Kapitel 11 - Fang

35 5 7
                                        

Der vom Regen feuchte Waldboden, samt zahlreichen kleinen Steinchen und Kiefernnadeln, drückte sich gegen Fangs nackte Fußsohlen, während er so leise wie ihm es nur möglich war hinter Kayas Gestalt her schlich. Seine Schuhe, an die er sich in der geraumen Zeit unter den Menschen immer mehr gewöhnt hatte, hatte er am Waldrand in einem dichten Gebüsch versteckt. Das Knirschen der Sohlen auf dem Laub wäre zu laut gewesen und hätte sofort Kayas Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt.

Auf dem Rücken trug er, allzeit bereit, einen kleinen Rucksack mit Wechselkleidung und einer bereits leicht braunen Banane.  Er zwang sich zu einer völligen inneren Ruhe. Ein Schritt vor den nächsten. Seine Haltung geduckt, aber sprungbereit.

Innerlich verfluchte er Maeve, dass ausgerechnet er heute mit dem Wachdienst dran war, während sie auf dem Weg zurück zum Rudel war, um die neuesten Angelegenheiten zu klären. Maeve war Zuhause und er steckte hier fest, bei der Beschattung der Forscherin, die für sie alle so wichtig war. Und auch der Forscherin, die dem Geheimnis seiner Art so nah auf den Schlichen war, dass sich sein Magen bei dem bloßen Gedanken daran gefährlich überschlug. Besagte Forscherin ging gerade einige Meter vor ihm in die Hocke und zog einen durchsichtigen Plastikbeutel aus ihrer dunkelgrünen Jacke, bevor sie mit ihrer behandschuhten Hand nach etwas auf dem Waldboden griff und es in die Tüte fallen ließ, dass verdächtig nach Kot aussah.

Fang rümpfte die Nase und blieb wie angefroren stehen, um jetzt nicht doch noch Kayas Aufmerksamkeit zu wecken. Für einen Menschen hatte die junge Frau eine wahnsinnig gut trainierte Aufmerksamkeit, die ihr in diesem ihr fremden Lebensraum das Leben retten könnte. Ihre Schritte waren leise aber zielsicher und ihr Blick schwenkte bei jedem noch so kleinem Geräusch wachsam über jeden Zoll Wald, der vor ihr lag. Das war auch der Grund wieso Fang ihr nicht in seiner Wolfsgestalt hinterher schlich. Das Risiko, dass sie sich plötzlich von einem kleinen Geräusch wie einem knackenden Ast erschrak und einen ausgewachsenen Wolf hinter ihr wieder fand, wollte er nicht eingehen.

Auch wenn er den zusätzlich erhöhten Gehör- und Geruchssinn seiner Wolfsgestalt vermisste und sein ganzer Körper sich danach sehnte, seiner vertrauten Form beizuwohnen. Seine Pfoten waren den rauen Waldboden gewohnt. Die kahlen Menschenfüße jedoch, auf die er mit entnervter Miene starrte, als er sich auf die Zunge beißen musste, nachdem er auf einen besonders spitzen Kieselstein gestoßen war? Er war sich sicher, dass diese Füße seine eigens konzipierte Hölle darstellten.

Kaya drehte sich just in diesem Augenblick um, als hätte sie eine Schwingung aus seiner Richtung wahrgenommen und Fang konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter ein dichtes Gebüsch ducken, um ihren großen braunen Augen zu entgehen.

Durch ein kleines Schlupfloch zwischen den Blättern konnte er ihre schlanke Gestalt ausmachen, wie sie sich im Kreis drehte. Die perfekt geschwungenen Augenbrauen irritiert zusammengezogen und die Hand fest um die Plastiktüte geballt, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Ein dicker Wollschal schmiegte sich an ihren eleganten Hals und ihre Wangen waren von der Kälte leicht rosig.

Fang hatte sie seit einigen Tagen nur aus der Ferne beobachtet und sein Herz zog sich schmerzlich zusammen bei dem Gedanken daran, dass diese Frau, die sein Wolf so schnell für sich beansprucht hatte, ins Herz geschlossen hatte, eine Gefahr für ihn uns sein Rudel darstellen konnte.

Maeve musste die Gefahr dem Rudel glaubhaft vermitteln und zusammen mit den Rudel-Ältesten eine andere Lösung für ihr Problem finden. Das Risiko, dass Kaya darstellte, war derzeit größer als jedes Fünkchen Hoffnung, dass er in sie stecken konnte.
Und verdammt. Sie wusste, dass sie verfolgt wurde. Er musste vorsichtiger sein.

Oder sich ihr offenbaren und sie so ablenken, dass sie ihren kleinen Forschungsausflug für heute abhakte.
Das war vermutlich sogar die schlauere Lösung. Er konnte vorgeben, hier spazieren gewesen und ihr zufällig über den Weg gelaufen zu sein. Fang würde seinen Charme spielen lassen, von dem er von den wenigen Malen, in denen er Kaya gesehen hatte, wusste, dass sie nicht ganz immun dagegen war. Er konnte diese Schwäche zum Schutze seines Rudels zu seinem Vorteil machen. Auch wenn er sich selbst und seine Ehre dafür verachten würde.

KAYAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt