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Die Minuten ziehen sich wie Stunden. Ich sitze hier, alleine, im grellen Wartebereich des Krankenhauses und habe das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es fühlt sich an, als wäre ich gefangen in einem endlosen Albtraum, aus dem ich nicht aufwachen kann. Meine Gedanken kreisen immer wieder um denselben Punkt. Wie geht es Sophia? Ist sie okay? Hat sie es wegen mir getan? Ich kann nichts tun, absolut nichts, außer warten. Die Ungewissheit ist unerträglich. Mein Herz rast, meine Hände zittern und mir ist schlecht vor Angst. Immer wieder sehe ich ihr Gesicht vor mir. Wie sie da saß, blass und leblos. Der Gedanke, dass ich sie vielleicht verlieren könnte, schnürt mir die Kehle zu. Tränen brennen hinter meinen Augen, aber ich versuche sie zurückzuhalten. Ich darf jetzt nicht zusammenbrechen. Nicht, solange ich noch nichts weiß. Es fühlt sich an, als würde die Luft um mich herum immer dünner werden. Jede Sekunde die vergeht, ist eine Qual. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun – irgendetwas, um Sophia zu helfen. Aber ich bin hier, gefangen im Warten und es gibt nichts was ich tun kann. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze. Minuten, Stunden? Es spielt keine Rolle. Alles, was zählt ist, dass ich nicht bei ihr bin. Dass ich nicht weiß, ob sie es schafft. Ich hätte es verhindern sollen. Ich hätte die Zeichen sehen müssen. Die Schuld wiegt schwer auf meinen Schultern und der Druck in meiner Brust wird immer stärker. Warum habe ich sie nicht besser unterstützt? Warum war ich nicht da, bevor es so weit kommen konnte?

Endlich öffnet sich die Tür und eine Schwester tritt heraus. Mein Herz setzt für einen Moment aus, als sie auf mich zukommt. Ihr Gesicht ist ernst, aber nicht panisch und das gibt mir einen winzigen Funken Hoffnung. „Sind Sie die Begleitperson von Frau de Vries?", fragt sie ruhig, aber in mir tobt ein Sturm. „Ja", antworte ich, meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Es war eine Überdosis", sagt sie sachlich. „Sie hatte eine Psychose, aber wir konnten sie stabilisieren. Sie wird jetzt überwacht, aber sie braucht Ruhe.", erklärt sie weiter und sieht mich mitfühlend an. Ich kann ihren Blick nicht standhalten und schaue bedrückt auf den weißen Krankenhausboden. Eine Überdosis. Das Wort hallt in meinem Kopf wider, während die Realität mich trifft wie ein Schlag ins Gesicht. Sophia hätte sterben können. Sie war so nah dran mich für immer zu verlassen. Und warum? Wegen mir? Wegen allem, was in den letzten Wochen passiert ist? Die Schuldgefühle nagen an mir und es fühlt sich an, als würde ich innerlich zerbrechen. „Sie können jetzt zu ihr", fügt die Schwester hinzu und nickt in Richtung der Tür. Ich schaffe es, ein schwaches „Danke" herauszubringen, bevor ich aufstehe. Meine Beine zittern unter mir. Es fühlt sich an, als wäre ich nicht wirklich hier, als würde ich mich durch einen dichten Nebel bewegen. Alles ist so unwirklich.

Ich folge der Schwester in den Flur und schließlich in Sophias Zimmer. Als ich eintrete, bleibt mir fast das Herz stehen. Sophia liegt da, in einem weißen Krankenhausbett, ihre Augen geschlossen, ihre Haut blass. Sie sieht so friedlich aus, als würde sie einfach nur schlafen. Aber ich weiß, dass das, was in ihr vorgeht, alles andere als ruhig ist. Ich gehe langsam zu ihr, setze mich auf den Stuhl neben ihrem Bett und nehme vorsichtig ihre Hand in meine. Sie fühlt sich warm und lebendig an. Aber es ist, als wäre sie meilenweit entfernt. Tränen laufen lautlos über meine Wangen, während ich sie anschaue. Die Erleichterung, dass sie lebt, mischt sich mit der tiefen Traurigkeit, die mich erdrückt. Ich habe sie fast verloren. „Gott Sophia...", flüstere ich, meine Stimme bricht unter dem Gewicht meiner Gefühle. Ich weiß, dass sie mich nicht hören kann, aber ich hoffe, dass sie irgendwie spürt, dass ich hier bin. „Es tut mir so leid... Ich hätte da sein müssen." Die Minuten vergehen und ich sitze einfach nur da, halte ihre Hand und starre auf ihr friedliches Gesicht. Die Tränen versiegen nicht, sie fließen unaufhörlich, aber ich habe keine Kraft mehr, sie zu stoppen. Es ist, als würde ein Damm in mir brechen, all der Schmerz und die Angst strömen ungehindert heraus.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort sitze, verloren in meinen Gedanken, bis ich endlich auf mein Handy schaue. Meine Finger zittern, als ich eine Nachricht an Sven schreibe. Er soll kommen. Ich brauche ihn. Einige Zeit vergeht, bis die Tür sich leise öffnet und Sven eintritt. Er sieht mich an, dann Sophia und ich sehe, wie sein Gesicht sich verändert. Er geht nicht näher an das Bett heran, sondern bleibt einen Moment still stehen, seine Stirn in Falten gelegt. Dann tritt er vorsichtig an meine Seite und legt eine Hand auf meine Schulter. „Larissa. Komm mit raus. Sophia schläft und braucht Ruhe. Die Schwester meinte, dass sie heute Nacht nicht mehr aufwachen wird.", beginnt er leise. 

