Gerade sitze ich an meinem Schreibtisch und trinke meinen dritten Kaffee. Auch heute war ich vor sechs Uhr hier, weil ich nicht mehr schlafen konnte. Sven ist mittlerweile auch eingetroffen und mustert mich mit diesem besorgtem Blick, den ich die ganze Woche schon gesehen habe. Er ist es nicht gewohnt, dass es mir so lange so schlecht geht. Das bin ich ja selbst nicht. Ich weiß ja selbst nicht, wieso es mich so mitnimmt. Nach einem kurzem Gespräch mit Sven widme ich mich sofort wieder meinem Computer. Gegen 10 Uhr erreicht mich endlich die Mail. Die Mail von Sophia, auf die ich schon seit Montag warte. Ein flaues Gefühl bereitet sich in meinem Magen aus, als ich ihren Namen lese. Scheinbar hat sie sich Zeit gelassen. Ich öffne sie und schlucke den aufkommenden Klos hinunter. Fuck, wieso denn heute? Ich habe keine Lust auf das Gespräch.
Hallo Larissa,
Komm doch bitte gegen 11 Uhr zu mir ins Büro.
Danke!Meine Augen verengen sich zu Schlitzen und ich kann spüren, wie die altbekannte Wut in mir hochkocht. Der Stress der Woche hat sich aufgestaut und ich fühle mich am Rande meiner Kräfte. Diese Mail ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich gehe nochmal mit Sven rauchen, erzähle ihm von der Mail und marschiere um 11 Uhr zum Aufzug. Ohne zu Klopfen, öffne ich ihre Bürotüre und trete ein. Ihr Blick huscht erschrocken zu mir, als ich die Türe etwas lauter ins Schloss fallen lasse. „Ah Larissa, du bist es. Schön, dass du da bist.", sagt sie immer noch sichtlich überrascht und mustert mich. „Was gibts?", sage ich scharf und verschränke die Arme vor meiner Brust. Ich lasse mich auf einen der Stühle fallen und schaue sie erwartungsvoll an. Sophie faltet ihre grazilen Finger zusammen und fragt: „Wie geht es dir Larissa?" Ich ziehe die Luft ein und antworte zickig: „Ernsthaft? Was zum Teufel soll das? Du fragst, wie es mir geht? Nach allem, was du mir an den Kopf geworfen hast? Dass du mir gedroht hast? Plötzlich fragst du mich, wie es mir geht? Ernsthaft?" Sie blinzelt und versucht die richtigen Worte zu finden: „Ich habe gemerkt, dass du am Montag-„ „Dass ich am Montag was? Dass ich am Montag nicht geantwortet habe?", unterbreche ich sie sofort und füge hinzu: „Ja stell dir vor Sophia. Ich habe die ganze Woche jeden Tag über 9 Stunden gearbeitet. Natürlich geht es mir nicht gut. Plötzlich willst du dir Fürsorgliche spielen?"
Ihre Augen weiten sich, werden weich und sie scheint wirklich betroffen. „Es tut- es tut mir leid Larissa. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Mir ist aufgefallen, dass du viel gearbeitet hast und wollte einfach fragen, ob bei dir alles in Ordnung ist." Ich atme tief durch, um meine Wut zu zügeln. Dann antworte ich: „Weißt du Sophia, es ist schwer zu glauben, dass du auf einmal Mitgefühl hast, nachdem du mich so lange schlecht behandelt hast. Was ist nur los mit dir? Ich habe dir nie etwas getan." Sie sieht mich schweigend an und für einen Moment glaube ich, echte Reue in ihren Augen zu sehen. Sie seufzt und murmelt: „Larissa. Ich weiß, dass ich dir gegenüber wirklich oft unfair war. Ich versuche das zu ändern und es tut mir wirklich leid. Ich habe mir einfach Sorgen gemacht, nachdem du am Montag nicht ansprechbar warst und ich daraufhin deine Überstunden gesehen habe." Ich schnaube und antworte gereizt: „Versuchen, zu ändern? Wollen wir doch mal ehrlich sein Sophia. Du hasst mich seit dem Abend in der Bar, als ich dich mit deinen Drogen erwischt habe. Erinnerst du dich? Du hast mir gedroht, meine restliche Zeit der Ausbildung zur Hölle zu machen, wenn ich es jemanden erzähle. Erzähl mir nichts von Besorgnis." Sofort wird sie blass und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Larissa, dass-" Auch jetzt lasse ich sie nicht zu Wort kommen und meine kalt: „Ja das. Es ist schwer zu glauben, dass du dich geändert hast, nachdem du mir mit so etwas derartigem gedroht hast."
Sophia senkt ihren Blick, ihre Stimme ist kaum ein flüstern: „Ich wusste nicht, wie ich mit dir umgehen soll. Du warst eine Gefahr für mich, weil du etwas gesehen hast, was du niemals hättest sehen dürfen. Ich habe mich falsch verhalten und das tut mir leid. Ich will wirklich unser Verhältnis verbessern und das alles vergessen. In meiner Vergangenheit habe ich einige Fehler gemacht, aber ich habe seit über einem Jahr nichts mehr konsumiert. Ich habe sie zufällig in meiner Jackentasche gefunden und hatte einen kleinen Aussetzer, aber du hast mich davor bewahrt wieder etwas zu nehmen. Ich weiß, dass ich dir damit Unrecht angetan habe und ich will mich wirklich ändern. Ich weiß, dass das Zeit braucht, aber ich will es versuchen. Ich kann deine Wut verstehen." Ich will ihr nicht glauben, aber irgendwas an ihrer Stimme lässt mich innehalten. Dieses ehrliche Geständnis ihrerseits hätte ich nie erwartet. Vielleicht meint sie es wirklich ernst. Es gibt vielleicht eine Möglichkeit die Feinseligkeiten hinter mir zu lassen. Die Wut und der Misstrauen sitzen aber tief, wirklich tief. Die Stille zwischen uns ist fast unerträglich. Bevor ich etwas sagen kann, spricht Sophia weiter: „Als du mich in der Bar gesehen hast, war das ein Tiefpunkt für mich. Du musst mir glauben, dass ich seit über einem Jahr nichts mehr nehme. Ich wollte mit dir darüber nicht reden, weil ich Angst hatte, was du von mir denken würdest. Deswegen habe ich dich sofort abgestoßen. Es war eine Schutzreaktion, die ich wirklich bereue."
Ich lasse ihre Worte sacken. Die Vorstellung, dass Sophia einen solchen Kampf durchgemacht hat, verändert mein Bild von ihr. Schließlich weiß ich nur zu gut, wie es ist abhängig zu sein. Wie es ist, wenn dich dabei jemand sieht. Es erklärt natürlich einiges, aber es macht das, was sie mir angetan hat, nicht ungeschehen. Ich nicke noch einmal und murmle schließlich: „Okay Sophia. Ich schätze deine Ehrlichkeit, aber ich kann dir nicht einfach verzeihen. Die letzten Wochen waren so unfassbar hart. Ich hatte nichtmal mehr Lust auf Arbeit zu gehen. Es wird Zeit brauchen." Sie nickt erleichtert und sagt leise: „Danke Larissa. Ich verstehe das. Ich bin bereit, mir diese Chance zu verdienen. Ich möchte keine schreckliche Ausbilderin sein, wirklich nicht." Ich atme tief durch, stehe auf und wende mich zur Tür. Vorher drehe ich mich nochmal zu ihr und sage: „Wir werden sehen." Als ich das Büro verlasse, fühle ich mich nicht mehr so wütend, sondern eher nachdenklich. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit neu anzufangen.
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Sophia
RomanceIn einer Welt, in der Professionalität und persönliche Gefühle auf dem Prüfstand stehen, begegnen sich die neue Ausbilderin Sophia und ihre rebellische Auszubildende Larissa. Zwischen den beiden knistert es nicht gerade vor Freundschaft, doch als un...