Six Strong

52 ~ Wieder zusammen

Alle schweigen, müssen erstmal verarbeiten, was dort drinnen geschehen ist. Was wir gesehen haben, hat uns alle ziemlich aufgewühlt denke ich. Dieser so markante Ausdruck von Fassungslosigkeit und Verständnislosigkeit für die Welt steht uns allen ins Gesicht geschrieben.

Das ist der Feind.
Die Leute, die uns umbringen wollen.

Ich seufze leise. Das macht einen mehr fertig als man denkt, so zum ersten Mal Aliens ins Gesicht zu schauen. Im Kampf sie abzuschießen ist was anderes. Man sieht sie nicht. Es sind „nur" Gegner. Es war immer so, als wäre hinter jedem Steuer ein Mensch. Aber jetzt? Jetzt hat der Feind ein Gesicht bekommen.

Wir sitzen deprimiert wieder im Gang, wo wir schon eben saßen. Der junge Wissenschaftler ist verschwunden. Wohin, wollte er nicht sagen. Seltsame Leute sind das hier. Der Laden wird von AZERAT geleitet, den selben Typen, die auch diesen Bunker im Wald beim Fliegerhorst unterhalten haben. Ihr Symbol ist mir erst vorhin aufgefallen. Jetzt, wo ich es weiß, findet man es überall.
Es ist ein seltsamer blauer Kreis auf weißem Hintergrund mit zwei roten Punkten drin.
Wer denkt sich so ein Logo aus?

Peinliche Stille.

Schritte nähern sich. Ich drehe mich um und noch bevor ich die Person sehe höre ich schon klar Stöckelschuhe raus. Und tatsächlich, eine Frau mittleren Alters mit Haaren so blond, dass sie schon fast die selbe Farbe annehmen, wie ihr weißer Kittel. Darunter trägt sie ein grünes, eng anliegendes Kleid. In der Hand hält sie eine Art Tablet oder so, gleichzeitig nimmt sie demonstrativ ihre überdimensionale Brille ab.

„Guten Abend, wenn Sie mir bitte folgen wollen." Sie bleibt vor uns stehen und mustert uns mit einem sehr schwer zu deutenden Blick. Könnte Arroganz sein, Anspannung, aber auch einfach nur ein neutraler Ausdruck von Gereiztheit.

Wir nicken zum Gruß. In einer ziemlich flotten 180 Grad Drehung macht sie wieder kehrt und stöckelt die Meter zurück, von denen sie gerade herkam.

Ich sehe kurz zu Jumper rüber, der bestaunt aber nur die durchaus ansehnlich verzierten Wände. Überall hängen Bilder von irgendwelchen Personen, Kampfjets und erschreckend viele Blumenbilder. Ich weiß, man würde nicht sagen, dass ein paar Bilder eine Mega Deko sind, aber für die Standards dieses Ortes kommt es mir vor wie ein Kunstmuseum.

Plötzlich bleibt die Frau wie aus dem Nichts stehen und fast renne ich in sie rein. Peinlich Titan, sehr sehr peinlich. Ich entschuldige mich schnell und versuche nicht, rot zu werden. Von hinten höre ich nur ein Glucksen, bei dem sich wahrscheinlich um Hera handelt.

Die Frau ignoriert das aber und fährt ungehindert fort: „Wir werden nun einen besonders abgeschirmten Bereich betreten. Ihr müsst jegliche elektronischen Geräte ablegen und euch Schutzanzüge anziehen. Da drinnen herrschen höchste Ansprüche an Bakterienfreiheit, wenn Sie verstehen."

Nein, wir verstehen nicht. Aber das tut auch nichts zur Sache, denn nacheinander trotten wir in eine Art Umkleide oder so. Mehrere Reihen Spinde ziehen sich den Raum entlang. Dazwischen stehen auf dem erstaunlich heruntergekommenen Fliesenboden jeweils eine Holzbank. Von diesen antibakteriellen Schutzmaßnahmen ist hier nicht allzu viel zu sehen.

„Beeilt euch, Geister." brummt Blackhole und schmeißt seine Uhr in eine Kiste, die die Frau uns hinhält. Widerwillig tun wir es ihm gleich. Nachdem wir auch aus unsere Stiefel für seltsame Plastikfolien-Schuhe umgetauscht haben und alle in weißen Ganzkörperanzügen aus dem selben Material stehen, öffnet die Frau eine Tür in der Ecke der Umkleide.

„Hier einmal durch bitte." Wir nicken bloß und gurken wie die größten Vollidioten durch einen scheinbar endlosen Tunnel, der auch gut aus einem Backrooms-Spiel hätte sein können. Weiße Wände, metallische Lüftungssysteme und ein grauer Fliesenboden verleihen diesem Ort keine geile Atmosphäre.

Aber am schlimmsten hat es Blackhole getroffen. Da er strengstens darauf bestanden hat, seine Fliegermontur inklusive Helm anzubehalten, hatte er keine Wahl und hat jetzt eine riesige Mülltüten-ähnliche Kopfbedeckung über dem Helm. Obwohl man sein Gesicht nicht sehen kann, sieht man, dass er ziemlich angefressen ist. Müllmann Blackhole wird sich wohl als Meme etablieren, dafür werden Jumper und Blaster sorgen.

Nach bestimmt 100 Metern Tunnel kommen wir vor einer schweren Stahltür mit Bullauge an. Hinter der Tür ist eine Kammer oder so etwas mit einer anderen Stahltür auf der anderen Seite. Es passen höchstens zwei Leute gleichzeitig da rein.

„Das ist dann wohl die Desinfektion." murmelt Hera angespannt und geht als erste rein. WUSCH. Für einen kurzen Augenblick verschwindet Hera in einem Nebel aus Desinfektionsmittel. Sie nickt uns zu und geht dann durch die andere Seite wieder raus.

„Titan, rein mit dir." pfeift mich Papa Crimson los.
Ich stelle mich rein, lasse mir Tonnen Desinfektionsmittel in die Fresse ballern und gehe dann zu Hera durch die Tür auf die andere Seite.

Meine Güte. Ich staune nicht schlecht. AZERAT hat mit diesem Laden wirklich „gekocht" wie Blaster sagen würde. Eine Halle so groß wie ein Fußballfeld erstreckt sich vor uns. Bis unter die Decke gefüllt mit Alienpanzern, Waffen, Anzügen und sogar einem fucking RIESENLASER eines verdammten Harvesters. Woher die so ein Teil bitte her haben, frage ich besser nicht. Hier unten wuseln Hunderte Leute umher, alle in die selben generischen Schutzanzüge gehüllt. An einem Kran an der Decke über uns wird gerade ein fucking Banshee vorbeigefahren.

Der technikliebenden Hera läuft schon das Wasser aus dem Mund, so sehr starrt sie die Geräte an.
Es sieht btw verdammt lustig aus.

„Sag mal, ist die geistig überfordert?" fragt Blaster, der jetzt neben uns steht und Hera misstrauisch beäugt. Ich zucke bloß mit den Schultern, muss aber dann doch grinsen. Egal, wie tief die Stimmung sinkt, meine Kameraden, nein, meine Freunde werden es immer schaffen, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Mittlerweile stehen alle vollzählig neben mir, immer noch schauen wir uns stumm staunend um. Schritte nähern sich von der Seite. Noch bevor ich mich umdrehen kann, beginnt der Neuankömmling. „Mein Name ist Dr. Peter -zensiert-, ich bin bei der ESA und verantwortlich für diese Operation."

Ich erfriere in der Bewegung, meine Augen weiten sich. Nein, das kann doch nicht sein?! Wie? Wann? Warum? Zu viele Fragen schießen mir durch den Kopf.

Aber eins steht fest.

Da steht er. Dort steht mein Vater.