POV Sven:

Als ich Larissa an Sophias Bett sitzen sehe, bricht mir fast das Herz. Sie sieht so erschöpft aus, so leer. Ich weiß, wie sehr sie Sophia liebt und ich sehe, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist. Ihre Augen sind gerötet, ihre Schultern hängen, als hätte sie die Welt auf ihnen zu tragen. Ich wollte von Anfang an nicht, dass sie sich so sehr auf Sophia einlässt – ich habe von ihr nie viel gehalten, aber das kann ich Larissa nicht sagen. Jetzt ist nicht der Moment dafür. Sie hebt den Kopf, als ich ankomme und ihre Augen füllen sich sofort wieder mit Tränen. „Sven...", flüstert sie nur, ihre Stimme ist brüchig. Ich gehe auf sie zu und lege ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. „Komm, Larissa. Du kannst jetzt nichts mehr tun. Sie braucht Ruhe." Sie schüttelt den Kopf und ihre Stimme bricht in einem verzweifelten Schluchzen. „Aber... sie ist doch... sie ist doch...", stottert sie unbeholfen und zeigt immer wieder auf unsere Ausbilderin. „Ich weiß, aber sie schläft. Ich habe es gerade erklärt, dass sie heute nicht mehr aufwacht. Du kannst nichts tun und musst auch auf dich selber achten.", sage ich sanft.

Für einen Moment sagt sie nichts und ich sehe, wie sie gegen den Sturm der Gefühle in ihr kämpft. Ihre Hand umklammert immer noch die von Sophia, als könnte sie sie dadurch festhalten, sie irgendwie zu sich zurückholen. „Lass uns nach draußen gehen", sage ich ruhig. „Sie wird dich brauchen, wenn sie aufwacht. Aber jetzt musst du dich auch um dich kümmern.", erkläre ich nochmal. In der Hoffnung, dass sie es versteht. Ich spüre wie sie zittert, als sie sich langsam erhebt, ihre Hand löst sich widerwillig von Sophias. Ich lege meinen Arm um ihre Schultern, führe sie sanft aus dem Zimmer, hinaus in den Flur. Sobald die Tür hinter uns ins Schloss fällt, bricht Larissa zusammen. Sie fällt mir in die Arme, ihre ganze kleine Gestalt zittert unter den heftigen Schluchzern, die aus ihr herausbrechen. Es ist, als hätte sie die letzten Stunden all ihre Kraft zusammengenommen, nur um jetzt, in diesem Moment, völlig zusammenzubrechen. „Sven, ich kann das nicht", stammelt sie, ihre Stimme erstickt von Tränen. Ich halte sie fest, drücke sie an mich, während sie weint. Ihr ganzer Körper bebt. „Du schaffst das. Du bist stark mein Schatz. Und du bist nicht allein. Ich bin hier und werde immer bei dir sein.", sage ich leise, obwohl ich weiß, wie schwer es für sie ist.

Sie weint weiter und ich halte sie, lasse sie einfach alles rauslassen. Ich weiß, dass Worte jetzt nicht viel helfen können, aber ich hoffe, dass meine Anwesenheit es ein wenig leichter für sie macht. Irgendwann beruhigt sie sich, ihre Tränen versiegen, aber sie wirkt so verloren, so zerbrechlich. „Was, wenn sie es wieder tut?", fragt sie schließlich leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Ich schaue sie einen Moment an und murmle schließlich: „Das weiß ich nicht. Aber das ist nicht deine Schuld, Larissa. Du kannst nur für sie da sein, wenn sie es zulässt." Sie nickt schwach, aber ich sehe, dass die Angst in ihr noch lange nicht verschwunden ist.

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt