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POV Larissa:

Ich sitze im Auto, stumm neben Sven. Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugemacht, meine Gedanken sind immer wieder zu Sophia zurückgewandert. Ihr blasses Gesicht, ihre geschlossenen Augen, das Krankenhausbett... das alles hat sich wie ein Alptraum in meinen Kopf gebrannt. Meine Augen brennen von den Tränen, die ich die ganze Nacht zurückgehalten habe. Sven fährt ruhig, sagt nichts, aber ich weiß, dass er mich beobachtet. Seine Stille tut gut. Ich kann gerade nicht reden. Er weiß das. Mein Kopf ist zu voll, mein Herz zu schwer. Als wir endlich am Krankenhaus ankommen, hält er vor dem Eingang an. Ich greife nach der Tür, ohne ihn anzusehen. „Danke Sven. Für alles.", flüstere ich. Er nickt nur, legt mir kurz die Hand auf den Arm. „Ruf mich an, wenn du mich brauchst, okay?", sagt er zum Abschied und lächelt mich vorsichtig an. „Mach ich.", antworte ich und steige aus. Ich kann das alleine. Das muss ich alleine.

Langsam gehe ich durch die Glastüren ins Krankenhaus. Alles hier ist zu hell, zu steril. Die Menschen um mich herum wirken so fremd, so weit weg. Ich fühle mich, als wäre ich in einer Blase gefangen, abgeschirmt von der Realität, die sich doch so grausam anfühlt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich den Flur entlanggehe. Bei einer Schwester bleibe ich stehen und frage: "Hallo, ist Frau de Vries schon wach?" Die Schwester lächelt mich an und antwortet: "Ja, sie ist fit und wach. Noch etwas schwach, aber ansprechbar. Sie können gerne zu ihr." Ich bedanke mich und setze meinen Weg fort. Vorbei an Krankenschwestern und Ärzten, die mich kaum beachten. Alles woran ich denken kann, ist Sophia. Wie wird sie sein, wenn ich sie sehe? Wie wird sie auf mich reagieren? Will sie mich überhaupt sehen? Ich stehe vor der Tür ihres Zimmers und hole tief Luft. Meine Hand zittert, als ich den Griff drücke und die Tür leise öffne. Die Stille im Zimmer umfängt mich wie eine Welle. Sophia liegt da und hält ihre Augen geschlossen. Ihr Gesicht ist noch blass, aber sie sieht ruhiger aus als gestern. Für einen Moment bleibe ich stehen, beobachte sie, wie sie da liegt. Es ist, als hätte die Zeit angehalten.

Die Tür fällt mit einem leisen Klicken ins Schloss und in diesem Moment öffnen sich ihre Augen. Unsere Blicke treffen sich und mein Herz macht einen schmerzhaften Sprung. Sie sieht mich an und ich sehe die Müdigkeit, den Schmerz in ihren Augen, aber auch etwas anderes, etwas, das ich nicht sofort deuten kann. „Hey.", flüstere ich, meine Stimme bricht fast unter dem Gewicht meiner Gefühle. „Selber Hey.", antwortet sie, ihre Stimme ist rau und schwach. Sie lächelt vorsichtig und klopft neben sich auf das Bett, um mir zu signalisieren, dass ich zu ihr soll. Ein Stein fällt mir vom Herzen, weil sie mich nicht von sich schiebt. Ich gehe langsam auf sie zu und setze mich an die Bettkante. Für einen Moment ist es still und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Worte hängen mir im Hals fest und alles was ich tun will, ist sie zu halten. Sie zu fragen, warum sie das getan hat. Aber ich weiß, dass jetzt nicht der richtige Moment dafür ist. „Wie, wie fühlst du dich?", frage ich schließlich leise, obwohl ich weiß, dass die Antwort wahrscheinlich kompliziert ist.

Sophia schließt für einen Moment die Augen, als müsse sie nach den richtigen Worten suchen. „Es geht. Larissa, es tut mir so leid. Ich wollte das nicht. Es tut mir leid, dass du mich so sehen musstest." flüstert sie leise. Sie öffnet ihre Augen und sieht mich mit ihrem gebrochenen Blick an. Schimmernde Tränen glänzen in ihren Augen. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich diese Worte höre. „Es ist nicht deine Schuld.", sage ich schnell, obwohl ich selbst nicht sicher bin, ob ich das wirklich glaube. „Ich hätte mehr für dich da sein müssen... ich... ich habe es nicht kommen sehen.", füge ich leise hinzu und halte ihre eiskalte Hand. „Doch, es ist meine Schuld. Ich habe das getan und nicht du. Ich habe dich angerufen und so mit rein gezogen.", sagt sie plötzlich, ihre Stimme fester. Ich schlucke schwer. Die Tränen, die ich die ganze Nacht zurückgehalten habe, drohen nun endlich zu fließen. „Aber warum, Sophia? Wieso zum Teufel hast du das getan?", flüstere ich tränenerstickt und starre auf unsere Hände, die sich aneinander klammern. 

Sie wendet den Blick ab, starrt auf die Decke, als würde sie dort irgendeine Antwort finden. Schließlich sagt sie leise: „Ich wusste nicht, wie ich sonst mit allem umgehen soll. Mit uns. Mit meinen Gefühlen. Mit allem. Ich wurde schwach und es war zu viel." Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag. „Mit uns? Hast du das wegen mir getan? Wegen unserem Gespräch vor der Bar?", wiederhole ich mit brüchiger Stimme. Sie schließt die Augen und nickt kaum merklich: „Es war zu viel. Alles war zu viel. Und ich bin es nicht gewohnt, dass mir jemand so nah kommt... dass du mir so nah kommst. Als es dann irgendwie zu Ende war, hat es mich zerstört. Ich hätte dich niemals so nah an mich ranlassen sollen." Ihre Stimme ist leise, aber ich höre die Verzweiflung darin, den Kampf den sie in sich trägt. Ungläubig starre ich sie an und muss mich zusammenreisen, sie nicht anzuschreien. „Aber Sophia, ich bin doch hier. Ich will bei dir sein. Egal, was ist. Warum konntest du das nicht mit mir teilen? Du musst verstehen, dass ich auf Abstand gehen musste. Du willst mich, aber dann wieder nicht.", flüstere ich leise und spüre, wie meine Tränen unaufhaltsam fliesen. Ich kann es nicht mehr zurückhalten.

Sie öffnet die Augen wieder und sieht mich an, diesmal mit einem Ausdruck von tiefem Bedauern. „Weil ich Angst hatte. Angst, dass alles so wird, wie damals. Dass ich mich zu abhängig mache. Dass ich dich nicht so lieben kann, wie du es verdienst. Dass ich nicht genug bin.", sagt sie unsicher und wischt sich ebenfalls einige Tränen weg. Ich schüttele den Kopf, unfähig die Worte zu finden, die ich sagen will. In mir tobt ein Sturm aus Wut, Trauer und Verzweiflung, aber ich kann sie nicht ausdrücken. „Du bist genug. Du warst immer genug. Ich habe dir jede Freiheit gegeben, die du immer wolltest. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht durch dich hindurch dringen kann. Deine Schutzwand bleibt stehen. Dann zerbröckelt sie einen Moment, doch du baust sie sofort wieder auf.", flüstere ich schließlich. Ich lasse ihre Hand los und wische mir über die Augen, die noch schlimmer brennen, als zuvor. Der Raum wird immer stiller. Wir sitzen da, unsere Hände berühren sich kaum, aber die Verbindung zwischen uns immer immer noch da. Sie ist stärker als all die Worte, die wir nicht aussprechen können.  "Larissa, es tut mir so leid. Bitte geh jetzt. Ich schreibe dir, wenn ich entlassen werde und bereit bin.", sagt sie schließlich. Der Schutzwall von ihr baut sich sofort wieder auf, was mir von Anfang an irgendwo klar war. Es war klar, dass sie mich abweist. Es ist, als würde sie mir mein Herz herausreisen. Ich stehe stumm auf, nicke noch einmal und verlasse ohne ein weiteres Wort zu sagen das Zimmer. Mein Herz habe ich bei ihr gelassen. 

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt