Ginny schlug die Augen auf. Schon seit Stunden wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her. Der Raum der Wünsche war unbeschädigt geblieben und viele der älteren Schüler hatten sich hier zurückgezogen für die Nacht. Alle hatten sich einfach einen kleinen abgeschirmten Raum mit Bett gewünscht, es war fast wie im Wohnheim. Ihre Mom hatte versucht sie zu überreden mit ihnen zu Bill und Fleur zu kommen, aber sie hatte abgelehnt. Furchtbares war hier geschehen und sie konnte jetzt nicht einfach gehen und so tun, als wäre nie etwas passiert.
Die Aufräumarbeiten sollten bereits heute beginnen und Ginny musste mithelfen. Nicht weil es Pflicht war, aber während der Schreckensherrschaft der Carrows und Snape, hatten sich Ginny, Neville und Luna größtenteils mit den anderen Siebtklässlern um die jüngeren Schüler gekümmert und dass es in Hogwarts nicht total drunter und drüber ging. Jetzt war dieses gewisse Verantwortungsgefühl für Hogwarts und seine Schülerschaft einfach da. Und sie konnte es nicht einfach in Trümmern liegen lassen. Sie musste es wieder heil machen, dann würde das auch sie wieder heilen lassen, da war sie sich ganz sicher.
Das letzte Jahr hatte Spuren hinterlassen, an ihrer Psyche wie auch ihrem Körper. Mehr als einmal hatte sie den Cruciatus Fluch abgekriegt, aber auch gesehen, wie andere gefoltert wurden ohne etwas tun zu können. Manche Schüler verschwanden plötzlich spurlos und so viele trauerten um Angehörige, es verging kaum ein Tag in Ruhe.
Jetzt durch diese Erinnerungen konnte sie eh nicht mehr schlafen. Also stand sie so leise wie möglich auf, zog schnell ihr Shirt aus und wechselte es gegen ein frisches. Dann drehte sie sich um und sah Dean in der Tür zu ihrem Schlafkämmerchen lehnen.
„Hey“, sagte er, als er sich aus dem Türrahmen löste und auf sie zu kam. „Hey“, sie lächelte ihn gequält an.
„Wie gehts dir?“, fragte er, als wäre es nicht offensichtlich. Ginny antwortete ihm trotzdem: „Mal sehen, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, es gab eine Schlacht in unserem Zuhause, das jetzt in Trümmern liegt, wir haben Freunde verloren, ach und mein Bruder ist tot. Aber ich hab ja noch 5 andere, von daher alles super.“ Es laut auszusprechen, obwohl es ironisch gemeint war, tat mehr weh als Ginny gedacht hatte. Die Tränen stiegen ihr augenblicklich in die Augen. Dean bemerkte es sofort. Mit einem großen Schritt war er bei ihr und schloss sie fest in die Arme.
Sie vergrub ihr Gesicht in seinem Pulli und begann zu schluchzen, während er ihr über die Haare strich. Sie wartete darauf, dass er ihr zuflüstern würde, das alles wieder gut wird, dass sie jetzt sicher sind, aber er tat es nicht. Falsche Versprechungen waren nicht sein Stil und dafür war sie dankbar. Dean war im letzten Jahr immer für sie da gewesen, aber unwillkürlich musste sie an Harry denken. Sie wünschte sich ihn jetzt zu sehen, dass er sie in den Arm nahm.
Sie wusste, es war nicht richtig, hier einfach so in seinem Arm zu heulen und von ihm trösten zu lassen und dabei auch noch an ihren Exfreund zu denken. Dean hatte auch Verluste erlitten, er hatte auch in der Schlacht gekämpft, er verdiente es auch getröstet zu werden. Aber in den vergangenen Monaten hatte er sie mehr als einmal so gehalten und immer versichert, dass er okay sei. Er wollte für sie da sein, da sie immer für die anderen da war, hatte er gesagt.
Er war manchmal der einzige der sie aufrecht gehalten hatte und dafür war sie ihm dankbar. Ginny wusste auch wieso er es tat, er hatte es ihr am Anfang des Jahres, nachdem er sie abends nachdem sie stundenlang verschwunden gewesen war, auf dem Astronomieturm gefunden hatte.
Er liebte sie noch. Sie ihn nicht. Er wusste es. Sie auch. Es war unfair. Von ihr. Für ihn. Es war okay. Für ihn. Für sie deshalb auch.
Das führte zu einer unverbindlichen, offenen Beziehung, das ganze Jahr über. Sie spendeten einander Trost, Liebe, Zuneigung und Vertrauen. Es war wie eine richtige Beziehung, sie redeten, unterstützten einander und hatten hin und wieder Sex, aber beide wussten, dass ihre „Beziehung“ ein klar definiertes Ende hatte.
Ginny brachte etwas Abstand zwischen sie und sah ihn mit großen, traurigen Augen an. Dean wich ihrem Blick aus, indem er ein paar ihrer Haare aus einem kleinen Schnitt in ihrer Wange strich, die sich in dem getrockneten Blut verklebt haben mussten.
„Dean“, sagte Ginny. Sie wussten beide, was sie sagen wollte oder eher musste. „Bitte , einen Moment noch. Nur kurz. Ich will nur die Wunde versorgen. Gib mir nur diesen einen Moment, in dem alles okay ist“, er flehte beinahe darum, deshalb konnte sie nur nicken.
Er griff in seine Hosentasche und holte ein Fläschchen Diptam Essenz und ein Taschentuch hervor. Das Taschentuch befeuchtete er mit seinem Zauberstab. Dann tupfte er vorsichtig die Wunde sauber bevor er behutsam die Wunde mit Diptam Essenz betröpfelte, die sofort begann sich zu schließen.
Es blieb nur eine Narbe zurück. Er strich gedankenverloren mit dem Finger darüber, während er sie noch immer nicht ansah. Sie hingegen musterte ihn ganz genau, als ob sie ein ganz besonderes Kunstwerk vor sich hatte, dass sie sich ein letztes Mal einprägen wollte, bevor sie es für sehr lange Zeit oder vielleicht sogar nie wieder sehen würde.
„Harry ist wieder da“, ihre Stimme klang rau und sie musste sich abermals räuspern. „Ach echt? Das ist mir wohl entgangen“, antwortete er sarkastisch und brachte ein Schmunzeln zustande. Sie gab ein kurzes Lachen von sich, dann wurde sie wieder ernst. „Du weißt, was ich meine.“ „Ja“, jeder Humor war aus seiner Stimme verschwunden und er sah sie traurig an, „es ist vorbei.“ Er versuchte es zu verstecken, aber sie hörte seine Enttäuschung und begann zu bereuen, worauf sie sich vor einem beinah einem Jahr mit ihm eingelassen hatte. Sie wollte ihm nicht wehtun, dabei war es von Anfang an klar gewesen, dass sie es tun würde. „Dean, es tut mir leid, wirklich, ich mag dich so sehr, du bist so fantastisch, aber-“ Er unterbrach sie: „Ich bin nicht er. Und du liebst ihn. Ich weiß. Dir muss nichts leidtun, es war von Anfang an so abgesprochen. Harry kommt wieder bedeutet es ist aus mit uns. Es ist okay für mich. Wirklich.“ Er versuchte seinen Worten besonderen Nachdruck zu verleihen, aber man merkte, dass es ihm wehtat. „Ich wünschte, es wäre anders“, flüsterte sie. Die Tränen begannen schon wieder sich in ihren Augen zu sammeln. Er fuhr weiterhin beruhigend mit seinem Finger über die kleine Narbe, die ihren Wangenknochen jetzt zierte. „Es ist wie es ist und es ist in Ordnung so, Gin. Mach dich nicht fertig. Aber so erbärmlich dass jetzt auch klingt, sollte er je Scheiße bauen und du überlegst es dir nochmal, ich glaub ich komm nie ganz über uns hinweg, also meld dich einfach“, er grinste, auch wenn es etwas gezwungen aussah.
„Das klingt sehr süß und überhaupt nicht erbärmlich“, erwiderte sie schmunzelnd, doch als er eine Augenbraue hob, ergänzte sie: „Okay, vielleicht ein bisschen.“
Einen Moment in Stille lächelten sie sich einfach melancholisch an, dann drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und ging Richtung Tür. Doch kurz bevor er sie öffnen konnte, spürte er, wie sie ihn am Handgelenk griff und zu sich umdrehte. Er sah sie fragend an. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen zarten Kuss auf die Lippen. „Danke, für alles“, sagte sie lächelnd. Er lächelte breit zurück und verließ dann den Raum.
Sie atmete tief durch. Das hatte wehgetan. Ihm und ihr, aber es war richtig. Harry hatte ihr gefehlt und sie musste ihn wiedersehen, also richtig mit Reden und allem. Sie hoffte, dass zwischen ihnen wieder was entstehen könnte und dass er das mit Dean gut aufnehmen würde, aber sie brauchte in dem Jahr einfach die Liebe und Zuwendung, die Harry ihr nicht hatte geben können. Er hatte sie zwar aus gutem Grund verlassen, aber eben immer noch allein gelassen. Sie warf es ihm nicht vor, Gott, wie könnte sie, aber es hatte wehgetan und sie brauchte die Nähe von jemandem um das Jahr voller Folter, Leid und schwarzer Magie durchzustehen. Sie wollte einfach nur geliebt werden und das auch spüren.
Vielleicht war sie ja die Erbärmliche.

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Zeitreise
ФанфикHarry und Ginny reisen ungewollt durch die Zeit ins Jahr 1978, das Abschlussjahr der Rumtreiber. Dort lernen sie die Rumtreiber näher kennen und wünschen sich jetzt mehr denn je, dass sie ihre Zukunft erleben. Und was, wenn das möglich ist? Was wäre...