53 ~ Das Feuer der Hoffnung

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Ich bin wie gelähmt.
Wie in Zeitlupe drehe ich mich um. Und tatsächlich, da steht er. Er sieht genau so aus, wie an jenem Tag, als ich ihn das letzte Mal sah. Er sieht müde und erschöpft aus, aber mein Vater ist gesund. Er lebt. Das ist die Hauptsache.

Und während ich immer noch perplex versuche, zu begreifen, was hier passiert, umarmt er mich schon. Tief vergrabe ich mein Gesicht in seiner Schulter.

„Hey, Collin." haucht er, und eine erste Träne kullert meine Wange hinab. Immer fester drücke ich ihn.

„Ich hatte solche Angst um dich, Dad."

„Mir ging es genauso. Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn du gestorben wärst." Wir lösen uns aus der Umarmung, aber seine Arme lasse ich noch nicht los.

„Ich lebe, das ist alles, was zählt." Immer noch überwältigt mich der Orkan aus Emotionen in meinem Inneren und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich lachen oder weinen sollte.

Erst jetzt fällt sein Blick auf den Bauchverband, der durch den durchsichtigen Anzug leicht zu sehen ist. „Bist du verletzt? Geht es dir gut?" fragt er besorgt und mustert mich mit sorgenvoller Miene.

„Ich hatte eine etwas ungünstige Situation, wo mein Flugzeug direkt neben mir explodiert ist und ein paar Splitter mich getroffen haben. Aber alles gut, ehrlich." Ich zucke schief grinsend mit den Schultern.

„Um Himmels Willen." Eine Zeit lang starrt er mich einfach nur besorgt an, er kann nicht mal ein Wort hervorbringen. Oh mein Gott, dieser Anblick bricht mir verdammt nochmal das Herz.

„Hey, es ist alles okay, Papa." Nochmal nehme ich ihn in den Arm. Dieses Mal bin nicht nur ich es, der Tränen vergießt.

„Ich-." seine Stimme bricht, er zittert, „Ich hätte dich niemals in dieses Cockpit lassen sollen. Es tut mir so leid."

„Du hättest mich eh nicht aufhalten können." Hauche sich so leise, dass nur er es hört, „Mach dir keine Vorwürfe."

„Das sagt sich so einfach, wenn man keine Kinder hat." erwidert er immer noch mit zitternder Stimme und wischt sich eine Träne von der Wange, „Du wirst es verstehen, sobald du mal ein Kind hast, dass in den Krieg zieht."

Ich halte inne und eine tiefgreifende und unglaublich widerliche Ernüchterung setzt ein. Er hat Recht. Nur bezweifle ich immer mehr, dass ich jemals ein Kind in meinen Armen halten werde. Dass ich je eine Familie haben werde. Und langsam sogar, dass ich überhaupt jemals das Gefühl erfahren werde, von einer Frau geliebt zu werden.

Immer noch mit zitternden Händen lösen wir uns wieder aus der Umarmung. Ich wische eine letzte Träne aus dem Gesicht, dann drehe ich mich wieder meiner Staffel zu, die mich mit sehr unterschiedlichen Gesichtsausdrücken anstarrt. Hera ist selber augenscheinlich fast zu Tränen gerührt, Blaster und Jumper Grinsen bloß, während Crimson und Blackhole mich nur anstarren, als wäre ich ein hässlicher, klobiger Stein.

Mein Vater räuspert sich und begrüßt uns förmlich. Anschließend erhalten wir eine Führung durch diesen Techniktempel. Von Schildgeneratoren und zu meinem Erstaunen sehr echten Plasmawaffen der Alien-Bodentruppen bis hin zu einem riesigen Banshee, der zwischen zwei Klammern eingeklemmt ist. Alles ist dabei.

Ehrfürchtig streiche ich über die schimmernde, metallische Oberfläche des Alien-Jägers. Von nahem sehen diese Dinger sehr viel furchiger aus, als von weitem. Nicht, dass man allzu viel Zeit im Luftkampf hat, um die Ästhetik des Feindes in Augenschein zu nehmen, aber ihr versteht denke ich mal, was ich sagen will.

Fast Handtiefe Rillen ziehen sich über den gesamten kreisförmigen Rumpf, der sich zum Zentrum hin immer weiter aufbäumt und schließlich eine Erhebung mit einer einmal 360 Grad verlaufenden schimmernden Schicht bildet. Dabei handelt es sich anscheinend um so eine Art Fenster. Auch, wenn es eher nach diesem Flimmereffekt aussieht, den man von heißen Tagen kennt. Das Cockpit schätze ich mal.

Die anderen tun es mir gleich. Alle begutachten das Ding, dass uns allen schon so viel Ärger beschert hat.

„Hey Titan!" zischt Jumper plötzlich von der Seite und deutet staunend auf einen schwarzen Schlund, der in der Äquatorialebene des Gefährtes eingelassen ist, eine der Kanonen.

Ich schlucke, während ich tief in das dunkle Nichts starre. Irgendwie gruselig so in eine Alienkanone reinzustarren.

„Geh mal zur Seite." murmelt Jumper leise, weil hier strenge Auflagen zur Geräuschkontrolle herrschen. Ich mache Platz und sehe grinsend zu, wie er die Taschenlampe vom Gürtel nimmt und in den Schlund leuchtet. Ein unglaubliches Gewirr an Kabelählichen Leitungen, grün leuchtenden Röhren und undefinierbaren Metallteilen leuchten uns entgegen. Und in der Mitte des Ganzen eine vielleicht faustgroße grün-leuchtende, kreisrunde Fläche.

„Da kommt der Segen wohl raus." murmelt Crimson plötzlich in Gedanken vertieft von hinten, was uns beide zusammenfahren lässt.

„Fieses Teil." brummt Hera bissig, als auch sie sich zu uns gesellt.

„Hätte uns schon mehr als oft fast den Arsch weggepustet." stimmt Blaster geistesabwesend zu.

„Kommt." brummt der Chef von hinten und pfeift uns, seine kleinen Schützlinge, wieder zurück an die kurze Leine. Blackhole wartet einige Meter abseits, wo er sich anscheinend mit meinem Vater unterhalten hat. Oder jedenfalls so weit kommuniziert hat, dass man es als Gespräch bezeichnen könnte. Sonderlich gesprächig ist der gute Blackhole ja nicht.

Ich schenke meinem Vater ein Lächeln, was er glücklich erwidert. Er ist gesund, und er ist am Leben. Jetzt, in diesem Moment sind wir die glücklichsten Menschen auf dieser Welt. In all der Scheiße flammt ein Funke auf. Ein Funke, der ein Feuer entfachen kann. Und es gibt nichts, was dieses Feuer der Hoffnung löschen kann.

Meine selbstgesponnene Illusion zerfällt nur Augenblicke später, als an den SmartWatch-ähnlichen Geräten an den Handgelenken meiner Staffel die so markanten Piepgeräusche angehen.

Das Feuer der Hoffnung hat einen riesigen Strahl Realität abbekommen. Es ist erloschen. Und mein Glücksgefühl mit ihm. Das ist es, was uns die Hoffnung nehmen kann. Der Krieg, den ich bis eben so doll ausgeblendet habe, wie kaum sonst seit jenem Tag. Ich war glücklich, wirklich glücklich.
Und jetzt haben sie es mir genommen.
Schon wieder.

Six StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt