Kaya hatte das kleine Familientreffen mit Rührung in den Augen betrachtet und das gemeinsame Abendessen am Tisch von Fangs Schwester regelrecht genossen. Seine Schwester schien eine quirlige und nette junge Frau zu sein und seine Nichten fand sie zum Fressen putzig.
Fang hatte sie während dem Abendessen immer wieder dabei beobachtet, wie sie einen Bissen nach dem anderen gegessen hatte. Und wo ihr seine Aufmerksamkeit am Anfang unangenehm gewesen war, musste sie im Laufe des Abends feststellen, dass er seine Schwester und Nichten mit dem gleichen aufmerksamen Blick, getränkt von Sorge bedacht hatte. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass das Rudel an Hunger litt und die Vorräte knapp geworden waren. Die beiden Welpen waren nur ein Bruchteil der Größe gewesen, die sie für ihr Alter eigentlich gehabt haben sollten und auch Rosa und Zena hatte man die eintretende Schwäche ansehen können.
Sie hatte sich beim Anblick des Essens, dass ihnen aufgetischt worden war, zuerst ein wenig unwohl gefühlt. Kaya wollte niemandem das dringend benötigte Essen wegessen. Aber Zena hatte ihre Unsicherheit gleich bemerkt und darauf bestanden, dass sie zuschlug. Also hatte sie aus reiner Höflichkeit die Speisen verputzt, die ihr gebracht worden waren. Und Zena war eine fantastische Köchin.
Fang hatte das Gespräch mit Timea nicht mehr angesprochen und irgendetwas gab ihr das Gefühl, dass er dem Gespräch und den Implikationen, die das Gespräch mit sich gebracht hatten, noch eine Weile aus dem Weg gehen wollte. Also hatte sie es auch nicht angesprochen und hatte sich stattdessen auf den Weg zu dem kleinen See gemacht, den Fang ihr bei der Tour durch das Rudel gezeigt hatte. Fang war zurückgeblieben, um noch einige Angelegenheiten zu regeln, hatte ihr aber versichert, dass sie sicher war und niemand sie hier angreifen würde. Ihre Ankunft musste sich im Rudel bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben.
Der See war etwas abgelegen von der Lichtung und sie hatte peinlich berührt an einem Baum gewartet, bis die letzten Wolfs-Gestaltswandler, die sich noch am See getummelt hatten, verschwunden waren, bevor sie sich rasend schnell ausgezogen hatte und im kühlen Nass abgetaucht war.
Das Wasser war weitaus wärmer, als es zu dieser Jahreszeit sein sollte und sie fragte sich unwillkürlich, ob ein weiterer Zauber dahinter lag. Aber gleichzeitig war sie auch einfach nur dankbar. Denn jetzt wo sie alleine war, hatte sie Zeit zum Nachdenken über das, was sie gehört hatte. Selene.Sie wusch völlig gedankenversunken ihre Haare, löste den übrigen Dreck darin, der sich durch ihren kleinen Sturz im Wald heute Morgen darin verfangen hatte und fuhr dann andächtig mit den Finger über die im Mondlicht glitzernde Wasseroberfläche. Das Wasser war so klar, dass man am Tag bis zum Grund schauen können musste. Aber so, mit nur dem Mond und den Sternen beleuchtet, bot das Wasser einen gewissen Sichtschutz, der vor neugierigen Blicken schützte.
Kaya ließ das Wasser mit einem selbstvergessenen Lächeln über ihre blassen Arme laufen, als sie ein Rascheln im Gebüsch hinter ihr wahrnahm und erschrocken innehielt. Sie war nicht alleine. Ihre Augen wanderten hektisch an den Rand des Sees und blieben an einer hochgewachsenen Gestalt hängen, die sie reglos zu beobachten schien.
Die Hitze stieg ihr in den Nacken, als die Gestalt nähertrat und sie die rabenschwarzen Augen und das markante Gesicht erkannte, dass sie einer neugierigen Musterung unterwarf. Fang.
In einem Anflug von Scham, verschränkte sie ihre bleichen Arme vor der Brust und sank etwas tiefer in den warmen See. Fangs Lippen zuckten bei der kleinen Bewegung amüsiert nach oben, als er am Rand des Sees zu stehen kam.
„Wie lange bist du schon hier?",
brachte sie hervor und musterte seine lockere und entspannte Haltung, als er sich am Rande des Sees auf den Boden niederließ - die Augen immer noch auf sie gerichtet und ein schalkhaftes Funkeln darin, das ihr nichts Gutes verriet. Ein Blick in seine Hand verriet ihr, dass er Handtücher mitgebracht hatte. Und verdammt. Bei ihrem plötzlichen Aufbruch zum See hatte sie diese total vergessen gehabt. Er musste es bemerkt haben und sich dazu entschieden haben, sie ihr nach zu tragen.

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KAYA
WeerwolfNach einer überraschenden Beförderung ist Kaya einer heißen Spur auf den Versen, die das Potenzial hat, ihre gesamte Weltsicht einzureißen. Fang glaubt an die Prophezeiung, die ihm Hilfe für sein Rudel verspricht und verlässt das erste Mal den sich...