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POV Sophia: 

Ich sitze in meinem Wohnzimmer, umgeben von einem Chaos, das ich die letzten Tage ignoriert habe. Mein Kopf schmerzt, meine Gedanken schwirren durcheinander und es ist so still. Zu still. Seit zwei Wochen herrscht Funkstille mit Larissa und ich weiß nicht, wie ich es durchstehen soll. Ich habe versucht, alles zu verdrängen. Arbeit, das Leben, sie – alles. Aber nichts funktioniert. Als ich heute angefangen habe aufzuräumen, habe ich gehofft, dass es mir wenigstens ein kleines Gefühl von Kontrolle zurückgeben würde. Doch dann während ich eine alte Tasche durchwühle, stoße ich plötzlich auf etwas, das wie ein Schlag ins Gesicht wirkt. Eine Tüte. Eine Tüte mit Pepp.

Mein Atem stockt und ich starre auf die kleine, fast unscheinbare Tüte in meiner Hand. Es ist, als hätte die Zeit angehalten. Die Welt um mich herum verschwimmt und es gibt nur noch diesen einen Moment, diese Entscheidung. Ein Teil von mir weiß, dass ich es nicht tun sollte. Ich habe all das hinter mir gelassen, habe so hart dafür gekämpft, mich wieder zu fangen. Aber jetzt, in diesem Moment, fühlt sich das so weit weg an, als hätte ich es nie geschafft. Meine Hände zittern, während ich die Tüte drehe und  den feinen weißen Staub darin betrachte. Es wäre so einfach alles wieder zu vergessen. Den Schmerz, die Leere, die verdammte Funkstille mit Larissa. Ich habe sie verloren, oder? Warum sollte ich kämpfen, wenn ich sowieso alles kaputt mache? Ich kann mich einfach nicht fallen lassen. Aber damit könnte ich endlich wieder runterkommen. "Nur ein Mal", flüstere ich zu mir selbst, meine Stimme bricht. „Ein einziges Mal, um es zu ertragen.", füge ich noch hinzu und spüre wie die ersten Tränen meinen Wangen hinunterlaufen. Ich will nur das Brennen in meiner Brust stoppen, das Gefühl der Ohnmacht, die Schuld. Ich will vergessen, wie ich sie verletzt habe. Wie ich uns beide verletzt habe.

Mein Herz schlägt schneller, als ich den Beutel öffne. Der Geruch des Pulvers trifft meine Nase, und es ist, als würde ein alter Teil von mir wieder aufleben. Der Teil, den ich so lange verdrängt habe. „Es wird helfen.", sage ich zu mir selbst, obwohl ich weiß, dass es eine Lüge ist. Doch diese Lüge fühlt sich gerade so verlockend an, als könnte sie den Schmerz betäuben, nur für einen Moment. Meine Gedanken rasen und ich spüre, wie die Verzweiflung mich erdrückt. Tränen brennen in meinen Augen, während ich mich frage, ob es das wirklich wert ist. Aber dann schließe ich die Augen und denke an Larissa. An ihre Stimme, ihr Lächeln – und den Moment, als ich sie losgelassen habe. „Warum?" flüstere ich, und die Tüte zittert in meiner Hand. „Warum kann ich das nicht loslassen?" Es fühlt sich an, als würde ich in einem Strudel aus Schuld, Angst und Sehnsucht ertrinken. Und der weiße Staub in meiner Hand scheint die einzige Rettung zu sein, die ich noch habe.

Mit zitternden Händen nehme ich das Pepp auf und bereite es vor, während mein Herz rast. Ich lege mir die Lines auf meinem Wohnzimmertisch und grinse ein wenig. Verrückt, dass ich es immer noch so gut beherrsche. Es fühlt sich an, als würde ich jeden Moment platzen. Aber da ist auch diese kranke Vorfreude. Dieses Wissen, dass ich gleich alles vergessen kann – den Schmerz, die Leere, Larissa. Ich ziehe die erste Line durch die Nase, der chemische Geruch füllt sofort meine Sinne. Ein kurzer, scharfer Schmerz in der Nasenhöhle, aber dann – dann setzt die Wirkung ein. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube. Aber einer, der plötzlich alles aufhellt. Das Dröhnen in meinem Kopf wird leiser, mein Herz schlägt schneller, und für einen Moment... fühlt es sich gut an. Verdammt gut. Die Welt um mich herum wird heller, die Farben schärfer. Meine Gedanken fliegen, leicht und schwerelos. Alles, was schwer und bedrückend war, wird weggeblasen, wie Staub im Wind. Ich fühle mich... frei. Fast glücklich. Es ist, als würde der Schmerz, den ich so lange mit mir herumtrage, einfach verschwinden. Ich lehne mich zurück, meine Augen geschlossen, lasse die Welle über mich hinwegspülen. "Das ist es. Genau das habe ich jetzt gebraucht.", flüstere ich in mich hinein. Die Leere füllt sich auf eine merkwürdige Weise und für diesen Moment scheint alles wieder in Ordnung zu sein.

Aber dann, fast wie ein Schatten, kehrt etwas Dunkles zurück. Mein Herz beginnt zu rasen, schneller als es sollte. Meine Brust wird eng. Das Gefühl der Leichtigkeit verwandelt sich plötzlich in etwas Unbehagliches. Eine Hitze breitet sich in meinem Körper aus und mir wird klar, dass ich die Kontrolle verliere. Flashbacks. Alte Trips, die ich längst vergessen wollte, blitzen in meinem Kopf auf. Bilder, die ich verdrängt hatte, kehren zurück, vermischt mit dem Gesicht von Larissa. Sie ist überall. Sie steht vor mir, aber nicht so, wie sie wirklich ist. Sie sieht anders aus – verzerrt, unheimlich, ihre Augen leer, als würde sie mich durchschauen. Als würde sie wissen, was ich gerade getan habe. Zwischen den Köpfen von Larissa kann ich sogar Helen erkennen, die mich höhnisch auslacht. "Mir war klar, dass du deine Finger davon nicht lassen kannst.", flüstert sie immer wieder und klatscht begeistert in ihre Hände. "Nein.", Meine Stimme zittert und ich greife mir an den Kopf. Der Druck in meiner Brust wird schlimmer, mein Atem geht flach und die Panik kriecht wie kaltes Wasser in mir hoch. Ich sehe Larissas Gesicht vor mir und ihre Lippen bewegen sich, aber ich kann nicht verstehen, was sie sagt. Es fühlt sich an, als würde sie mich anschreien, aber ihre Stimme ist nur ein dumpfes Echo. Verzerrt und unverständlich.

Ich versuche aufzustehen, aber meine Beine geben nach. Ich stütze mich an der Couch ab, meine Hände zittern unkontrolliert. Die Welt beginnt sich zu drehen und ich habe das Gefühl, als würde der Raum um mich herum kleiner werden, mich einengen. Larissa ist jetzt überall – in jeder Ecke des Raumes, in jedem Schatten, aber sie bleibt unerreichbar, unerbittlich. "Bitte, geh weg!", schreie ich in den leeren Raum, aber es ist zwecklos. Die Halluzinationen, die Bilder – sie verschwimmen und vermischen sich. Bis ich nicht mehr weiß, was real ist. Mein Herzschlag hämmert in meinen Ohren und das Gefühl der Angst wird erdrückend. Ich will es aufhalten. Ich will, dass es aufhört, aber ich weiß nicht wie. Ich habe die Kontrolle verloren, und jetzt bin ich gefangen in diesem Albtraum, den ich selbst heraufbeschworen habe. Der Raum wird immer enger, die Bilder immer beängstigender. Und ich frage mich nur noch, warum ich das getan habe. Warum ich überhaupt geglaubt habe, dass ich es ertragen kann.

Dann habe ich den wohl einzigen Einfall. Mit letzter Kraft wähle ich ihre Nummer. "Larissa, bitte komm sofort zu mir. Ich habe etwas dummes getan.", flüstere ich mit letzter Kraft in mein Handy, sobald sie meinen Anruf entgegen genommen hat. Ohne ein Wort zu sagen, legt sie auf. Erschöpft lehne ich mich an mein Sofa und schließe meine Augen. Bitte, lass das alles aufhören. 

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt