(zeitgleich mit Kapitel 1)
Rosa ging schon zum dritten Mal die Fläschchen mit den unterschiedlichen Tinkturen und Heilkräutern durch, um sich von ihrer inneren Nervosität abzulenken.
Ihr Blick schwenkte immer wieder zum Eingang der Heiler-Hütte, aber sie konnte keinen brünetten Lockenschopf ausmachen und auch kein vertrautes grau-braunes Fell.
Energisch stellte sie eines der Fläschen zurück und zog sofort zischend ihre Hand zurück, als dieses in tausend kleine Einzelheiten zerbrach. Sie steckte sich ihren blutenden Finger, mit dem sie sich an einer Scherbe geschnitten hatte, in den Mund und leckte die metallisch schmeckende Flüssigkeit weg.
Dann lief sie entnervt zum Eingang und spähte heraus.
"Suchst du Aarling?"
Erschrocken blickte Rosa in die Richtung aus der die Frage kam und erkannte Ever Hunt, die es sich auf der Lichtung gemütlich gemacht hatte, um die wenigen Sonnenstrahlen zu genießen, die sich durch das Blätterdach kämpften. Sie hielt sich ihren dicken, runden Bauch und lächelte versonnen.
"Ja. Er wollte-" Sie stockte, schüttelte rasch den Kopf und ersparte sich die Schmach, der Schwangeren von der Peinlichkeit zu erzählen, von dem jungen Jäger versetzt worden zu sein.
"Er ist vor zehn Minuten zum Jagen aufgebrochen.", erklärte Ever mit einem sanften Lächeln, ohne auf ihr plötzliches Schweigen eingegangen zu sein.
Wut und Enttäuschung kämpften um den Vormarsch in ihren Inneren, während sie dankend nickte und sich wieder in ihre Hütte zurückzog.
Einen kurzen Augenblick lang hatte sich eine irrwitzige Hoffnung in ihr ausgebreitet, dass Fang womöglich vor ihrem geplanten Treffen etwas für sie hatte Erlegen wollen. Aber sie hatte den Spross Hoffnung sofort im Keim erstickt.
Wenn Fang Aarling für sie auf die Jagd hätte gehen wollen, hätte er dies schon längst getan.
Rosa hatte geglaubt, dass seine plötzlich häufigeren Besuche in ihrer Hütte etwas zu bedeuten gehabt haben. Sie hatte den Jäger schon immer attraktiv gefunden. Und als sie vor einigen Tagen entschlossen genug war, um ihm Geschenke in Form von eigens hergestellten Tinkturen zukommen zu lassen und sie diese an ihm hatte wittern können, war sie so ekstatisch gewesen, dass sie all ihren Mut zusammengenommen hatte und ihn gefragt hatte, ob er sich heute mit ihr verabreden wollen würde.
Sie hatte es nicht glauben können, als der Brünette ihrem Treffen zugesagt hatte. Also hatte sie auch niemandem davon erzählt und sich still und heimlich über die von ihr erträumte, aufblühende Liebe gefreut.
Rosa Chadur war eine Idiotin gewesen. Der Schmerz dieser Abfuhr saß tief.
"Danke dir, Ever.", sie versuchte sich an einem kleinen, zittrigen Lächeln und lief zurück in ihre Hütte, wo sie in einem plötzlich kindischen Anfall der Wut gepackt wurde und ein Fläschen Leinsamen-Öl gegen die Wand donnerte.
Das Fläschchen zerbarst in tausend Scherben, die sich unter die vorherigen mischten und das Öl hinterließ einen hässlichen Fettfleck an der Wand, den sie mit ihrem Finger verschmierte. Ein Gefühl von Zufriedenheit huschte durch ihren Körper beim Anblick der Zerstörung, die sie verursacht hatte.
Wie hatte sie nur so dumm sein können und glauben, dass Fang Aarling jemals etwas über das Wohl seines Rudels stellen würde.
Rosa warf einen weiteren Blick auf den frischen Fleck an der Wand und plötzlich packte sie die Scham. Von ihrem kleinen Ausbruch angewidert, wich sie einige Schritte zurück und verwandelte sich im Handumdrehen in einen Wolf, um der Szenerie zu entfliehen.

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KAYA
LobisomemNach einer überraschenden Beförderung ist Kaya einer heißen Spur auf den Versen, die das Potenzial hat, ihre gesamte Weltsicht einzureißen. Fang glaubt an die Prophezeiung, die ihm Hilfe für sein Rudel verspricht und verlässt das erste Mal den sich...