37 ~ Telegraphen

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Mit noch triefenden Haaren und mit der Laune eines getretenen Hundes zwänge ich mich in die Fliegerkombi. Trotz der Dusche heftet die unverkennbare Geruchswelt aus Schweiß und Anti-G Bekleidung an mir. Ich gebs langsam auf da hinterherzuduschen. Ist nach zwei Stunden eh wieder zunichte, wenn der nächste Einsatzbefehl kommt.

„He Chef!" gröhlt Jumper von seinem Bett aus zu mir rüber und fuchtelt mit einem Leitfaden für militärische Fliegerei des 2. Weltkrieges in der Luft herum.

Gemächlich schlurfe ich hinüber und werfe einen Blick in den alten Schinken. Kurz halte ich inne, dann schaue ich nur den Kopf bewegend zu Jumper, dann wieder auf das Bild, dann langsam wieder zu ihm.

Erwartungsvoll und gut gelaunt schaut er mich an.

„Warum ist da einen nackte Frau in deinem Schmöker?" frage ich absichtlich künstlich glücklich.

Sein Blick wechselt zwischen der Abbildung einer unbekleidet auf dem Rumpf eines B-17 Bombers posierenden Frau und mir. „Tja, sag du es mir."

Ich seufze und wende mich zum gehen. Warum wundere ich mich bei dem Kerl eigentlich noch? Kopfschüttelnd gehe ich auf den Gang hinaus und schlurfe so entspannt, wie man in diesen Zeiten nur sein kann, in Richtung Fresssaal. Kantine will ich den Laden nicht mehr nennen. Mit einem leisen Zischen gleitet die Tür zum Fresssaal auf, es herrscht nur magerer Betrieb. Der fade Grauton, der hier alles andere dominiert, schlägt mit der Zeit genauso aufs Gemüt wie die immer gleichbleibenden Essensangebote. Nur, dass die Portionen kleiner werden.

Routiniert greife ich mir ein Tablett, schaufle ein paar essbar anmutende Dinge drauf und verziehe mich in die hinterste Ecke des Raumes. Ich will einfach nur meine Ruhe. Der Ganze Tumult, die Einsätze, der Lärm hier, das geht alles mit der Zeit aufs Gemüt.

Ich breite meine Sachen auf einem der Ecktische in der Ecke aus und schnaufe entspannt durch. Endlich ein bisschen Entspannung und Ruh...

Mit einem lauten Krachen landet das Tablett einer gewissen jungen Frau direkt vor mir auf dem Tisch. Ich zucke hart zusammen.

Titan!" bringt sie mit Müh und Not, aber mit guter Laune raus. Angel sieht aus, als hätte man sie dreimal überfahren und danach zwei Jahre auf einen dauerhaften Drogentrip gesetzt. Tiefste Augenringe, blasse Haut, zerzaustes blondes Haar und die schief in ihr Gesicht hängende Flecktarnmütze geben das Bild einer ziemlich demotivierten und entkräfteten Frau wieder.

„Mensch Angel." Ich schaue zu ihr hoch, während ich möglichst schnell mein Essen vor einem weiteren Angriff durch Angels Tablett sichere, dass sie gerade wieder an sich genommen hat. Mit einem Ruck lässt sie sich auf die Bank gegenüber von mir fallen und schnaubt tief durch.

Lange sagt keiner was. Das wird mir dann doch irgendwann zu unangenehm also räuspere ich mich im verzweifelten Versuch ein Gespräch mit einer Frau zu beginnen, die gleich auf der Stelle einschläft.

„Äh, weißt du, was bei der Sache mit den Polen rausgekommen ist?"

Lustlos und demotiviert schaut sie von ihrem Essen hoch, in dem sie bis eben noch maximal lustlos herumgestochert hat. Krass, trotz ihrer ziemlich ramponierten Visage sieht sie immer noch irgendwie gut aus, es ist und bleibt halt einfach Angel.

„Ja, die haben..." sie greift sich einen Apfel und beißt rein, „Uns wertvolle Informationen über die Lage bei den Verbündeten gegeben." fährt sie mampfend fort.

„Und das wären?" frage ich und schaue sie eindringlich an. Sie erwidert bloß, schluckt den Apfel runter und ein leichtes Grinsen zeichnet sich auf ihren Lippen ab.

„Das ist geheim." verkündet sie provozierend lächelnd.

Ich zucke mit den Augenbrauen und erwidere ihren provozierenden und zugleich selbstzufriedenen Blick. „Mh, und du findest nicht, ein Pilot der ersten Frontlinie sollte wissen, was die Lage ist?"

„So ein hervorragender, talentierter und legendärer Pilot der ersten Liga sollte doch eigentlich kein Problem haben selbst zum Geschwader-HQ zu kommen und es vor Ort zu hören, statt hilflose und ausgelaugte Flugsicherheitsoffiziere darum anbetteln zu müssen." Sie muss kichern, das kann nichtmal sie mehr ernstnehmen.

Ich schüttele bloß grinsend den Kopf.

„Ne, wir kennen jetzt die Lage in den meisten anderen europäischen Ländern. Die Russen haben wohl eine seltsame Methode zum Kontern des Funk-Jammers, den diese Aliens hierhergebracht haben."

„Hm, klingt gut. Was ist diese Methode?" Ich schaue hoch. Russische Erfindungen sind in der Regel eher schlecht als Recht, aber nen kreativen Geist haben die Kerle da drüben bestimmt auch.

„Naja." Sie fängt an sehr breit zu grinsen, „Sie haben alte Telegraphenleitungen zwischen Moskau und Peking und anderen Städten wieder reaktiviert."

Ich starre sie für ein paar lange Sekunden mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und übermäßiger Belustigung an.

„Ernsthaft? Telegraphen?" Etwas geringschätzend starre ich sie an. Das kann sie doch nicht ernst meinen. Mit solchen dermaßen ANTIKEN Staubschachteln sollen wir also den globalen Gegenangriff koordinieren?? Mich beschleicht irgendwie das ungute Gefühl da in eine ganz miese Sache reingerutscht zu sein. Obwohl, sitze ich nicht schon eh halstief in der Scheiße?

„Es ist das beste, was wir haben." Sie zuckt mit den Schultern.

„Und was haben die anderen Länder so gesagt?" frage ich immer noch irritiert und schiebe mir eine weitere Ladung der ranzigen Bratkartoffeln in den Mund. Letzte Woche waren sie wenigstens noch warm, stelle ich grimmig fest.

Ernüchternd schaut mich Angel an und seufzt dann leise. „Ich bin Flugkontrolloffizierin, kein Mitglied des Führungsstabes des Geschwaders geschweige denn dem Laden hier. Wenn du diese Informationen haben willst, musst du schon zu Raven oder gleich zum Chef. Da kann ich dir nicht helfen." Sie stützt ihren Kopf in ihren Händen ab.

Lange mustere ich die Frau vor mir. Die zwei Jahre, die ich sie jetzt schon kenne, war sie wahrscheinlich noch nie so abgewrackt. Jedenfalls kommt es mir so vor. Und trotzdem strahlt sie irgendwie immer noch diese positive Aura aus, für die sie im Geschwader so bekannt ist. In Zeiten wie diesen sind Menschen wie sie Goldwert. Sie halten die Moral aufrecht, was angesichts der Aliens, die uns da draußen zu Brei schießen, doch ne verdammt wichtige Sache ist.

„Gibt es jetzt Nachrichten von anderen Ländern?" frage ich, während ich nach einiger Zeit schließlich mein Besteck beiseite lege.

„Was von den Israelis, die haben wohl noch ordentlich an Geräten retten können. Wie der Status da ist, keine Ahnung. Irgendeiner meinte auch, dass sich die Finnen gemeldet hätten. Wie gesagt, du musst zum Boss, wenn du was genaues hören willst." Sie lässt ihren Kopf endgültig auf den Tisch sinken.

Ich muss schmunzeln, dann klopfe ich ihr auf die Schulter und stehe auf.

„Ach und Titan." meldet sie sich nochmal, ohne hochzuschauen, „Irgendein General der US Air Force kommt morgen Abend vorbei. Vielleicht hat der ja was zu sagen."

Ich nicke bloß, bedanke mich, sage ihr noch im Verschwinden, dass sie sich mal hinlegen sollte, dann mache ich mich selber auch auf den Weg, um mich auszuruhen. Der nächste Einsatz wird früher oder später kommen, und wenn es soweit ist, muss ich voll einsatzbereit sein.

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt