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Sven scheint einen Moment zu überlegen und antwortet schließlich: „Das ist so surreal Larissa. Hättest du mir das vor ein paar Wochen erzählt, hätte ich es niemals geglaubt. Aber...was fühlst du denn jetzt, wenn du an sie denkst?" Ich trinke erneut einen Schluck von meinem Wein und murmle: „Ich weiß es nicht. Es ist so impulsiv und gleichzeitig fühlt es sich so richtig an? Das macht alles keinen Sinn." Ich lege meinen Kopf in den Nacken und atme aus. Sven schweigt nochmal, bevor er weiterredet: „Es macht schon Sinn. Gefühle sind oft verwirrend, besonders in dieser Situation. Aber du musst dir darüber klar werden, was du willst. Was ihr wollt. Möchtest du noch einen Versuch bei ihr starten oder es vergessen? Sie ist ja schließlich immer noch unsere Ausbilderin." Ich leere mein Glas Wein und fülle es gleich darauf wieder auf. Was will ich überhaupt? „Das ist ja das Problem. Ich bin mir nicht sicher, was ich will. Jedes Mal wenn ich aber an den Kuss denke, überzieht sich mein Körper mit Gänsehaut. Irgendwie könnte ich sofort grinsen.", schlussfolgere ich und tippe mit meinem Zeigefinger auf mein Kinn. Sven nickt aufmerksam, legt seine Hand auf meine und sagt: „Ach, ich verstehe das Süße. Ich denke du findest es auch hart, weil du dachtest, dass du hetero bist oder? Ihr solltet aber nochmal drüber reden. Ehrlich und offen. Ihr müsst klären, was das für euch beide bedeutet." Ich nicke und murmle:  „Du hast wie immer Recht. Was würde ich nur ohne dich tun? Ich versuche sie darauf anzusprechen, wenn ich sie sehe." Ich lehne mich an Sven, der mich sofort in seine Arme zieht. Er drückt mir einen liebevollen Kuss auf den Kopf und flüstert: „Du kriegst das schon hin, da bin ich mir sicher."

Es ist Montagnachmittag als ich die Mappe meines aktuellen Projekts schließe. Mein Bereichsleiter Herr Braun hat es sich bereits angeschaut und seine Unterschrift als Bestätigung daruntergesetzt. Jetzt fehlt nur noch Sophia ihre. Ich hatte gehofft, dass ich sie heute nicht sehen muss, aber auf meine Rücksprachen-Anfrage hat sie direkt geantwortet und mich um 15:30 Uhr in ihr Büro verordnet. Okay, da komme ich jetzt nicht mehr drum herum. Ich hatte wirklich Hoffnung, dass sie auf meine Mail heute nicht mehr antwortet. Kurz vor halb packe ich meine Mappe ein und sperre meinen PC. „Viel Glück.", zwinkert Sven und wirft mir einen Luftkuss zu, den ich sofort erwidere. Dann verschwinde ich Richtung Aufzug. Vor Sophias Büro atme ich nochmal durch und klopfe schließlich an ihrer Tür. Nach ihrem „Herein" betrete ich das Büro und schließe die Türe hinter mir. „Schön dich zu sehen Larissa, wie gehts dir denn?", lächelt Sophia und steht von ihrem Schreibtisch auf. Dann setzt sie sich an den Tisch in ihrem Büro und zeigt auf den Stuhl gegenüber von ihr. Nachdem ich mich gesetzt habe, sage ich: „Ja, bei mir ist alles okay und bei dir?" Sie nickt aufrichtig, während ich ihr die Mappe hinschiebe. Meine Hände sind am zittern, was sie hoffentlich nicht merkt. Ich bin so nervös, wenn ich vor ihr sitze und ich kann mir nicht erklären warum. Die Luft ist wie geladen und die Spannung zwischen uns ist fast greifbar. Jedenfalls nehme ich das so wahr. Die ersten Minuten herrscht stilles Schweigen zwischen uns, während sie durch meine Mappe blättert und sich die einzelnen Seiten aufmerksam durchschaut. Nach einiger Zeit nickt sie und spricht ruhig: „Deine Arbeit gefällt mir wirklich sehr gut. Du hast sehr ordentlich gearbeitet und das Design schlicht gehalten. Ja, gefällt mir wirklich gut und ich habe nichts dagegen einzuwenden. Bei der ein oder anderen Grafik allerdings sind einzelne Formatierfehler, aber ich schätze, dass das nicht weiter auffällt. Wenn du da das nächste Mal noch besser drauf achtest, ist es perfekt."

Ich nicke und versuche ihr aufmerksam zuzuhören, doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Ich spüre ihre Nähe, höre den Klang ihrer weichen Stimme und bin sofort wieder im Badezimmer und spüre ihre Lippen auf meinen. Die Spannung zwischen uns kann ich nicht mehr ignorieren und wenn ich ehrlich bin, will ich das auch nicht. Sie unterschreibt mit ihrer geschwungenen Handschrift und übergibt mir die Mappe wieder. Unsere Fingerspitzen berühren sich für einen kurzen Moment. Ein kurzer, elektrisierender Moment. Sie zieht ihre Hand schnell zurück, reist ihre Augen auf räuspert sich nervös. „Danke für das Feedback. Beim nächsten Mal achte ich nochmal besser drauf. Manchmal ist es einfach schwer sich zu konzentrieren, wenn man an noch so viele andere Dinge denkt, verstehst du?", murmle ich und lächle sie vorsichtig an. Sophia schaut auf, ihre Augen suchen meinen Blick. Sie hält kurz inne, verweilt einen kurzen Moment in meinen Augen und antwortet schließlich: „Ja, verstehe ich gut. Es ist nicht immer leicht, persönliche Gefühle und die Arbeit zu trennen." Sofort schlägt mein Herz doppelt so schnell, weil ich sofort merke, dass sie meine Andeutung auf unser Verhältnis sofort verstanden hat. Ich wage es noch ein wenig mehr zu sagen und füge hinzu: „Ich dachte, dass es nach unserem Gespräch einfach ist zu verstehen. Es ist aber immer noch verwirrend. Ich habe noch nie eine Frau geküsst und plötzlich steht meine Welt auf dem Kopf." Sophia verschränkt ihre Finger miteinander, beugt sich leicht nach vorne und sagt sanft: „Es ist auch für mich nicht leichter geworden. Es tut mir leid, dass ich dich in eine so verwirrende Situation gebracht habe. Die Spannung zwischen uns...ja, sie ist schwer zu ignorieren."

Meine Wangen glühen, sodass ich meinen Blick ein wenig senken muss. „Ich dachte es wird nach kurzer Zeit zur Vergangenheit, aber ich habe das Gefühl, dass es komplizierter geworden ist. Wie soll ich...naja, wie soll ich damit umgehen? Ich verstehe die Welt nicht mehr.", flüstere ich. Sophia seufzt tief, ihre Augen fixieren mich intensiv, während sie sagt: „Vielleicht müssen wir einen Weg finden, diese Spannung zu akzeptieren und damit klarzukommen, statt dagegen anzukämpfen. Es wird bestimmt nicht leicht, aber irgendwie muss es funktionieren." Ich nicke langsam, während ich ihre Worte analysiere. Ich lehne mich ein wenig nach hinten und murmle: „Vielleicht hast du Recht. Es fühlt sich so an, als ob wir auf einem schmalen Grad balancieren und jeder Schritt könnte uns aus dem Gleichgewicht bringen." Sophia lächelt schwach und ergänzt: „Genau das. Vielleicht ist aber dieser schmale Grad auch der Weg, den wir gemeinsam gehen müssen um herauszufinden, was das wirklich zwischen uns ist." Ein Moment der Stille folgt, in dem wir beide auf die Bedeutung unserer Worte nachdenken. Plötzlich steht Sophia auf und geht langsam um den Tisch herum. Jetzt steht sie direkt vor mir, sodass ich ebenfalls aufstehe und in ihre blauen strahlenden Augen schaue. Sie räuspert sich und sagt mit rauer Stimme: „Larissa, ich muss dir sagen. Diese Spannung", sie hält einen Moment inne, sucht nach den richtigen Worten und flüstert: „kann und will ich nicht mehr ignorieren. Es ist eine Anziehung, die ich so schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich kann es mir selbst nicht erklären. Es ist alles so intensiv mit dir."

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt