oder eine Geschichte, die ihn beruhigt? Kurz überlege ich, was Angel jetzt sagen würde. Verdammt, Titan, warum Angel?

„Sie...Ja, sie waren besser. Sie sind besser als wir." Ich drehe mich zu ihm um und schaue auf die schemenhaften Umrisse des kleinen Jungen runter, „Aber wir haben uns. Unsere Maschinen sind unterlegen, aber wir halten durch. Wir tun, was wir können, aber...Ich weiß nicht, ob es genug ist."

„Also bist du doch ein Held!"

„Wie gesagt, ich sehe mich nicht als Held. Ich bin nicht anders als jeder andere Pilot, der dort oben fliegt."

„Ich wollte schon immer in einem Cockpit sitzen und coole Manöver fliegen, Raketen ausweichen und so."

Der Arme. Naja, ich sollte leise sein, ich hatte genau so ein idealistisches Weltbild, als ich damals klein war.

„Glaub mir, das willst du nicht. Man stellt es sich so heroisch vor, wie in den Hollywood Filmen. So einfach und locker. Es ist nichts davon. Es ist genauso Sterben wie auf dem Boden. Nur, dass du dort oben wahrscheinlich nicht überlebst, wenn du getroffen wirst."

„Aber du hast überlebt."

„Ich hatte Glück, mehr nicht. Viele hatten nicht so viel Glück. Das ist leider die Realität. Menschen sterben dort draußen. Ob der Schuss dein Triebwerk trifft oder 20cm weiter hinten am Flugzeug vorbeifliegt, es ist pures Glück. Bis gestern schien die Glücksgöttin einigermaßen auf meiner Seite zu stehen."

„Hat es wehgetan? Als du getroffen wurdest?"

Lange sage ich nichts, was sollte ich dem kleinen denn auch sagen? Dass ich Todesangst hatte? Dass ich in meinem letzten Moment an eine Frau gedacht habe?

„Ich stand unter Schock, ich hab es gar nicht mehr richtig mitbekommen, wie ich ausgestiegen bin. Aber ja, es hat wehgetan." In welcher Form es wehgetan hatte auszusteigen, verschweige ich besser, sonst mache ich den Kleinen unglücklich. Er erwartet Heldengeschichten, das ist mir klar. Aber Krieg ist nun mal keine Heldengeschichte, sondern eine undefinierbare Masse an Lebensgeschichten, die eine nach der anderen, zerstört werden. In diesem Konstrukt werde ich auch nur ein weiterer Name auf einer Liste eines Generals sein. Mein ganzes Leben, meine Erinnerungen und Erfahrungen, zusammengesackt auf einen Namen auf einem Blatt Papier. Etwas unheroischeres kann ich mir nicht vorstellen.

Vorsicht lege ich meinen Arm um die Schulter des Jungen, ich höre, wie er leise atmet, spüre wie er zittert.

„Ich will hier weg." meint er leise, was mich erschaudern läst, „Wirst du uns mitnehmen, wenn du abgeholt wirst?"

Fuck. Was soll ich dem denn jetzt bitte sagen? Dass diese Leute wegen mir hier sind, nicht wegen Zivilisten? Dass wir selbstverständlich alle gerettet werden? Nein. Ich kann ihn nicht anlügen.

„Ich weiß nicht, ob genug Platz für jeden von euch ist. Es kommt darauf an, welchen Hubschrauber sie schicken."

Innerlich weiß ich natürlich, dass das Kommando höchstwahrscheinlich einen schnellen, kleinen Helikopter schicken wird. Einen H145M oder so, wo nur 9 Personen reinpassen, inklusive Door Gunner.
Die Chance, dass es ein Ch-53 oder gleich ein Chinook werden wird, ist mehr als überschaubar.

„Bitte nimm mich und Mama mit." Ein Flehen liegt in seiner unschuldigen Stimme und er fängt an meine Brust gelehnt an zu schluchzen, „Ich habe Angst."

Es bricht mir fast das Herz, so einen kleinen Kerl in so einem Zustand zu sehen. Sowas zieht mich genauso runter wie ihn.

„Ich auch, Kleiner, ich auch." Vorsichtig streichle ich über den Kopf des Jungen.

Kurz hält er inne. „Aber du bist ein Kampfpilot." Er schluckt schwer und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht.

„Ich bin auch nur ein Mensch. So wie du, Kleiner. Ich habe genauso Angst, ich habe genauso Freude, Spaß und Glück, und ich habe genauso ein Herz wie du hier drin." Ich tippe ihm auf seine Brust, „Aber im Gegensatz zu vielen, habe ich mich entschlossen, das Leben anderer über mein eigenes zu stellen. Wenn es drauf ankommt, bin ich derjenige, der das Geschoss abfängt, dass für euch Unschuldige bestimmt ist. Alles, damit ihr ein bisschen länger leben könnt. Und das jeden Tag, jedes Mal, wenn ich mich in dieses Flugzeug setze und in den Himmel aufsteige."

„Danke." Er umarmt mich, soweit es seine Arme um meinen Körper herum schaffen.

„Kein Problem, Kleiner." Kurz schweige ich, „Wie heißt du eigentlich?"

„Liam."

„Ich heiße Collin, aber du kannst mich Titan nennen."

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt